Amazon tastet sich weiter Schritt für Schritt an den globalen Arzneimittelversand heran. Nachdem sich der Versandgigant in den USA bereits mit Pillpack etabliert hat und den Weg in die Apothekenbranche mit „Amazon Pharmacy“ auch im Namen trägt, plant er nun erstmals auch außerhalb der USA, in den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln einzusteigen. Testballon ist Indien. Doch es gibt Widerstand.
Es ist zwar „nur“ Bengaluru – früher bekannt als Bangalore – aber damit immerhin die drittgrößte Stadt des Subkontinents. Mit über 11 Millionen Einwohnern leben dort genauso viele Menschen wie beispielsweise in Belgien. Und die sollen bald in den Genuss kommen, ihre Rezepte an Amazon zu schicken. Auch OTC-Arzneimittel und traditionelle indische Ayurveda-Medizin will der Konzern aus Seattle dort künftig vertreiben. Ende vergangener Woche gab er bekannt, dass er ab sofort Arzneimittelverordnungen entgegennimmt.
Im Nachhinein erscheint der Schritt absehbar gewesen zu sein, schreibt das Fachmagzin Tech Crunch: Bereits Anfang des Jahres hatte Amazon Investitionen von 5,5 Milliarden US-Dollar in Indien angekündigt. Interessant könnte der Markt aber auch aus einem anderen Grund sein: Online-Apotheken sind in Indien noch ein relativ neues Phänomen, der Onlinehandel mit Arzneimitteln ist bisher nur unzureichend reguliert.
Ein Gesetz zur besseren Regulierung von Online-Apotheken ist seit geraumer Zeit in der Warteschleife – über die Zulässigkeit des Versands von Arzneimitteln scheint bisher Uneinigkeit zu herrschen. Angesichts der in Indien mittlerweile stark grassierenden Covid-19-Pandemie hatte die Regierung von Premierminister Narendra Modi aber verkündet, dass der Arzneimittelversand aus Infektionsschutzgründen nun vorerst vollumfänglich erlaubt sei. Mit dem gestiegenen Bedarf aufgrund der Pandemie begründet auch Amazon sein Engagement.
Und das Potenzial scheint riesig: Der Unternehmensberatung Ernst & Young zufolge beträgt der Marktumfang im Moment 9,3 Milliarden US-Dollar im Jahr, werde sich jedoch allein bis 2023 auf 18,1 Milliarden US-Dollar fast verdoppeln. Viele kleine Online-Apotheken sind bereits am Markt, mit Netmeds, Medlife und 1mg gibt es bereits auch einige größere Player, die Investorenkapital im Rücken haben. Die will Amazon nun mit Rabattaktionen von bis zu 20 Prozent verdrängen. Bereits 2018 hatte Amazon versucht, die indische Online-Apotheke Medplus zu übernehmen, der Deal kam aber nicht zustande.
Widerstand kommt aber auch von anderer Seite: Der gesamtindische Apothekerverband, die All India Organisation of Chemists and Druggists (AIOCD), hat sich mit einem Brief an Modi, das Gesundheitsministerium und Amazon-CEO Jeff Bezos gewendet und den Schritt scharf kritisiert. Amazon verstoße mit seiner Strategie gegen bestehende Gesetze und rechtskräftige Gerichtsurteile. Bei der Erlaubnis zum Arzneimittelversand handele es sich um ein Moratorium, das nur für die Zeit der Pandemie gelte und vor allem: Nur für die Belieferung durch echte Apotheken. Die gelebte Marktpraxis in Indien steht dieser Auffassung allerdings entgegen. Die Befürchtung des AIOCD: Amazon könnte durch seine Aktivitäten Fakten schaffen, sodass das Rad nach der Pandemie nicht wieder zurückgedreht wird.
Der Werdegang des Amazon-Projekts in Indien wird auch in Europa aufmerksam verfolgt werden. Denn dass Amazon den Arzneimittelmarkt aufmischen will, daran herrscht kaum noch Zweifel. Die Frage ist nur, ob und wann der Versandriese auch außerhalb der USA tätig werden will. Einen Hinwies darauf, wohin die Reise gehen könnte, gab eine in aller Stille durchgeführte Umbenennung: Ende 2019 wurde bei der von Amazon im Vorjahr akquirierten Versandapotheke Pillpack der Untertitel von „an Amazon Company“ in „by Amazon Pharmacy“ geändert. Die Marke „Amazon Pharmacy“ ließ sich der Konzern daraufhin in Kanada, Australien und Großbritannien schützen.
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