Online-Sprechstunde und das Rezept direkt zur Versandapotheke – ganz so einfach ist das noch nicht. Denn der Bundesgerichtshof (BGH) hat der ausschließlichen Fernbehandlung enge Grenzen gesetzt. Die Plattform Medikamendo konzentriert sich deshalb zunächst auf Folgerezepte. APOTHEKE ADHOC hat das Konzept getestet und mit den Verantwortlichen über ihre eigene Variante des E-Rezepts gesprochen.
„Arzt – Rezept – Lieferung“ lautet das Versprechen auf „verschreibungspflichtige Wiederholungs-Medikamente“. Sechs verschiedene Behandlungen stehen zur Auswahl: Bluthochdruck, Cholesterin, Sodbrennen, Diabetes Typ 2, Schilddrüse und sogar Covid-19. Im Test wählen wir Sodbrennen. Unser behandelnder Arzt ist – wie bei allen anderen Krankheitsbildern – Dr. Dietmar Schubert. Er betreibt im schwäbischen Ehingen eine allgemeinmedizinische Praxis.
Wir klicken uns durch den Fragebogen: biologisches Geschlecht, Größe, Gewicht, Mehrfachauswahl bei den Symptomen. Medikamendo will wissen, wann und wie oft die Beschwerden auftreten. Wir wählen „nach dem Essen“ und „im Liegen“ und „3-4 mal pro Woche“. Anderen zur Auswahl stehenden zehn Symptomen wie „Bluthusten“ oder „Schmerzen in der Brust“ sind „red flags“. Werden sie ausgewählt, heißt es sofort: „Unsere Partner-Ärzte können Ihnen leider keine Verschreibung erteilen! Bitte wenden Sie sich mit dieser Beschwerdesymptomatik an Ihren Haus- oder Facharzt.“ Und die Sprechstunde ist beendet, beziehungsweise muss neu gestartet werden. Denn theoretisch kann man selbst bei einer Bestellung der streng reglementierten Covid-19-Medikamente Paxlovid und Lagevrio durch Ausprobieren die Klickstrecke herausfinden, die zur Verordnung führt.
Da es sich um eine Folgeverordnung handelt, geben wir in den nächsten Fragen an, dass wir bereits Pantoprazol 40mg verordnet bekommen, aber keines der aufgeführten kontraindizierten Arzneimittel. Wir haben weder Allergien noch Lebererkrankungen und schwanger sind wir auch nicht. Pantoprazol nehmen wir bereits „länger als 4 Wochen“ ein, bislang ohne Unverträglichkeiten. Beschwerden sind vom Facharzt abgeklärt, der Blutdruck wurde innerhalb eines halben Jahres schon einmal gemessen und war okay. Weitere Erkrankungen oder Medikationen geben wir nicht an und auch sonst gibt es keine Fragen.
Dr. Schubert kann uns ein Kassenrezept ausstellen. Wir geben Versicherungs- und Versichertennummer ein und können danach zwischen „Kostenloser Direktversand“ und „Abholung in der Apotheke“ wählen. Ersteres übernimmt Bienen-Apotheker Michael Grintz aus München, der nach eigenen Angaben einfach gern alle verfügbaren Angebote ausprobiert. Die weitere Apotheken-Auswahl bei Medikamendo ist Hamburg-lastig, aber in Berlin gibt es auch eine Apotheke, die uns versorgen will.
Als Nächstes müssen wir gegenüber Medikamendo belegen, dass es sich tatsächlich um eine Folgeverordnung handelt. Das Foto eines Arztbriefes oder Medikationsplans ist gefragt. Es geht aber auch ohne Preisgabe unseres Hausarztes: „Alternativ können Sie auch Ihre Medikamentenverpackung neben Ihrem Ausweis fotografieren.“ Das machen wir.
