Italien

Ketten sollen Apotheken retten

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Berlin -

Italien, das war jahrzehntelang ein Apothekerparadies: Fremdbesitzverbot, Bedarfsplanung, selbst die Öffnungszeiten waren streng reglementiert. Zwar hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Regelungen mehrfach unangetastet gelassen. Jetzt wird der Markt trotzdem aufgebrochen. Die Apotheker standen mit dem Rücken zur Wand – und haben Ketten gegenüber Light-Apotheken als das geringere Übel akzeptiert.

Im Februar hatte die Regierung von Ministerpräsident Matteo Renzi ein Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs vorgelegt. Hieß es zunächst, die Apotheker hätten keine massiven Einschnitte zu erwarten, stand plötzlich das Fremdbesitzverbot zur Diskussion. Gesundheitsministerin Beatrice Lorenzin wehrte sich gegen die Pläne von Entwicklungsministerin Federica Guidi, die auf Vorschläge der Wettbewerbsbehörde zurückgingen.

Doch bei der entscheidenden Kabinettssitzung Ende Februar knickte Lorenzin ein. Um wenigstens die Apothekenpflicht zu retten, stimmte sie dem Kuhhandel zu. Es gebe keine Änderungen, was die Abgabe von Arzneimitteln oder die personelle Ausstattung in den Apotheken angehe, sagte Guidi im Nachgang des Treffens. Die Beschränkung auf vier Apotheken pro Apotheker sei aber nicht mehr zeitgemäß und werde deshalb abgeschafft. Um die finanzielle Stabilität und damit die Überlebensfähigkeit der Apotheken zu stärken, werde man außerdem den Betrieb von Apotheken in Kapitalgesellschaften erlauben.

So kam ein Gesetzentwurf zustande, mit dem die Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes geregelt wird. Auch Großhändler sollen Apotheken betreiben dürfen; nur Ärzte und Hersteller sollen ausgenommen sein. Vorgaben zur Anzahl der Filialen gibt es nicht.

Die zuständigen Ausschüsse im Parlament haben dem Gesetzesvorhaben bereits zugestimmt; in dieser oder in der kommenden Woche müssen Senat beziehungsweise Abgeordnetenkammer zustimmen. Beim Apothekerverband glaubt man nicht, dass noch irgendwelche Änderungen durchzusetzen sind.

Auch wenn es aus den Regionen kritische Stimmen gab: Große Proteste, wie 2006 bei der Zulassung der Parafarmacien, blieben aus. Offenbar haben die bisherigen Lockerungen die Apotheker mürbe gemacht. Als der Kabinettsbeschluss stand, herrschte jedenfalls vor allem Erleichterung, dass nicht noch mehr Medikamente der Liste C aus der Apothekenpflicht entlassen wurden. Dass dafür Ketten zugelassen werden sollen, fiel weniger ins Gewicht.

Das Problem: Als 2006 die OTC-Shops zugelassen wurden, setzten die Apotheker durch, dass auch in diesen immer ein Approbierter anwesend sein muss. Ein Pyrrhussieg, wie sich später herausstellen sollte: Weil sich Aspirin & Co. alleine tatsächlich nicht lohnen, lobbyieren die Betreiber der Parafarmacien – allen voran Supermärkte wie Coop – seit Jahren für mehr Rechte und mehr Arzneimittelkategorien. Rezepturen könnten die angestellten Apotheker doch genauso gut anfertigen wie verschreibungspflichtige, aber nicht erstattungsfähige Präparate abzugeben, die in der Liste C zu finden sind.

Seit Beginn der Finanzkrise wurde immer wieder über eine Liberalisierung des Apothekenmarktes diskutiert. Der ehemalige Ministerpräsident Mario Monti hatte bereits die Bedarfsplanung gelockert und verschiedene Arzneimittel gleichzeitig aus der Rezept- und aus der Apothekenpflicht entlassen.

Nun standen weitere Wirkstoffe im Raum, nach deren Freigabe es faktisch keinen Unterschied mehr zur echten Apotheken gegeben hätte. Im Gegenteil: Die Parafarmacien hätten die Produkte mit guten Margen bekommen; die Apotheker mit allen Reglementierungen wären auf den weniger lukrativen Kassenrezepten sitzen geblieben. Die OTC-Shops sind mit den geplanten neuen Regelungen unzufrieden, weil sie nach wie vor vom Rx-Geschäft ausgeschlossen sind. Sie werden weiter versuchen, das System auszuhöhlen.

Wie sich die Dinge im Apothekenmarkt weiter entwickeln, lässt sich schwer vorhersagen. Für viele Pharmazeuten ist die eigene Apotheke ein wichtiger Teil der Altersvorsorge. Zwar sind die Preise in den vergangenen Jahren schon extrem gesunken, weil insbesondere in den Städten viele Parafarmacien eröffnet haben. Doch da die Bedarfsplanung bestehen bleibt, wird eine gute Apotheke vermutlich ihren Wert behalten. Für junge Apotheker wird es unter Beibehaltung des Konzessionssystems bei gleichzeitiger Aufhebung von Fremd- und Mehrbesitzverbot deutlich schwieriger werden, sich überhaupt noch selbstständig zu machen.

Besonders bitter: Erst im März hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) den Befürwortern einer Liberalisierung, wie schon mehrfach seit 2009, den Wind aus den Segeln genommen: Bedarfsplanung und Apothekenpflicht stellten zwar eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar, sie seien aber gerechtfertigt, um „eine sichere und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen“, hieß es in dem ursprünglichen Urteil.

Bei Freigabe der Liste C bestehe die Gefahr, dass die Apotheken einen erheblichen Teil ihrer Einnahmen einbüßten. Weil aber nur Apotheken zahlreiche Vorgaben beachten müssen, würde aus Sicht der Richter die Qualität der Dienstleistung sinken. Dabei könnten sich Parafarmacien mangels Bedarfsplanung auf diejenigen Ortschaften konzentrierten, die als am rentabelsten und attraktivsten gälten.

Der Einnahmerückgang könnte auch dazu führen, dass einige Apotheken endgültig schließen müssten, sodass sogar ein Apothekenmangel eintreten könnte und keine sichere Arzneimittelversorgung gewährleistet wäre. Die Änderung hätte daher „negative Auswirkungen auf die Effektivität und Stabilität der gesamten Apothekenplanung“, so die Richter.

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