Sind Apotheken in erster Linie Wirtschaftsbetriebe – oder stehen die Interessen der Gemeinschaft im Vordergrund? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Europäische Gerichtshof (EuGH). Der Generalanwalt kommt in seinen Schlussanträgen zu einem klaren Ergebnis.
So grundsätzlich die Fragestellung ist, so profan ist der Anlass. Die Gemeinde Benedikt im Nordosten Sloweniens hatte im Frühjahr 2022 einer Apothekerin die Genehmigung erteilt, im Ort eine Filiale zu eröffnen. Inhaberin Zdenko Petrac, die eigentlich die Lekarna Brezje in Maribor betreibt, sagte bei der Eröffnung, dass sie sich mit Benedikt verbunden fühle, weil ihr Vater hier geboren sei, und dass perspektivisch ihre Tochter den Standort übernehmen solle.
Bürgermeister Milan Repié hatte sich für die Ansiedlung stark gemacht und auch die Räume anmieten und herrichten lassen. Doch die Konzession wurde offenbar erteilt, ohne dass es vorab eine Ausschreibung oder Bekanntmachung dazu gegeben hatte.
Dagegen klagte die Apothekenkette Farmacija, die ihren Hauptsitz in Lubljana hat und rund 40 Filialen betreibt. Deren Hauptgesellschafterin ist selbst Apothekerin und betreibt separat auch noch eine Apotheke in Grosuplje südöstlich der Hauptstadt. In dieser Funktion hatte sie zuletzt bereits erfolgreich einen Streit um Subventionen für Lekarna Ljubljana bis vor den EuGH geführt. Die kommunale Apothekenkette ist im selben Ort mit zwei Filialen vertreten.
Im Streit um die Konzession in Benedikt argumentierte die Kette, die Erteilung der Genehmigung ohne entsprechendes Vergabeverfahren verstoße gegen die Richtlinie 2014/23, in der die Grundsätze der Vergabeverfahren geregelt sind. Den Überprüfungsantrag lehnte die Gemeinde mit der Behauptung ab, die Erteilung einer Genehmigung für den Betrieb einer Filialapotheke stelle der Sache nach keine Erteilung einer Dienstleistungskonzession dar.
Die Staatliche Kommission für die Überprüfung von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge, bei der die Beschwerde landete, äußerte ähnliche Zweifel und legte die Sache in Luxemburg vor. Da laut Richtlinie „nichtwirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“ ausgenommen sind, könnte nur eine entsprechende Auslegung die Entscheidung rechtfertigen und die Konzession retten.
Laut Generalanwalt Rimvydas Norkus müsste eine solche Dienstleistung sowohl für Zwecke des Allgemeininteresses erbracht werden und obendrein einen nichtwirtschaftlichen Charakter aufweisen. Zwar könnten die Mitgliedstaaten im Grundsatz selbst entscheiden, was sie darunter fassen, genauso wie sie für die Organisation ihrer Sozial- und Gesundheitssysteme zuständig seien. Dennoch müssten die Grundprinzipien des Binnenmarkts beachtet werden.
So sei es gerade untersagt, „ungerechtfertigte Beschränkungen der Ausübung dieser Freiheiten im Bereich der Gesundheitsversorgung einzuführen oder beizubehalten“. Was konkret die Niederlassung von Apotheken angehe, dürften Beschränkungen nur aus Gründen des Allgemeininteresses vorgenommen werden und müssten geeignet und angemessen sein.
Laut Norkus sind Apotheken als Wirtschaftsunternehmen einzustufen. Laut EuGH gehören Dienstleistungen, die normalerweise gegen Entgelt erbracht werden, zu den wirtschaftlichen Tätigkeiten sind, „wobei das Wesensmerkmal des Entgelts darin besteht, dass es die wirtschaftliche Gegenleistung für die betreffende Leistung darstellt“. Dabei komme es nicht darauf an, ob sie von demjenigen bezahlt werden, dem die Leistung zugutekommt.
Der EuGH habe in seiner Rechtsprechung ausdrücklich anerkannt, dass die Apothekentätigkeit den Apothekenbetreibern Gewinne einbringt, auch wenn sie angesichts der Bedeutung des Ziels der öffentlichen Gesundheit in der Regel nicht nur im wirtschaftlichen, sondern auch im öffentlichen sozialen und beruflichen Interesse ausgeübt wird. Das stehe im Einklang mit der ebenfalls vom EuGH getroffenen Feststellung, dass der Erwerb einer Apotheke, soweit er die Ausübung einer „wirtschaftlichen Tätigkeit“ mittels einer festen Einrichtung auf unbestimmte Zeit ermöglicht, in den Anwendungsbereich von Vorgaben zur Niederlassungsfreiheit fällt.
Da Apotheken keine hoheitliche Gewalt ausübten, gebe es „keinen sachlichen Grund, diese Dienstleistung von der Einstufung als ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ auszunehmen, nur weil sie eine Nähe zum politischen Handeln der Regierung, in diesem Fall der Gesundheitspolitik, aufweist“. Auch der Transfer öffentlicher Gelder sei nicht geeignet, die „wirtschaftliche“ Natur der von Apotheken erbrachten Dienstleistung zu tangieren. „Eine Dienstleistung behält ihren entgeltlichen Charakter auch dann, wenn ihre Erbringung aus öffentlichen Mitteln finanziert wird.“
Selbst wenn man den Profit als nachrangig betrachte, bleibe es beim „wirtschaftlichen“ Charakter. „Dies gilt umso mehr, da private Apothekenbetreiber eine Gewinnerzielung anstreben, wie die slowenische Regierung in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, auch wenn dieses Ziel anderen Zielen untergeordnet ist, die insbesondere mit dem Schutz der öffentlichen Gesundheit verbunden sind.“
Allerdings räumt der Generalanwalt auch ein, dass Apotheken für die korrekte Abgabe von Arzneimitteln einschließlich Beratung zuständig sind und daher unter die „sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen“ gemäß Richtlinie 2014/23 fallen. Daher gilt für sie ein vereinfachtes Vergabeverfahren, bei dem nur die geplante Vergabe sowie die Zuschlagserteilung bekannt zu machen sind.
„Der Grund für dieses vereinfachte Vergabeverfahren ist, dass die betreffenden Dienstleistungen nur von begrenztem grenzüberschreitenden Interesse sind“, so der Generalanwalt. Insbesondere Dienstleistungen im Sozial‑, Gesundheits- und Bildungswesen würden „vor einem spezifischen Hintergrund erbracht, der sich in den einzelnen Mitgliedstaaten aufgrund unterschiedlicher kultureller Traditionen stark unterschiedlich darstellt“. Die formalen Anforderungen seien daher weniger streng, auch wenn die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz in jedem Fall eingehalten werden müssten.
Für den konkreten Fall wäre dann der Vertragswert ausschlaggebend, der bei Konzessionen bei 5.186.000 Euro liegt. Um festzustellen, ob die Richtlinie anwendbar ist, müsse geprüft werden, ob diese Schwelle überschritten wird. Da die Genehmigung auf „unbestimmte Zeit“ erteilt wurde, könne nicht ausgeschlossen werden, dass dieses Volumen überschritten wurde.