Die Behandlungsanfrage wird abgeschlossen. Per Mail werden wir informiert: „Unsere Partner-Ärzte werten jetzt Ihre Angaben aus dem medizinischen Fragebogen aus. Haben unsere Partner-Ärzte keine Einwände und ist das angefragte Medikament für Sie geeignet, bekommen Sie ein Rezept.“ Das ist um 12:54 Uhr. Um 12:55 Uhr folgt eine zweite Mail: „Unsere Partner-Ärzte haben Ihre Angaben aus dem Fragebogen geprüft, die Diagnose bestätigt, ein Rezept ausgestellt und an die Apotheke weitergeleitet. Die Apotheke macht Ihre Bestellung versandfertig.“
Doch eine Stunde später meldet sich Medikamendo noch einmal. Dr. Schubert benötigt zum Ausstellen des Rezeptes ein anderes Bild. Die abgebildete Packung entspricht nicht dem angefragten Medikament. Tatsächlich haben wir eine 20mg-Packung fotografiert, aber das lässt sich leicht beheben. 14:05 Uhr schicken wir ein neues Foto. 14:06 Uhr: „Ihr Rezept wird ausgestellt.“
Danach kehrt Ruhe ein. Das Rezept soll automatisch an die gewählte Apotheke gehen. Wir werden informiert, wenn das Medikament abholbereit ist. Am späten Vormittag des nächsten Tages fragen wir nach. Das Supportteam reagiert wieder sehr schnell und will bis zum Mittag prüfen, ob und wo das E-Rezept hängt. Keine halbe Stunde später bekommen wir die Information: „Ihre Lieferapotheke hat Ihre Bestellung erhalten.“ Sechs Minuten später liegt unser Pantoprazol zur Abholung bereit.
In der Apotheke klärt sich der Grund für die Verzögerung auf: Nach einer IT-Umstellung kommen die Rezepte manchmal nicht durch die Firewall. Ein Ausdruck wird später in die Apotheke gebracht. Was es mit diesen Rezepten auf sich hat, dazu später mehr. Da wir keine weiteren Fragen zum Medikament haben und die Einnahme bekannt ist, bekommen wir die 30er-Packung Pantoprazol 40mg ausgehändigt.
Die Praxis von Dr. Schubert wollte sich auf Nachfrage nicht im Detail dazu einlassen, wie die Prüfung der Medikamendo-Anfragen in den Praxisalltag integriert ist und wie viele Rezepte täglich über diesen Weg ausgestellt werden. In welchen Fällen gibt es eine Videokonsultation? Und wie gelangen die Rezepte in die Apotheke? Kann jede Apotheke die Rezepte erhalten? Zu diesen und weiteren Fragen schreibt eine Mitarbeiterin des Arztes nur: „Unsere Praxis hat sich zum Ziel gesetzt, die Patientenversorgung im ländlichen Raum langfristig sicher zu stellen und mit Hilfe neuer, digitaler Tools und strukturierter interner Prozesse die Patientenanfragen, wie z.B. Rezeptanfragen zügig zu bearbeiten. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich auf die internen Unternehmensprozesse an dieser Stelle nicht weiter eingehe.“
Dafür nimmt sich Hanno Behrens, CEO von Medikamendo, viel Zeit, das Projekt zu erklären. Behrens bringt auch den Medizinrechtler Professor Dr. Jens Prütting mit ins Gespräch, der die rechtliche Bewertung insbesondere der Rezeptausstellung vorgenommen hat. Behrens spricht von einem „proprietären E-Rezept“, das ausgestellt wird. Das sei eine „Brückentechnologie“, bis sich das eigentliche E-Rezept in der Praxis etabliert hat. Können Ärzte heute schon über die Telematikinfrastruktur Verordnungen ausstellen, sei das mit Medikamendo ebenfalls möglich.
In unserem Fall hat der Arzt sein digitales Rezept mit einer qualifizierten Signatur versehen. Prütting verweist auf §10 Arzneimittelverschreibungsverordnung, wonach ein Rezept „die eigenhändige Unterschrift der verschreibenden Person oder, bei Verschreibungen in elektronischer Form, deren qualifizierte elektronische Signatur“ enthalten muss. Nur an die Übermittlung an die Krankenkasse habe der Gesetzgeber bei der elektronischen Variante schlicht nicht gedacht, so Prütting.
