Für seine Kunden lernte er Deutsch

Apotheker bekommt Straße h.c.

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Berlin -

Das Apothekerleben scheint jung und arbeitsfreudig zu halten: Nach mehr als sechs Jahrzehnten in der Offizin bekam der US-Apotheker Dr. Lester L. Carter nun sogar sein eigenes Straßenschild. Die 24th Street in Milwaukee im US-Bundesstaat Wisconsin heißt jetzt ehrenhalber auch „Honorary Dr. Lester Carter“. Für seine Arbeit im ehemals deutschen Viertel der Stadt lernte Lester sogar ein bisschen Deutsch, seine Apotheke übernahm er im Jahr 1968 von einem Deutschen.

Für das Erinnerungsfoto nahm er auf einem Stuhl Platz, darüber hinaus ist Apotheker Carter noch sehr rüstig und wieder aus dem Ruhestand zurückgekehrt. Einmal Apotheker, immer Apotheker. Gleich an der Ecke, wo jetzt „sein“ Straßenschild hängt, befindet sich sein Unternehmen.

Auf Facebook sammelte der sympathische ältere Herr gerade viele Glückwünsche und Herzchen. Es sieht so aus, als hätte er in seinem Leben ganz viel richtig gemacht. Generationen von Menschen kennen ihn im Viertel, viele verehren ihn, sind ihm dankbar. „Er hat sein Leben der Verbesserung der Gesundheit der Menschen hier gewidmet“, lobte Lokalpolitiker Khalif J. Rainey. „Dieses Straßenschild gibt uns die Möglichkeit, ihn dafür zu ehren.“

Geboren in Omaha, Nebraska, kam Dr. Carter in den 1960er-Jahren als junger Pharmazeut nach seiner Zeit in der US-Navy nach Wisconsin. Er träumte von einer eigenen Apotheke, die auf Naturheilkunde spezialisiert sein sollte und fand eine im damaligen deutschen Viertel von Milwaukee. In Sachen Phytopharmazie war er damals ein Pionier in seiner Stadt. Er entwickelte seine eigenen Arzneimittel, überzeugte viele Kunden davon, dass industriell hergestellte Medizin ihre Grenzen habe. Weil es seine Überzeugung ist. Viele Patienten, die erst skeptisch waren, kamen wieder, wenn Dr. Carter es geschafft hatte, ihre Beschwerden ohne Chemie zu lindern oder heilen.

Dann war da noch das Problem mit der Sprache. „Ein deutscher Freund befand, dass ich ins Viertel passen und deshalb ein bisschen Deutsch lernen sollte“, erinnert er sich. Also lernte er ein paar Sätze, begrüßte seine Kunden mit: „Wie geht’s, meine Frau?“ oder „Wie geht’s, mein Herr?“ Das diente der Kundenbindung, denn mit nur einem Begrüßungssatz und einem Lächeln eroberte der junge Apotheker die meisten Herzen seiner Kunden. „Die Leute sagten, wenn er Deutsch spricht, kann der neue Apotheker nicht so schlecht sein“, erzählt Carter.

Mit Kompetenz und Freundlichkeit baute er sich über Jahrzehnte mit seinem Team einen großen Stammkundenkreis aus. Als vor vier Jahren seine Frau verstarb, wurde er schwer krank. Gegen diesen Kummer und die Sehnsucht nach einem geliebten Menschen helfen leider auch keine Medikamente.

Carter überwand die Schwierigkeiten und beschloss, in den wohlverdienten Ruhestand zu gehen. Seine Apotheke verkaufte an die Hayat-Kette. Um wenig später wieder in „seiner“ Apotheke zu stehen. Weil es nun einmal der schönste Beruf auf Erden ist. Dreimal die Woche berät Dr. Carter jetzt wieder seine Patienten.

Die finden es gut und jubelten ihm bei der Straßenschild-Zeremonie zu, zusätzlich wurde ihm der „James Howard Baker“-Preis für seine lebenslange Arbeit im Gesundheitswesen überreicht. Verliehen wurde ihm die Auszeichnung von der „Community Brainstorming Conference“, die vor 25 Jahren als öffentliches Forum für Belange der schwarzen Community in Milwaukee gegründet wurde. „Es ist überwältigend, so viele Menschen hier zu sehen“, sagte der Apotheker, „von manchen Familien kenne ich drei Generationen.“

Auch hierzulande arbeiten viele Apothekerinnen und Apotheker bis weit über die Rentenbeginn-Grenze. Weil die Arbeit Freude macht, weil sich bisher niemand fand, der die Apotheker übernehmen oder kaufen wollte. Es findet sich immer ein Grund, wenn man nicht in Rente gehen möchte!

Einer der ausdauerndsten Apotheker Deutschlands war der mittlerweile verstorbene Apotheker Gustav Martin Wolfgang Liebe aus dem brandenburgischen Bad Liebenwerda. Im Juni 2017 feierte der damals älteste Apotheker des Landes seinen 100. Geburtstag, natürlich in der Apotheke. Nun war es an der Zeit, beschloss er, einen Nachfolger zu suchen. „Meine Erfüllung ist die Apotheke an sich, ist es, den Menschen ein wenig Last von der Seele zu nehmen. Friede und Erfüllung lassen mich zur Harmonie gelangen“, sagte er damals. „Jetzt brauche ich dringend einen Nachfolger, sonst muss ich schließen. Ich habe mein Gleichgewicht verloren und kann jetzt nicht mehr am HV-Tisch stehen.“ Von einer Liege aus einem Nebenzimmer beobachtete er aber weiterhin das Geschehen in seiner Apotheke. Die Tür zur Offizin stand immer offen.

81 Jahre lang führte der Apothekersohn seine Löwen-Apotheke, sogar zu DDR-Zeiten als Privatunternehmen. Im Jahr 2012 wurde er mit dem Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland für sein ehrenamtliches Engagement ausgezeichnet. Im August 2017 schloss er für immer die Augen. Apotheker Liebe starb dort, wo er am glücklichsten war: In seiner Apotheke.

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