Totalausfall beim E-Rezept: „Man will uns kaputt spielen“ Sandra Piontek, 30.01.2024 11:50 Uhr
Seit knapp einer Woche kann Holger Motz, Inhaber der Löwen-Apotheke im sächsischen Meerane, kein einziges E-Rezept bearbeiten: „Ich habe einen Totalausfall. Das ist die reinste Katastrophe“, so der Apotheker. Für ihn ist klar: „Noventi ist hoffnungslos überlastet.“ Seine Kunden und Kundinnen muss er entweder in seine 15 km entfernte Filiale schicken oder vermehrt Botendienste auf sich nehmen, um die Versorgung mit Arzneimitteln trotz des Ausfalles aufrechtzuerhalten.
Schon seit dem 25. Januar sei er von der Telematikanbindung abgeschnitten: „Ich kann kein einziges E-Rezept in meiner Hauptapotheke bearbeiten“, ärgert er sich. Dabei habe er schon mehrfach die Kundenhotline seines Softwareanbieters Noventi kontaktiert: „Zuletzt sogar mehrmals täglich.“ Er habe zwar durchaus Mitarbeiter erreichen können, diese seien aber neu gewesen: „Es hat sich um neueingestelltes Personal gehandelt. Dieses war sehr freundlich, konnte mir aber überhaupt nicht weiterhelfen. Es haperte schlichtweg an der Kenntnis des Systems“, so Motz.
Er habe auch mehrere Tickets zu dem Problem erstellt: „Es hieß aber schon mehrfach, dass diese zusammengefasst wurden. Sie sind dann aber ohne Bearbeitung einfach verschwunden“, so der Apotheker. Schon im Dezember habe es ein technisches Problem gegeben: „Es gab einen Fehler im Backup-System. Es sollte eine Sicherung erstellt werden, diese wurde aber nicht weiter bearbeitet“, so der Inhaber. Das bedeutet: „Es sind etliche Rezepte einfach aus dem System verschwunden. Das ist ein erheblicher Verlust für uns.“
Noventi überlastet
Noventi sei seit der verbindlichen Einführung des E-Rezeptes laut Motz „hoffnungslos überlastet“, denn alle Bemühunghen seinerseits, das Problem mit Hilfe der Notfall-Hotline zu lösen, „laufen ins Leere“, so der Inhaber.„Das Vertrauen in die Funktionalität des Systems ist weg.“ Er habe großes Glück, dass die Telematikanbindung in seiner Filiale derzeit funktioniere: „Wir können E-Rezepte nur dort bearbeiten“, so der Inhaber. Zur Überbrückung sammle man deshalb tagsüber die anfallenden E-Rezept-Verordnungen: „Das ist solch ein enormer Mehraufwand. Soll eine Verordnung per eGK eingelöst werden, rufen wir entweder die Arztpraxis an und bitten um einen Papierausdruck oder behalten die Karten vorerst in der Apotheke“, so Motz.
Einmal am Tag fahre dann der Bote mit den gesammelten Verordnungen oder Karten in die Filiale, um die Medikamente zur Auslieferung vorzubereiten: „Das ist überhaupt keine praktikable Lösung, weil wir auch nicht sehen können, was überhaupt auf der Karte ist.“ Die umliegenden Arztpraxen seien größtenteils kooperativ: „Wir geben uns alle die größte Mühe, aber natürlich gehen die Patienten dann auch in eine andere Apotheke, nicht alle reagieren verständnisvoll. Und nicht jede Arztpraxis ist bereit, die Verordnung auszudrucken.“
Mehrere Apotheken betroffen
Motz sei auch nicht der einzige Inhaber, der die Telematik momentan überhaupt nicht nutzen kann: „Mir fallen auf Anhieb drei Apotheken in der Umgebung ein, von denen ich weiß, dass auch sie große Schwierigkeiten haben.“ Es sei, als wolle man die Apotheken kaputt spielen: „Unser Vertriebsmitarbeiter ist plötzlich nicht mehr erreichbar. Ich habe sogar Mails an die Geschäftsleitung von Noventi geschrieben, es kam einfach keine Antwort“, ärgert sich der Apotheker. Mit Papierrezepten sei man jedenfalls längst nicht so aufgeschmissen gewesen: „Eine Störung ist leichter überbrückbar mit dem Muster-16-Formular“, so Motz.
Mittlerweile sei ein Rechtsanwalt eingeschaltet worden: „Es ist schlicht geschäftsschädigend, wenn das E-Rezept nicht funktioniert. Zwar reagieren die meisten meiner Kunden noch verständnisvoll, aber wer ersetzt mir am Ende den Verlust der Rezepte?“
Schnellstmögliche Hilfestellung
Noventi betont, dass es „unser wichtigstes Anliegen ist, trotz des signifikanten Anstiegs von Kundenanfragen infolge der flächendeckenden Einführung des E-Rezepts in ganz Deutschland, unseren Kundinnen und Kunden schnellstmögliche Hilfestellung zu leisten“. Im Falle von Herrn Motz: „Wir haben am selben Tag auf sein Notfallticket reagiert und an der technischen Lösung gearbeitet“, so ein Sprecher.
Konkret: „Ein Datenbankdefekt war Auslöser des Ausfalls in der Löwen-Apotheke. Dieser hätte sich unter normalen Umständen durch ein Backup unkompliziert beheben lassen“, informiert der Sprecher. Bedauerlicherweise sei das letzte Backup der Löwen-Apotheke aber vor 30 Tagen erstellt worden. „In Anbetracht dieser Situation mussten wir sicherzustellen, dass keine Daten verloren gehen. Daher haben wir in Absprache mit der Apotheke entschieden, die aktuellen E-Rezeptdaten manuell zu erfassen.“
Man verstehe, dass dies zu erheblichen Unannehmlichkeiten führt: „Insbesondere bei der Bearbeitung von E-Rezepten, deshalb setzen wir alles daran, diesen Prozess so reibungslos wie möglich zu gestalten und stehen in engem Kontakt mit der Löwen-Apotheke, um sicherzustellen, dass alle erforderlichen Schritte zeitnah durchgeführt werden“, so der Sprecher.
Insgesamt habe das Unternehmen trotz der erheblich angestiegenen Kundenanfragen im Januar „die Reaktionszeiten“ sogar verbessert. „Denn wir haben bereits im Vorfeld verschiedenste Maßnahmen umgesetzt, u. a. haben wir unsere Kunden-Hotline zum E-Rezept-Start zum 02.Januar 2024 mit 18 zusätzlichen Mitarbeitern verstärkt. Um das Anruf- und Ticketaufkommen zu verringern, stärken wir zudem den Self-Service: Dafür werden, basierend auf den Erfahrungen im Januar, E-Rezept-Checklisten und E-Rezept-FAQs an alle unsere Apotheken verschickt. Alle Informationen sind auf mein-NOVENTI.de für unsere Kunden stets tagesaktuell verfügbar“, so der Sprecher.