1700 Grippeimpfungen – in einer Apotheke Patrick Hollstein, 02.09.2020 10:11 Uhr
Mit zahlreichen zusätzlichen Kompetenzen haben sich die Apotheker in Neuseeland in den vergangenen Jahren einen neuen Status erarbeitet. Dass sie auch gegen Grippe impfen dürfen, erweist sich in Zeiten von Corona als Glücksfall. Während hierzulande der entscheidende Moment zu verstreichen droht, weil nur ein einziges Modellprojekt für Herbst geplant ist, haben die Kollegen Down Under erfolgreich dazu beigetragen, die Ärzte zu entlasten und die Impfquote zu erhöhen.
Üblicherweise beginnt die Grippesaison in Neuseeland im Mai; ab April wird daher in den Arztpraxen und seit 2011 auch in den Apotheken geimpft. In diesem Jahr gab Ashley Bloomfield, Generaldirektor des Gesundheitsministeriums, aufgrund von Corona bereits im März den Startschuss – man wollte vermeiden, dass Grippe- und Corona-Patienten um Klinikbetten konkurrieren könnten. Explizit wies er auf die Möglichkeit der Impfung in der Apotheke hin.
Schnell sollte sich herausstellen, wie richtig er damit lag. Denn während vielerorts Arztpraxen und Gesundheitszentren wegen Corona vorübergehend schlossen und ihre Patienten nur noch per Videosprechstunde behandelten, blieben die Apotheken im Land durchweg geöffnet – irgendwoher mussten die Menschen ja ihre Medikamente bekommen. Zwar gab es Impfkampagnen seitens der Ärzte auf Parkplätzen, doch viele Menschen zogen es vor, sich ihre Spritze in der Apotheke geben zu lassen.
Alleine im Mai rechneten die Apotheken laut der Fachzeitschrift „Pharmacy Today“ knapp 122.000 Impfungen ab – was einem Anstieg von 335 Prozent entsprach. Der Anteil an den bis dahin insgesamt 1,4 Millionen verabreichten Impfdosen lag damit bei 14 Prozent – ein Jahr zuvor hatte er noch bei 6 Prozent gelegen. Neuere Daten gibt es noch nicht; Experten sprechen von „fantastischen Zahlen“, die die Position der Apotheken nachhaltig festigen dürften.
Offizieller Rekordhalter ist mit 1700 Impfungen bislang die Unichem-Apotheke von Jeff Whittaker in der Gemeinde Havelock North südlich von Napier an der Ostküste der Nordinsel. Der 80-jährige Inhaber gab gegenüber „Pharmacy Today“ zu Protokoll, man habe sich trotz aller Richtlinien stets bemüht, eine niedrigschwellige Anlaufstelle für die Patienten zu bleiben. „Wir haben die Patienten immer mit einem Lächeln begrüßt und sie nie als potenziell Infizierte behandelt.“
Dies sprach sich offenbar schnell herum, aus der gesamten Regionen kamen Menschen in die Apotheke, um sich impfen zu lassen. Selbst einige Ärzte schickten Patienten, die sie aufgrund der Umstände nicht selbst impfen konnten. Nachdem zunächst nur Risikogruppen – Menschen ab 65 Jahren, Schwanger und Chroniker – geimpft werden durften, waren ab Mai auch Impfungen für Selbstzahler erlaubt.
Engpässe gab es laut Whittacker überraschenderweise nie, auch weil sein Approbierter Matt Brown jeden Morgen pünktlich um 8 Uhr neue Bestellungen aufgab. Die Regierung hatte bereits im März 400.000 zusätzliche Impfdosen geordert, im Mai wurden – nach Engpässen vor allem aufgrund von Logistikproblemen – zusätzlich zu den bis dahin knapp 1,8 Millionen ausgelieferten Einheiten noch einmal 360.000 Dosen zur Verfügung gestellt, die ursprünglich für die Nordhalbkugel produziert worden waren.
Whittacker hofft, dass der Erfolg nachhaltig ist und dass er auch im nächsten Jahr ähnliche Zahlen erreichen kann. In der vorherigen Saison seien in seiner Apotheke rund 600 Menschen gegen Grippe geimpft worden; jetzt habe er bereits eine lange Liste mit Interessenten. Seine Kollegen ermutigt er, sich ebenfalls darauf einzulassen – immerhin seien Impfungen auch eine der wenigen Möglichkeiten, die Profitabilität der Apotheke zu verbessern und sich gleichzeitig gegenüber Discount-Anbietern abzugrenzen.
Tatsächlich scheint die Bereitschaft deutlich gestiegen zu sein. Bis Mitte Mai hatten laut „Pharmacy Today“ knapp 240 Pharmazeuten den erforderlichen Kurs neu absolviert – 1100 Apotheker haben damit jetzt die erforderliche Qualifikation. Jede zweite der rund 900 Apotheken im Land bietet mittlerweile Impfungen an. Auch andere Apotheker berichten von einem regelrechten Ansturm: Teilweise sollen Kunden im Halbstundentakt angerufen haben oder vorstellig geworden sein – mitunter mussten sie sogar vertröstet werden. Gerüchten zufolge gibt es sogar Apotheken, in denen aktuell bis zu 4000 Menschen gegen Grippe geimpft worden sein sollen.
Laut Jonathan Chilton-Towle, Autor des Berichts in „Pharmacy Today“, kam der Ansturm auf die Apotheken genau im richtigen Moment: Das Gesundheitsministerium sei sehr zufrieden mit der Entwicklung – was sich auch daran zeige, dass weitere Impfungen in der Offizin ermöglicht werden.