Deshalb bedruckt die Apotheke selbst ein Muster-16-Blankorezept mit den übermittelten Angaben – inklusive der Signatur des Arztes. Zentraler Punkt für Prütting: „Die Apotheke tut nichts für die Praxis.“ Bei dem bedruckten Rezept handele es sich gerade nicht um die Original-Verordnung, sondern lediglich um eine „einlesefähige Kopie“ davon. Das Original verbleibe – digital – in der Apotheke. Da diese das Rezept wiederum mit ihrer qualifizierten Signatur als eingelöst kennzeichnen müsse, sei auch eine Mehrfachabgabe ausgeschlossen.
Nach intensiver Prüfung sei er zu dem Schluss gekommen, dass dieser Vorgang im Sozialgesetzbuch nicht verboten sei, so Prütting. Also sei er erlaubt. Aus Sicht des Medizinrechtlers würden sich sogar die Kassen ein rechtliches Problem einhandeln, wenn sie die Verordnungen nicht akzeptierten. Wenn es so einfach ist: Warum haben Apotheken in der Heimversorgung und vor allem die nach dem E-Rezept lechzenden Versender diesen Weg noch nicht beschritten? „Die sind nicht darauf gekommen“, ist Prüttings Erklärung.
Medikamendo konzentriert sich Behrens zufolge bewusst auf die Folgeverordnungen, deswegen ist der Nachweis so wichtig. „Wir müssen sicherstellen, dass der Patient das Mittel schon bekommen hat.“ Denn während Erstverordnungen über den Weg der Telemedizin oft unmöglich sind, gibt es für Folgeverordnungen Studien und Leitlinien der Fachgesellschaften. Die Fragen und vor allem die Abbruchkriterien müssen natürlich ständig aktualisiert werden.
Zur Telemedizin kam Behrens, als er zusammen mit dem UKE in Hamburg eine App für die Behandlung depressiver Kinder entwickelte. Für die Klinik wurde ein DSGVO-konformer Chat nachgebaut, da WhatsApp für die Kommunikation nicht geeignet war. Aus dieser Idee entwickelte sich die Seite mein-rezept.online, die später in Medikamendo aufging. Die Apotheken mussten erst noch eine Gebühr bezahlen, um an Verordnungen zu kommen. Aber weil das auch vom Bundesverfassungsgericht als verbotene Zuweisung gesehen wurde, zahlen die Apotheken heute für die Sichtbarkeit auf der Seite. Je mehr Apotheken mitmachen, desto geringer wird die Gebühr. Aktuell sind es laut Behrens 70. Die teilnehmenden Ärzte wiederum zahlen für die Nutzung der leitliniengerechten Fragebögen.
Drei Millionen Euro von Investoren hat Behrens für das Projekt schon eingesammelt, aktuell läuft eine weitere Finanzierungsrunde. Nicht viel, gemessen an den Summen, mit denen etwa die Plattformen für Schnelllieferdienste gerade vollgepumpt werden. Apropos: Das Pilotprojekt in Hamburg, bei dem über Medikamendo in zehn Minuten Arzneimittel ausgeliefert werden sollten, hat Behrens wieder eingestellt. Anzahl der Packungen, Größe der Warenkörbe, Ausdehnung des Liefergebiets: „Wir haben das getestet und fanden das nicht spannend“, so sein Fazit.
Mit Medikamendo verfolgt Behrens einen anderen Plan: „Im Fokus steht perspektivisch, der ländlichen Bevölkerung eine gute Versorgung bieten zu können.“ Das geht so weit, dass bei Bedarf Physician Assistants – eine Art Bachelor Arzt – zu den Patient:innen nach Hause kommt und beispielsweise Blut abnimmt für weitere Untersuchungen. Ein Pilotprojekt dazu laufe bereits in München.
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