In der Rathaus-Apotheke in Hagen gab es bereits etliche verlorene E-Rezepte aufgrund der Secret-Datei-Problematik. Inhaber Christian Fehske ist das Problem schon seit Anfang Januar bekannt: „Diese sogenannten Einzel-Fälle, ereignen sich bei uns momentan täglich.“ Der Inhaber mutmaßt: „Wahrscheinlich ist eine Unterbrechung der Internetverbindung dafür verantwortlich.“ Bis er jedoch den Grund für den Fehler erfuhr, vergingen Wochen: „Ich glaubte lange, es lag daran, dass die Arztpraxen Rezepte der Zukunft ausstellten, also Mehrfachverordnungen, die erst später gültig werden“, so der Inhaber.
Am 4. Januar sei Fehske erstmals auf den Fehler aufmerksam geworden: „Zunächst dachte ich, es handelt sich bei den fehlgeladenen Verordnungen, um Rezepte der Zukunft“, so der Inhaber. Will heißen: „Wenn Arztpraxen Mehrfachverordnungen ausstellen, so werden diese quartalsweise gültig und als Teil der Mehrfachverordnung angelegt. Liegt das Datum der Abrufbarkeit in der Zukunft, kann ich es nicht beliefern“, erklärt er. In den genannten Fällen handelte es sich aber nicht um Dauermedikationen: „Es waren Arzneimittel zum sofortigen Gebrauch verschrieben. Das ist besonders ärgerlich, wenn der Patient Freitagabend in die Apotheke kommt“, so Fehske, da „die Arztpraxen dann in der Regel nicht mehr erreichbar sind.“
Was folgte, waren mehrere Gespräche mit den lokalen Verordnern. „Ich habe einen Ausdruck als Fehlerprotokoll mit in die Praxen genommen, um zu erklären, dass Rezepte falsch ausgestellt wurden.“ Die Ärzt:innen reagierten überrascht: „Viele wussten von der Mehrfachverordnung per E-Rezept überhaupt nichts. In der ersten Zeit waren alle verunsichert, die Patienten, wir und die Ärzte gleichermaßen“, so der Apotheker.
Anfangs reagierten die Praxen noch mit Verständnis: „Man kennt mich, glaubte mir und fertigte eine neue Verordnung an“, so Fehske. Als dann kurze Zeit später erneut exakt derselbe Fehler auftrat, war auch das Entgegenkommen erschöpft: „Eine Ärztin hatte in der Zwischenzeit mit dem Softewareanbieter gesprochen und es läge nicht an ihrem System“, so der Apotheker. Sie weigerte sich daraufhin eine neue Verordnung auszustellen: „Zudem habe man mit dem Softwareanbieter nachvollziehen können, dass das angeblich verloren gegangene Rezept bereits abgerufen wurde. Die Patientin und ich standen hilflos da“, so Fehske „denn sie bekam keine neue Verordnung.“
Fehske bot daraufhin an, das „Zukunfts-Rezept“ vorab zu beliefern und es bis zum Gültigkeitsdatum liegenzulassen: „So war wenigstens die Patientin versorgt.“ Mit Erreichen der angeblichen Abrufbarkeit folgte dann die Betstätigung seiner Vermutung: „Es hatte sich zwischenzeitlich ein ganzer Stapel solcher Rezepte angesammelt. Es konnte kein einziges abgerufen werden“, so der Apotheker, der mittlerweile auch die ganze Bandbreite von Kundenreaktionen erfuhr: „Es gibt natürlich verständnisvolle Menschen, denen kann man das erklären. Aber wir hatten auch psychisch kranke Patienten, deren E-Rezepte gesperrt waren, da hilft einem eine Erklärung wenig“, so der Inhaber.
Fehske schaute sich bisher jeden einzelnen Fall im Warenwirtschaftssystem an: „Mehr als 100 E-Rezepte gingen mir durch die Secret-Datei-Problematik schon verloren. Besonders prekär: „Mutmaßlich kommt es dadurch auch zu Therapieverzögerungen, die im Endeffekt der gematik geschuldet sind“, so der Inhaber. Eine mögliche Ursache: „Unterbrechungen der Internetverbindung. Meine IT-Expertin erklärte mir, dass beim Zugriff auf die E-Rezepte ein VPN-Tunnel entsteht, unterbricht jedoch die Verbindung, kann die Secret-Datei verloren gehen“, so Fehske.
Was ihn am meisten wundert: „Warum erfahren wir alle davon eigentlich erst jetzt?“ Dass Fehler bei Neueinführungen passieren, sei nicht das Problem, sondern die schlechte Informationspolitik: „Ich habe den Fehler das erste mal vor sieben Wochen bemerkt, und mich inzwischen auch mit einer ganz konkreten Fehlerbeschreibung an die Gematik gewandt. Es wurde nichts öffentlich gemacht und keine Info weitergegeben“, so Fehske. Das Schlimme daran: „Der Patient kann am allerwenigisten dafür. Er kann noch so gut auf seine Verordnung aufpassen, ist die Secret-Datei verloren, fängt die Misere an“, so der Inhaber.
Er bezieht sich dabei auch auf die Vorgehensweise beim Papierrezept: „Ging ein Papierrezept verloren und konnte glaubhaft dargelegt werden, dass es weg ist und nicht eingelöst wurde, dann hat die Arztpraxis ein neues ausgestellt und Duplikat draufgedruckt“, so der Apotheker. „Aus Angst vor Regressen, weigern sich viele Ärzte in solchen Fällen so vorzugehen, wir haben dann das Nachsehen.“
Warum die Gematik dazu bisher noch nicht öffentlich informiert hat: „Der Vorgang scheint einzelne Apothekensysteme zu betreffen. Angaben zur Anzahl seitens der Hersteller liegen uns noch nicht vor. Wir stehen im Austausch mit den Beteiligten“, so eine Sprecherin auf Nachfrage.
Zudem sei die Dringlichkeit des Updates, welches Ende März erscheinen soll, in Zahlen nicht belegt, so die Gematik. „Es wird eine Lösung geschaffen für die Apothekensysteme, die den gelegentlichen Verlust des Secrets melden. Die Bereitstellung des Updates erfordert die Spezifikation und Abstimmung mit allen Beteiligten“, so eine Sprecherin. Dies umfasse die Entwicklung, den Test und die Zulassung durch die Gematik und vor allem: „die Anpassung der Apothekensysteme und deren Rollout der Funktion“, so die Sprecherin.
Ob mit dem Update gewährleistet werden kann, dass wenn ein Secret erneut geladen werden muss, das Rezept nicht auch mehrfach genutzt wird antwortet die Sprecherin: „Am generellen Prinzip, dass ein E-Rezept zu einem Zeitpunkt nur von einer Apotheke bearbeitet und beliefert werden kann, ändert sich mit der neuen Funktion nichts. Da nur die Apotheke (erkennbar anhand der TelematikID) im Falle des Verlusts des Secrets dieses erneut am Fachdienst abrufen kann, ist die Belieferung durch eine andere Apotheke ausgeschlossen“, so die Sprecherin. Eine Doppelbelieferung innerhalb der gleichen Apotheke vermeide das Apothekensystem bzw. verhindere beim Quittieren auch der Fachdienst, erklärt die Sprecherin.
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