Patient testet E-Rezept

Testbericht: Patient verzweifelt am E-Rezept

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Berlin -

Das E-Rezept startet ohne echte Verordnungen, sondern mit Techniktests – vonseiten der Gematik, aber auch von Softwarehäusern wie Noventi. Patient Lars Reinicke* wollte es selbst wissen: Er hat sich aus Versichertenperspektive auf die E-Rezept-Reise begeben, von der Einrichtung der NFC-fähigen Gesundheitskarte bis hin zur Ausstellung eines E-Rezepts in einer Berliner Arztpraxis. Sein Fazit: „Das ruckelt alles noch sehr und läuft nicht stabil. Vom Versorgungsalltag ist das noch weit entfernt.“

Reinicke ist GKV-Versicherter, Chroniker und arbeitet in leitender Funktion im gesundheitsnahen IT-Bereich – in einem Unternehmen, das in der Apothekenbranche durchaus bekannt ist. Interesse und Verständnis für das E-Rezept hat er deshalb weit über das Niveau eines Durchschnittsversicherten hinaus – allerdings will er aus demselben Grund auch seinen echten Namen und den seines Unternehmens nicht in der Presse sehen. Da er aber beruflich viel mit dem E-Rezept zu tun hat, war der 1. Juli für ihn ein großes Datum: Endlich sollte es losgehen. Dass der E-Rezept-Start dann sukzessive zusammengestrichen war, bis nur ein Techniktest mit einer Apotheke, einem Arzt und einem Versicherten übrig blieb, hielt ihn nicht von seinem Testlauf ab – denn Arztpraxen mit der richtigen Software können auch jetzt schon E-Rezepte erstellen, die Apotheken dann abrufen, aber nicht bedienen und abrechnen – theoretisch zumindest.

Doch um das aus Patientensicht zu testen, musste Reinicke erst einmal eine Hürde nehmen, die neben ihm nur wenige Tausend der über 72 Millionen GKV-Versicherten genommen haben: Er brauchte eine elektronische Gesundheitskarte mit freigeschalteter NFC-Funktion, um die Gematik-App voll nutzen zu können. Fast drei Wochen vor dem E-Rezept-Start begann er, sich darum zu kümmern. „Ich bin zwar bei einer der großen Kassen versichert, musste aber feststellen, dass meine Karte gar nicht NFC-fähig ist, obwohl ich sie erst vor knapp einem Jahr neu erhalten habe“, erzählt er. Doch schon der Antrag war nicht so leicht zu finden: „Ich habe es erst über die Kassen-App versucht, das hat aber nicht geklappt. Dann habe ich eine Kundenberaterin kontaktiert, die aber auch nicht so recht wusste, was es damit auf sich hat. Sie sagte, ich solle mich an den zentralen Support der Kasse wenden.“ Also tat er das per Mail und erhielt tatsächlich recht zügig die Antwort, dass er eine neue Karte bekommt.

Die kam dann auch nach wenigen Tagen – und anders als manch andere Krankenversicherung ermöglichte seine auch ein digitales Verfahren zur Beantragung des PIN für die Freischaltung über das Versichertenportal, allerdings nicht sofort. „Die ersten zwei, drei Tage kam bei jedem Versuch eine Fehlermeldung, erst danach funktionierte es. Eine kleine Randnotiz: Auch für die Ausstellung digitaler Impfzertifikate haben einzelne Apotheken Videoident-Verfahren oder telepharmazeutische Lösungen genutzt. Amtsapotheker und später der Gesetzgeber haben das unterbunden mit der Begründung, dass diese Verfahren keine ausreichend sichere Verifizierung für die Impfzertifikate erlauben würden. Für den Empfang und Versand von Arzneimittelverordnungen sind sie aber anscheinend sicher genug. „Ich hatte bei dem Videoident-Verfahren keinen Kontakt zu einem echten Menschen, das lief voll automatisiert. Ich vermute, eventuell sogar KI-basiert“, sagt Reinicke.

