So viel Ertrag frisst das E-Rezept Alexander Müller, 12.04.2022 10:01 Uhr
Alle warten auf das E-Rezept: Versandapotheken, Plattformen, neue Lieferkonzepte – alle erwarten sich erhebliche Schübe für ihr Geschäftsmodell. Was die Umstellung auf digitale Prozesse für die einzelne Apotheke bedeuten kann, hat Solvena (Apothekenservices der Insight Health) mit Blick auf betroffene Sortimente in einer potenziell digital affinen Kundengruppe errechnet.
Seit Jahren fristet der Onlinehandel mit Rx-Präparaten ein Schattendasein und dümpelt bei etwa 1,5 Prozent Marktanteil vor sich hin. Nach dem Boni-Verbot waren die Rx-Umsätze der großen Versender zuletzt sogar rückläufig. Als Begründung, warum sich der Onlinehandel im Arzneimittelmarkt bislang nicht durchgesetzt hat, wird häufig der vergleichsweise hohe Altersdurchschnitt der Kund:innen angeführt.
Solvena hat diese Annahme mit Blick auf die Verordnungszahlen einer genaueren Analyse unterzogen. Datenbasis sind longitudinalen Patientendaten von Insight Health zum GKV-Markt. Die Ergebnisse sind sehr aufschlussreich und zeigen, dass sich die Apotheken möglichst ideal auf die Einführung des E-Rezepts einstellen sollten.
Der Anteil multimorbider Patient:innen in den älteren Bevölkerungsgruppen ist in der Tat überdurchschnittlich hoch. Entsprechend entfallen 42 Prozent der Verordnungen auf Menschen ab 70 Jahre. Für diese Gruppe dürfte die oben genannten Annahme einigermaßen zutreffen. Aber: Die drei Altersgruppen darunter machen zusammen den gleichen Anteil an Verordnungen aus, nämlich in Summe etwas mehr als 43 Prozent.
Im Einzelnen:
- 40-49 Jahre: 7 Prozent
- 50-59 Jahre: 16 Prozent
- 60-69 Jahre: 20 Prozent
Innerhalb dieser Zielgruppe muss laut Solvena von einer generell höheren Digital-Affinität ausgegangen werden, da hier der Einkauf über digitale Kanäle in allen Branchen – und auch im OTC-Versandhandel – etabliert ist. Die Betrachtung des Arzneimittel-Konsums dieser Zielgruppe sei daher besonders aufschlussreich.
Gemessen an der Gesamtbevölkerung nehmen 30 Prozent ein bis zwei Medikamente ein, weitere 9 Prozent drei Medikamente und 5 Prozent vier Medikamente. Der Anteil Multimorbider mit mehr als fünf Medikamenten liegt bei 9 Prozent.
Solvena hat sich im 54 Milliarden Euro schweren Rx-Geschäft die Top 10 Wirkstoffe (nach ATC-Klassifikation mit Tagesdosen) herausgegriffen und in diesen Patienten-Gruppen wiederum die 100 am häufigsten dispensierten PZN. Der Umsatzanteil dieser 1000 Arzneimittel am Rx-Markt beträgt nach Berechnungen von Solvena 18 Prozent und sogar 42 Prozent am Absatz. Auf die schon zuvor isoliert betrachtete Gruppe der 40- bis 69-Jährigen, entfällt davon knapp die Hälfte (47 Prozent) der Packungen.
Das entspricht einem Marktvolumen von 4,6 Milliarden Euro oder 148 Millionen Packungen. Auf die einzelne Apotheke heruntergerechnet sind es circa 5700 Rezepte im Jahr oder 470 im Monat bei durchschnittlich 1,41 Verordnungszeilen pro Rezept. Für eine typische Stadtteil-Apotheke mit 3,2 Millionen Euro Nettoumsatz machen die Top 1000 Arzneimittel für die Altersgruppe 40-69 damit geschätzt jeden Monat rund 800 Rezepte pro Monat aus.
Ein Viertel des Rohertrags betroffen
Der Rx-Umsatz dieser Präparate für diese Kohorte beläuft sich auf 420.000 Euro bei 14.000 Packungen. Ausgehend von 9900 Rezepten pro Jahr und 1,41 Verordnungszeilen, ferner einem durchschnittlichen Packungspreis von 30,34 Euro und einem Rohertrag daran von 7,28 Euro (30,7 Prozent), ergibt sich laut Solvena ein Rohertrag von etwa 100.000 Euro jährlich. Mit anderen Worten: Knapp ein Viertel (24 Prozent) des Rohertrags vom gesamten Rx-Rohertrag macht diese Stadtteil-Apotheken mit diesen 1000 Medikamenten aus der „mittelalten“ Patientengruppe – also etwa 8500 Euro jeden Monat.
Das Fazit der Analyse: In der Gruppe der Patient:innen zwischen 40 und 69 Jahren kann man davon ausgehen, dass zumindest mittelfristig ein substanzieller Anteil auch Rx-Bestellungen digital aufgeben wird. Wie stark dies einzelne Apotheken betrifft, kann man anhand der zuvor genannten Zahlen einfach bestimmen: Wenn 20 Prozent digital bestellen, betrifft das rund 20.000 Euro Rohertrag im Jahr, bei 50 Prozent entsprechend etwa 50.000 Euro. Die Apotheken müssen also eine Strategie entwickeln, wie sie digital auf ihre Kund:innen und insbesondere die analysierte Zielgruppe zugehen.