In den USA ist ein Krieg um Versicherte und deren Rezepte entbrannt: In den vergangenen Monaten hat Stefano Pessina, Chef der Apothekenkette Walgreens, mehrere Zuschläge bei großen Krankenversicherern gewonnen und damit die Konkurrenz überrascht. In der vergangenen Woche kassierte CVS die Prognose für das kommende Jahr; der Börsenkurs stürzte ab.
Pharmacy Benefit Manager (PBM) verhandeln in den USA die Arzneimitteltarife für Arbeitgeber und Krankenversicherungen. Nur Apotheken, die sich den Konditionen beugen und einen Vertrag haben, dürfen die Rezepte der entsprechenden Versicherten beliefern.
CVS hatte sich vor einigen Jahren mit der Übernahme von Caremark einen der führenden PBM einverleibt und damit auf der sicheren Seite gewähnt. Walgreens dagegen hatte den hauseigenen PBM verkauft und darauf gesetzt, im knallharten Vertragsgeschäft mit seinem 13.000 Filialen umfassenden Netzwerk überzeugen zu können.
Dann kam Pessina. Der clevere Italiener hatte Anfang 2015 die Leitung von Walgreens Boots Alliance (WBA) übernommen und erkannt, dass er seinen größten Konkurrenten durch geschickte Allianzen ausspielen könnte, dessen vertikale Struktur eine gewisse Schwerfälligkeit mit sich bringt.
Sein Team hat in den vergangenen Monaten die Branche mit mehreren Abschlüssen eiskalt erwischt: Im März hatte Walgreens eine Partnerschaft mit OptumRx geschlossen, einem der führenden PBM mit 65 Millionen Mitgliedern. Im August unterzeichnete Prime Therapeutics einen Vertrag mit der führenden US-Apothekenkette; der Deal brachte weitere 22 Millionen potentiellen Neukunden. Im September gab es schließlich auch noch einen Zuschlag mit Tricare, der Krankenversicherung des US-Militärs mit knapp 10 Millionen Mitgliedern.
Bei CVS herrschte blankes Entsetzen: Alleine die letzten beiden Deals des Konkurrenten werden den Konzern nach Angaben von CEO Larry Merlo mehr als 40 Millionen Verordnungen pro Jahr kosten. Wenn die Versicherten ihre Rezepte weiter bei CVS einlösen, obwohl die Kette ab 1. Dezember beziehungsweise 1. Januar nicht mehr Vertragspartner ist, drohen ihnen höhere Zuzahlungen. Bereits jetzt sehe man Kunden abwandern, die über den Vertragswechsel bereits informiert worden sein.
Die CVS-Aktie brach nach Bekanntwerden zeitweilig um 16 Prozent ein. Dass sich der Konzern nicht an den Selektivverträgen beteiligt hat, hängt auch mit der Aggressivität zusammen, mit der Pessina und seine Manager in den Markt gegangen sind. Beim Deal mit OptumRx etwa ruft Walgreens dieselben Preise auf, wie sie eigentlich im Versandhandel bezahlt werden müssten.
In den USA kaufen vor allem Patienten mit akutem Bedarf ihre Medikamente in der Apotheke vor Ort; sie bekommen in der Regel Mengen verordnet, die für einen Monat reichen. Chroniker werden dagegen über Versandapotheken beliefert, die ihnen gleich den Bedarf für drei Monate zuschicken. Auch teure Spezialpräparate werden meist direkt von den Apotheken der PBM verschickt; mitunter kontrolliert eine Krankenschwester die korrekte Einnahme.
Doch seit 2005 stagniert der Anteil des Versandhandels bei 20 Prozent, mit leicht rückläufiger Tendenz. Experten sehen eine Marktsättigung: Viele Verbraucher ließen sich auch mit Preisvorteilen nicht in den Versandhandel umleiten, weil sie ihren Apotheker vor Ort sprechen wollten.
Die PBM haben aber ein Interesse daran, möglichst viele Versicherte in entsprechende Programme zu bekommen – und zwar nicht nur, weil sie das Geschäft dann komplett selbst abwickeln können: Die Abgabehonorare lassen sich um zwei Drittel senken, außerdem werden 20 Prozent mehr Patienten auf Generika umgestellt. Vor allem aber steigt laut einer Studie die Therapietreue bei den größeren Packungen, damit sinken die Gesamtkosten.
Vor fünf Jahren war der Streit zwischen Walgreens und dem Rivalen schon einmal eskaliert. Weil Caremark laut Walgreens nach der Fusion mit CVS eine Reihe von Programmen aufgelegt hatte, mit denen Kunden gezielt umgeleitet wurden, kündigten die Konzerne schließlich wechselseitig ihre Geschäftsbeziehungen. Nach einer verlustreichen Schlammschlacht in der Öffentlichkeit einigte man sich später.
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