„Letztlich dauerte es von der Beantragung bis zur Freischaltung der neuen Karte rund zwei Wochen, lief aber verhältnismäßig reibungslos“, erzählt er. Das konnte man vom nächsten Schritt nicht mehr behaupten: Denn mit der freigeschalteten Karte müssen sich Versicherte in der Gematik-App authentifizieren, um E-Rezepte medienbruchfrei nutzen zu können, also sie digital zu empfangen, sich deren Inhalt anzeigen zu lassen und sie weiterzuleiten. Ansonsten besteht nur die Möglichkeit, mit der App den QR-Code zu scannen und zu speichern – so wie es die CovPass-App mit den digitalen Impfzertifikaten auch tut.

Erst einmal brauchte er dazu die App, die seit dem 1. Juli in den Stores ist. Reinicke hat sie auf zwei verschiedenen Betriebssystemen getestet, weil er zwei Smartphones hat: ein iPhone 11 und ein Huawei P20 – zwei aktuelle Modelle. „Dabei ist mir aufgefallen, dass die Darstellung der App ziemlich unterschiedlich ist. Das hat natürlich mit den Betriebssystemen zu tun, ich habe mich damit aber trotzdem etwas schwergetan.“ Doch das war nicht das Problem: Denn sich mit der Karte in der App zu authentifizieren, hat sich als nicht so einfach erwiesen, wie es meist dargestellt wird: Eigentlich muss man nur den Code eingeben, der auf der Vorderseite der eGK unter den Nationalfarben abgebildet ist, und dann die Karte ans Smartphone halten. Danach muss man die Karte zur Nutzung der App nur noch einmal kurz ans Telefon halten, die PIN eingeben und es kann losgehen. Doch die Technik will offensichtlich nicht immer so einfach funktionieren, wie es angedacht ist.

„Erst einmal muss man wissen, wo man NFC einschalten muss: Bei Android gibt es oft einen Button wie bei Bluetooth, bei Apple ist die Funktion ab dem iPhone 8 immer automatisch eingeschaltet – allerdings braucht man bei älteren Modellen teilweise eine eigene App, um die NFC-Funktion im Telefon zu nutzen“, erklärt Reinicke. Er selbst habe auf dem Huawei-Telefon erst einmal in den Einstellungen suchen müssen, wie er die Funktion aktivieren kann. Die Eingabe des Karten-Codes lief dann ohne Probleme, dafür hakte die Erkennung: „Als ich die Karte ans Android-Telefon hielt, piepste und vibrierte es kurz, es schien also etwas erkannt zu haben.“ Doch statt der Bestätigung kam ein weißer, leerer Bildschirm, mit zwei Zeilen oben links: „Neues Tag erfasst“ und „Leeres Tag“. Ein erneuter Versuch brachte eine neue Fehlermeldung: „Karte nicht lesbar“. So ging es weiter. „Irgendwann kam ein Hinweis, dass ich die Karte bewegen soll, da der NFC-Leser je nach Telefon an unterschiedlichen Stellen sein kann. Generell ist er bei Android-Telefon eher in der Mitte, bei iPhones eher oben. Das habe ich beachtet – aber es hat trotzdem nicht geklappt.“

Der nächste Hinweis der App half da schon weiter: „Tipp“, stand da, „Gerätehüllen können gegebenenfalls die Verbindung über NFC erschweren.“ Und tatsächlich war das der Fehler: Reinicke hatte sein Telefon in einer handelsüblichen Handyhülle. Die musste er also abnehmen. „Danach hat es einmal funktioniert. Ich war dann zwar eingeloggt, aber konnte noch nichts machen, weil ich ja noch keine Rezepte hatte.“ Beim iPhone war noch mehr Fingerspitzengefühl nötig. „Ich habe ungefähr zehn Versuche gebraucht, bis es geklappt hat“, sagt Reinicke. „Ich habe es nicht geschafft, die Karte einzulesen, bevor mir ein Kollegen verraten hat, dass der Leser ganz oben an der Kante ist und ich die Karte leicht schräg, ungefähr im 45-Grad-Winkel an die obere Kante halten muss.“ Auch nach der ersten Authentifizierung sei es jedes Mal problematisch gewesen, die App mit der eGK zu benutzen. „Von zehn Versuchen mit dem iPhone haben acht nicht funktioniert. Mit Apple hat es gar keinen Spaß gemacht.“

