Österreich

18 Jahre später: Apotheke hätte nie öffnen dürfen

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Berlin -

Mit einer Konzession des Gesundheitsministeriums ausgestattet eröffnete Elisabeth Wieser vor fast 18 Jahren ihre Apotheke in Innsbruck. Doch hartnäckig beharrte eine Mitbewerberin darauf, dass ihr dadurch zu wenig Kunden blieben. Nach einer neuerlichen Niederlage vor Gericht muss sich Wieser zum Jahresenede geschlagen geben.

Schon seit ihrem Bestehen hing die Existenz der Sowi-Apotheke am seidenen Faden. Hauptstreitpunkt von Anfang an war die Bedarfsplanung. Sie besagt, dass zwischen einer neuen und einer bestehenden Apotheke mindestens 500 Meter Abstand sein müssen. Außerdem müssen dem älteren Betrieb mindestens 5500 zu versorgende Kunden im Umfeld übrig bleiben. Diese magische Zahl sollte fortan die Gerichte beschäftigen.

Am 3. November 1998 erhielt Wieser vom Amt der Tiroler Landesregierung die Konzession. Drei Apotheken aus der Umgebung reichten Berufung ein, von ihnen sollte sich die Stadt-Apotheke als hartnäckigster Widersacher entpuppen. Das Gesundheitsministerium wies den Einspruch jedoch ab. Im Dezember 1999 eröffnete Wieser die Sowi-Apotheke.

Doch dann wurde der Inhaberin im Mai 2000 eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs zugestellt. Das Gericht kassierte den Konzessionsbescheid wegen Verfahrensmängeln. Es sei offenbar nicht detailliert erhoben worden, welches Kundenpotenzial der Altstadt-Apotheke verloren gehe. Ende August wurde Wieser vom Stadtmagistrat Innsbruck mit der Fortführung des Betriebs bis Ende Mai 2001 betraut. Drei Wochen vor Ablauf dieser Frist erhielt Wieser den Nachfolgebescheid „bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Konzession“.

Mit dem Damokles-Schwert über ihrer Apotheke mussten Wieser und ihr Team fast zwölf Jahre leben. Erst im März 2013 erteilte das Gesundheitsministerium erneut die Konzession und lehnte gleichzeitig eine weitere Berufung der Altstadt-Apotheke ab. Sie verliere keinen einzigen Kunden, beschied das Ministerium. Ende Oktober 2015 erhielt Wieser eine neuerliche Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs. Die Apothekenkonzession wurde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit wieder aufgehoben. Es sei nicht ausgeschlossen, dass 78 Bewohner der Universitätsstraße näher an der Sowi- als der Altstadt-Apotheke wohnten und sich künftig dort ihre Medikamente besorgen könnten. Der Stadtmagistrat beauftragte Wieser in der Folge erneut mit der Fortführung bis zur rechtskräftigen Entscheidung.

Im April 2016 ersuchte das Landesverwaltungsgericht die Apothekerkammer um die Erstellung eines neuen Bedarfsgutachtens, das auch die Tagestouristen in der Altstadt berücksichtigen sollte. Zwei Monate später schickte das Gericht einen ergänzenden Fragenkatalog, darunter die Königsfrage: Kann der enorme Tourismus als Besonderheit gelten, um von der starren 5500er-Grenze abzuweichen?

Aus Sicht der Kammer jedenfalls nicht. Basierend auf einer neuen Studie der TU Wien setzte Dr. Martin Hochstöger, Präsident der Tiroler Apothekerkammer, im April dieses Jahres seine Unterschrift unter ein Gutachten. Es stellte fest, dass die Stadt-Apotheke weniger als 5500 zu versorgende Patienten habe. Zu keiner Zeit habe es in all den Jahren einen Bedarf für eine weitere Apotheke gegeben, schickte die Kammer nach. Zwei Monate später schloss sich die Richterin am Landesverwaltungsgericht dieser Auffassung an. Am 29. September wies der Verwaltungsgerichtshof die Revision der Sowi-Apotheke zurück. Damit war ihr Schicksal endgültig besiegelt. Neun Menschen drohten ihre Arbeitsplätze zu verlieren, drei Mitarbeiterinnen sind bereits über 50.

„Die der Kammer vorliegende Studie der TU Wien ist tadellos“, räumt Wieser ein. „Aber der Auftrag des Autors war es nicht, individuelle Einwohnergleichwerte für die verschiedenen Regionen zu berechnen, sondern Formeln zu finden, die über ganz Österreich gestülpt werden können.“ Man müsse jedoch lokale Gegebenheiten berücksichtigen. „Die Studie bildet nur 50 Prozent der Realität hier vor Ort ab.“ Bisher fließen in die Berechnung die ständigen Einwohner, die Bewohner mit Zweitwohnsitz in der Stadt, die Beschäftigten in den umliegenden Geschäften und Einrichtungen und die sogenannten „Einfluter“ ein. Unter Einflutern werden Menschen verstanden, die mit Bussen und Bahnen in die Stadt kommen.

