In der Alten Löwen-Apotheke in Wien wird Tradition groß geschrieben. Dazu hat Inhaberin Kristina Taubald auch allen Grund. Die Apotheke war seit ihrer Gründung Ende des 18. Jahrhunderts immer wieder in aller Munde. Sie war nicht nur das erste Gebäude in Wien, dessen Schaufenster im Lichte einer Gaslaternen erstrahlte. Nichts Geringeres als der damals „beste Likör der Welt“ wurde in der Rezeptur der altehrwürdigen Apotheke erfunden und gebraut.
Als Josef Moser, Sohn des Gründers Mathias Moser, die Apotheke Anfang des 19. Jahrhunderts übernahm, wurde sie durch den Erfindergeist des jungen Mannes berühmt. 1816 – damals noch im Haus gegenüber untergebracht – war die Alte Löwen-Apotheke nämlich das erste Gebäude in Wien, dessen Schaufenster im Licht einer Gaslaterne erstrahlte. Von seinen ausgedehnten Studienreisen, die ihn durch ganz Europa führten, brachte der innovative Apotheker allerlei moderne Erkenntnisse mit, die ihm etliche Patente einbrachten. Seine ganz neue Methode, Licht zu erzeugen, soll sogar Kaiser Franz Josef zur Besichtigung der Löwen-Apotheke gelockt haben.
Auch an Kunstsinn mangelte es Moser nicht. Für die Fassade ließ er Ferdinand Waldmüller, den berühmtesten Maler des österreichischen Biedermeier, vier lebensgroße Gemälde anfertigen. Sie zeigen Hygiea, die griechische Göttin der Gesundheit, Flora, die römische Göttin der Blüte und des Frühlings, und die antiken Ärzte Hippokrates und Galen. „Heute sind diese Werke leider nicht mehr in der Apotheke, sondern in der Galerie im Belvedere zu bewundern“, berichtet die jetzige Inhaberin. „Die verkleinerten Reproduktionen der Gemälde sind aber mittlerweile in der Apotheke zu bestaunen.“
Im Jahr 1886 übernahm die Familie Trnkoczy die Alte Löwen-Apotheke. „Das Wappen dieser altungarischen Adelsfamilie ist noch heute in unserer Offizin zu sehen und ihr Name ziert die Fassade der der Apotheke“, erzählt die Pharmazeutin. 108 Jahre war die Apotheke im Besitz der Familie, bis die Mutter von Taubald sie vor rund 23 Jahren erwarb. Damals hätten sie im Keller Unmengen unbekannter Destillate gefunden. „Irrsinnig spannend“ sei das gewesen, berichtet Taubald. „Seinerzeit sind doch ganz andere Substanzen verwendet worden“. Teilweise habe man noch nicht gewusst, wie giftig sie sind und welche Nebenwirkungen sie auf lange Sicht hervorrufen können.
Manch abenteuerliches Gebräu soll die Kranken von ihren Schmerzen befreit haben. Noch im 18. Jahrhundert wurden auch allerlei Produkte menschlichen Ursprungs verwendet, die heute wohl unverkäuflich wären: ein Destillat aus Menschenhaaren, mit Honig vermischt, das – auf kahle Stellen aufgetragen – den Haarwuchs fördern sollte, pulverisierte Finger- und Zehennägel als Brechmittel, ein Präparat aus Speichel zur Heilung von Tierbissen, Ohrenschmalz gegen Koliken, Muttermilch gegen die Schwindsucht. Sogar Leichenteile wurden verwendet, wie Haut, Fett, Knochen und Hirn – dies aber nur von „einem jungen, vigourösen, eines gewaltsamen Todes ganz neulich gestorbenen, noch unbegrabenen Menschen“, wie es in einem Arzneibuch der Zeit heißt.
Unter den Schätzen der Alten Löwen-Apotheke, in einer der viele Schachtel unter anderen Briefen versteckt, befand sich in einem unscheinbaren, auf 1881 datierten, Umschlag auch das Rezept von „Grandol“, dem „besten Likör der Welt“: Ein Schatz, auf den man hier besonders stolz ist. „Es war ziemlich spannenden, die Rezeptur dieses Likörs zu entdecken“.
Der Likör erhielt seinerseits die höchsten kaiserlich und königlichen (k. u. k.) Auszeichnungen. Auf einer Urkunde aus dem Jahr 1898, die sich heute noch in der Apotheke befindet, liest sich das so: „Unter dem Allerhöchsten Protektorate Ihrer Majestät, der Kaiserin und Königin Elisabeth – II. Internationale Kochkunst Ausstellung in Wien – Die Jury hat über einstimmigen Beschluss Herrn Julius Trnkoczy Edlen von Zazskall, Apothekenbesitzer in Wien, für Liquer Grandol die Goldene Medaille zuerkannt.“
Und so konnte man der Versuchung nicht widerstehen, den Likör nachzubrauen. Der damals beste Likör der Welt, wäre heute allerdings unerschwinglich, sagt Taubald. Andere Produkte, die aus dem Labor der Trnkoczys stammen, werden dagegen bis heute in der Alten Löwen-Apotheke verkauft. „Unsere Kunden können Trnkoczys Gesichts- und Rasierwasser sowie seine schmerzstillende Einreibung, die nach den altehrwürdigen Rezepturen hergestellt werden, bei uns erwerben“, sagt Taubald.
Heute unmöglich, aber seinerzeit experimentierte man auch gern mit Kokain und Heroin-Rezepturen oder lud zum Schröpfen. Aber auch Homöopathie fand damals ihre erste Anwendung. Mit der Übernahme der Apotheke durch Taubalds Mutter hat vor allem die Homöopathie wieder einen hohen Stellenwert in der Alten Löwen-Apotheke bekommen, berichtet die Pharmazeutin.
Natürlich hätten mit den Jahren trotz aller Traditionsorientierung auch moderne Errungenschaften in die Alte Löwen-Apotheke Einzug gehalten. So habe man vor wenigen Jahren – wenn auch „sehr behutsam“ – die Fassade des Gebäudes und die Offizin renoviert. Außerdem habe man die Lagerhaltung durch Einführung der EDV modernisiert. Denn schließlich gehe es in erster Linie um die Kunden und ihre Zufriedenheit.
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