Aber auch auf dem Android-Smartphone sei die Nutzung der App mit der Karte alles andere als bequem. „Ich muss jedes Mal die Handyhülle abnehmen, sonst erkennt das Telefon die Karte nicht. Aber auch ohne Hülle funktioniert es nicht gut. Die App sagt jedes Mal, dass es zu sehr ruckeln würde, also muss ich das Handy jedes Mal auf den Tisch legen und die Karte langsam drauflegen, damit sie erkannt wird.“ Sein Fazit zur NFC-Funktion: „Das ist alles sehr fummelig und viel zu kompliziert. Selbst jemand wie ich, der sehr technikaffin ist, hat damit seine Probleme. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine 80-jährige Oma das ohne Weiteres hinbekommt. Und wenn das bei einem jungen Menschen so abläuft, dann löscht der die App gleich wieder. Die werden nicht diesen Aufwand betrieben, um das zum Laufen zu bringen.“

Aber immerhin hat es am Ende leidlich funktioniert – also war der Weg frei für den E-Rezept-Test. Der begann direkt am 1. Juli, allerdings vorerst nicht vor Ort. Stattdessen hat Reinicke gemeinsam zuerst einem Kollegen und einem Berliner Zahnarzt als Testpatient gedient. „Dazu kam es, weil sie natürlich jemanden mit NFC-fähiger eGK brauchten – und ich war der Einzige, den sie gefunden haben.“ Tatsächlich lief der erste Versuch recht rund: Der Zahnarzt hat in seinem Praxisverwaltungssystem ein E-Rezept erzeugt, es auf dem E-Rezept-Server abgelegt und dann wieder gelöscht – es ging erst einmal nur darum, mit echten Versichertendaten eine Verordnung auszustellen und zu schauen, ob die Infrastruktur mitspielt. Das tat sie auch. „Zumindest die Wegstrecke Arzt-Fachdienst hat am 1. Juli super funktioniert.“

Also schien der Weg frei, zu testen, wie weit er mit einem echten E-Rezept kommen würde. Bis zur Abrechnung etwa? „Wir dachten uns, wenn es beim Zahnarzt funktioniert, dann versuchen wir es doch mal vor Ort beim Hausarzt.“ Reinicke brauchte tatsächlich eine neue Verordnung für ein Medikament, er ist wie gesagt Chroniker. Er ging also zu dem Arzt, an den er über eine gemeinsame Bekanntschaft kam, und ließ sich dort standardmäßig behandeln. „Der Arzt ist nicht offizieller E-Rezept-Tester, aber das spielt genau genommen keine große Rolle, denn wenn er die notwendige Hard- und Softweare hat und an die Telematikinfrastruktur angeschlossen ist, kann er auch E-Rezepte erstellen und die auf dem Fachdienst ablegen“, sagt Reinicke.

So gesehen könne zumindest beim Arzt bereits eine komplette E-Rezept-Ausstellung durchgeführt werden. Und Reinicke legte Wert darauf, dass alles ganz gemäß dem echten Versorgungsalltag abläuft. „Ich wurde als neuer Patient in dieser Praxis angelegt, es lief also alles ganz realitätskonform. Im Gespräch mit dem Arzt hatte ich sogar das Originalpräparat dabei und ihm erklärt, dass ich das seit Jahren nehme, und nun ein neues brauche, weil es leer ist. Es war also ein komplett regelkonformer Arzt-Patient-Kontakt.“

Nachdem alles seine Ordnung hatte, konnte der Arzt beginnen, ihm eine elektronische Verordnung für sein Medikament auszustellen – doch es passierte: nichts. Der Mediziner nutzt das Praxisverwaltungssystem von Medatixx, die Erstellung des E-Rezepts selbst erfolgte über eine eingebettete, zugelassene und bereits funktionsfähige Verordnungssoftware. Und die lief auch, der Arzt konnte sämtliche Daten in die Eingabemaske geben und das Rezept damit generieren.