Zusätzlich strömten jeden Tag aber 20.000 Touristen nach Innsbruck, die keine Übernachtung beanspruchten, so Wieser. Aufs Jahr gerechnet kämen so sieben Millionen Menschen zusammen, die gemeinsam mit den Flutern vor allem von der Altstadt-Apotheke versorgt würden. „Da stellt sich die Frage, ob es auf die 78 Menschen in der Universitätsstraße noch ankommt. Ein neues Gutachten muss alles berücksichtigen, das ist bislang in der Praxis so noch nicht vorgesehen“, sagt Wieser.

Lokale Politiker stellen bereits den Gebietsschutz grundsätzlich infrage. Gesundheitsstadtrat Franz Gruber (ÖVP) hielt ihn in der Tiroler Tageszeitung für „veränderungsbedürftig, er entspricht nicht mehr den Ansprüchen der Kunden“. Der Gebietsschutz sei nicht mehr zeitgemäß, kritisierte auch Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer von der Wählervereinigung Für Innsbruck. „Man sieht, wie manche Regelungen an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbeigehen.“

Doch so weit will selbst Wieser nicht gehen. „Der Gebietsschutz ist ein großes Privileg, das es in anderen Ländern wie Deutschland nicht gibt. Er ist ein hohes Gut für die Apotheker, weil es uns ein wirtschaftliches Arbeiten ermöglicht“, betont sie. „Das darf man nicht leichtfertig über Bord werfen. Aber man muss sorgsam damit umgehen. Man darf sich die Bedarfsermittlung nicht so hinbiegen, wie sie einem gerade passt.“ Dieser Rechtsstreit produziere nur Verlierer. „Die Mitarbeiter, die Kunden, die Stadt, die Apothekerkammer gehören alle dazu, aber auch unsere Kontrahentin: Die Leute sind so verärgert, dass sie da nicht mehr hingehen wollen.“

Wieser wollte sich schon in ihr Schicksal fügen. „Vor zwei Wochen war ich ziemlich resigniert“, räumt sie ein. „Doch dann haben mir meine Mitarbeiterinnen gesagt, ‚Frau Wieser, wir müssen kämpfen!‘“ Viel Zuspruch habe es auch von der Bevölkerung gegeben. „Den Leuten geht das richtig nah.“

Binnen kürzester Zeit kamen 7000 Unterschriften für den Erhalt der Apotheke zusammen. „Das hat eine Eigendynamik entwickelt, der ich mich nicht entziehen konnte, wie ein Endorphinausstoß. Ich habe erkannt, dass wir das unseren Kunden nicht antun können, jetzt aufzugeben.“ Presse, Funk und Fernsehen haben rege Anteil genommen, darunter der ORF, die Lokalpresse, Tirol Radio und zuletzt der landesweite Popsender Ö3.

Doch die Schließung zum 31. Dezember scheint unausweichlich. Auch danach werde es noch Einiges zu tun geben. „Eine Apotheke ohne Konzession muss geschlossen werden, aber das heißt ja nicht, dass wir nicht mehr existieren.“ Für das Geschäftslokal sei noch bis zum 31. Mai Miete fällig. „Im nächsten Jahr muss ich auch noch Abrechnungen mit den Sozialträgern und Gehaltskassen machen.“

Wenn sich die Aufregung gelegt habe, werde sie sich in Ruhe überlegen, wie ihre Zukunft aussehen soll, sagt die Apothekerin. „In Österreich kann ich mit 60 in Pension gehen, ich bin jetzt 59.“ Grundsätzlich bereue sie nichts. „Ich hab Spaß an meinem Beruf und mache ihn mit Herzblut.“ Die Beantragung einer neuen Konzession sei nicht ganz vom Tisch. „Aber dafür brauche ich valide Voraussetzungen wie zum Beispiel ein Bedarfsgutachten, das alle Faktoren berücksichtigt.“ Ihr Beruf kenne nicht nur Sonnenseiten, räumt Wieser ein. Als selbstständige Apothekerin habe sie auf Vieles verzichten müssen. „In den letzten 18 Jahren hatte ich nie mehr als zehn Tage Urlaub am Stück. Meine Kinder sind heute 27 und 25 Jahre alt, sie mussten häufig zurückstecken. Das tut mir im Nachhinein noch weh.“

Unter finanziellen Nöten leide sie nach Ende der Apotheke nicht. „Ich muss nicht zum Sozialamt gehen, meine Existenz ist nicht zur Gänze vernichtet. Das gibt mir ein bisschen Gelassenheit“, bekundet sie. „Als weiteres Standbein habe ich noch Beteiligungen an anderen Apotheken im Innsbrucker Stadtgebiet. Da versuche ich auch Mitarbeiterinnen und Ware unterzubringen.“ Bis zur Schließung werde sie mit ihren Angestellten und Unterstützern weiterhin aktiv bleiben. „Wir werden alles tun, was wir tun dürfen“, kündigt Wieser an. „Da sind wir durchaus fantasievoll.“

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