„Als er versucht hat, die Fachdienste zu erreichen, ging es los mit den Fehlermeldungen. Erst kam gar nichts, dann Timeout-Meldungen.“ Unzählige Male hätten die beiden es probiert, sagt Reinicke. „Letztlich kam raus, dass der Rise-Fachdienst nicht erreichbar war. Es ging immer kurz für ein paar Sekunden, als er es dann versucht hat, ging es wieder nicht.“ Der Rise-Fachdienst ist der Verzeichnisserver. Über den muss der ausstellende Arzt sich erst authentifizieren, bevor er auf den eigentlich E-Rezept-Fachdienst, den IBM-Server, zugreifen kann.

Nach zahlreichen Versuchen habe es dann tatsächlich geklappt, den Verzeichnisserver zu erreichen und sich zu authentifizieren. Nun also wollte der Arzt das E-Rezept auf dem Verzeichnisserver abgelegen, um dann aus der Praxissoftware den Zugangstoken auf Reinickes Smartphone schicken zu können. Doch nichts davon ging. „Es kam dann ständig eine Meldung, dass der E-Rezept-Fachdienst nicht erreichbar sei.“ Erneut hätten sie es unzählige Male versucht, letztlich hat Reinicke sogar persönlich das TI-Equipment und die Software unter die Lupe genommen, um sicherzugehen, dass es kein Problem in der Praxis gibt. Das sei auch tatsächlich sei so gewesen, versichert er. „Die Technik vor Ort lief einwandfrei, es hat also eindeutig daran gelegen, dass der E-Rezept-Fachdienst wirklich nicht erreichbar war.“ Warum das so ist, darüber könne er selbst auch nur spekulieren. „Naheliegend ist, dass es Probleme gab und der Server offline genommen wurde, um die zu beheben.“ Allerdings, das muss eingeräumt werden: Es war der zweite Tag der Testphase, der Vorgang wäre also alles andere als ungewöhnlich. Nicht umsonst läuft der E-Rezept-Start schließlich als Mini-Test mit jeweils einem Apotheker, Arzt und Versicherten.

Reinicke half das in dem Moment natürlich nicht weiter, nachdem er es gemeinsam mit dem Arzt bis zur Verzweiflung versucht hatte, verließ er die Praxis unverrichteter Dinge. „Ich bin dann ohne Medikamente nach Hause gegangen, weil wir es nicht mehr zum Laufen gebracht haben. Wenn man sich die Berichterstattung großer Medien von RTL bis RBB anschaut, ist das schon kurios: Da klang es so, als ob es ab dem 1. Juli die ersten E-Rezepte gibt. Davon kann überhaupt nicht die Rede sein.“

Entsprechend fällt auch sein abschließendes Fazit aus: „Das ist noch sehr weit weg von der Regelversorgung.“ Auch wenn es geklappt hätte, ein E-Rezept auszustellen und eventuell sogar zu bedienen, sehe er noch nicht wirklich, wie sich das Konzept unter den jetzigen Voraussetzungen bewähren soll. „Es sind schon von der Freischaltung der eGK bis zum Erhalt eines E-Rezepts in der App viel zu viele Einzelschritte notwendig“, sagt er. „Man braucht wirklich viel eigenes Interesse und Ausdauer. Die allermeisten werden wahrscheinlich nach der zweiten Fehlermeldung aufgeben und einfach den Papierausdruck verwenden.“ Was eigentlich als Behelf gedacht ist, sei in Wirklichkeit viel anwenderfreundlicher – er habe deshalb Zweifel, dass sich die Gematik-App etablieren werde. „Mit dem Papierausdruck ist es viel bequemer. Dann brauche ich keine andere App, sondern gar keine App. Ich gucke einfach bei Google Maps, wo die nächste offene Apotheke ist und gehe mit dem Ausdruck dahin – oder wenn ich Versandkunde bin, dann halte ich einfach die DocMorris-App an den Ausdruck.“

*Sowohl der echte Name des Versicherten als auch des Unternehmens sind der Redaktion bekannt.

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