Warum Bayern und Schleswig-Holstein?

Kritik am E-Rezept-Fahrplan

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Berlin -

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) will nun doch deutlich mehr Druck bei der Einführung des E-Rezepts erzeugen und über die Gematik einen Fahrplan für die verpflichtende Nutzung durchsetzen. Vor allem die willkürlich anmutende Fokussierung auf zwei Bundesländer stößt in der Branche auf großes Unverständnis.

Ausgerechnet gestern wurde die Schwelle von 15.000 eingelösten E-Rezepten genommen – also die Hälfte der Strecke bis zu jener Zielmarke, die sich die Gematik als neuen Referenzpunkt in der Testphase gesetzt hat. Statt einem zeitlichen Fixpunkt zur flächendeckenden Einführung des E-Rezepts sollten qualitative Standards in den Mittelpunkt rücken. Doch nun sieht sich das BMG in der Position, den Kurs erneut zu wechseln, und legt einen gestaffelten Plan für die verpflichtende Einführung vor.

Warum ausgerechnet in Schleswig-Holstein und Bayern die Arztpraxen im September startklar sein sollen, so dass eine 100-prozentige Umstellung möglich erscheint, hat das BMG bislang nicht weiter ausgeführt. Selbst bei der Gematik, wo ein solches Szenario schon länger als eine Option entwickelt wurde, war man dem Vernehmen nach von der Ankündigung überrascht.

Rechenzentren kritisieren BMG-Plan

Klaus Henkel aus dem Vorstand des Bundesverbands Deutscher Apothekenrechenzentren (VDARZ) hält diesen Plan jedenfalls für den völlig falschen Ansatz: „Das kann nicht funktionieren. Es besteht die akute Gefahr, dass dadurch Apotheken und Praxen in zwei Bundesländern zu Versuchskaninchen werden und die Versorgung leidet. Das kann nicht gut sein.“

Aus seiner Sicht wäre es besser gewesen, bundesweit die neue Zielmarke von drei Millionen eingelösten E-Rezepten vorzugeben, als regional den Druck massiv zu erhöhen. Und in bestimmten Bereichen wie beispielsweise dem Verblistern seien noch überhaupt keine Lösungen für die Umstellung auf das E-Rezept gefunden.

Nach Informationen des VDARZ sind Schleswig-Holstein und Bayern auch nicht prädestiniert für ein Ausrollen des E-Rezepts – eher im Gegenteil. Die Zahl der Ärzt:innen, die in diesen Gebieten schon E-Rezepte ausgestellt hätten, liegt den Rechenzentren zufolge allenfalls im zweistelligen Bereich. Auch vor Ort kann man sich nicht erklären, warum man in den Fokus genommen wurde. Laut einer Umfrage der Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) haben bundesweit 7 Prozent der Praxen schon Erfahrungen gesammelt, die Gematik sprach unlängst von unter 15 Prozent – was sich nicht einmal widerspricht.

Anekdoten aus der Branche untermauern die These, dass das E-Rezept aktuell eher punktuell getestet wird. So hat der Nürnberger Allgemeinmediziner und „E-Rezept-Enthusiast“ Dr. Nicolas Kahl nach eigenen Angaben allein am Montag 70 E-Rezepte ausgestellt. Das Gematik-Dashboard weist für diesen Tag 150 eingelöste E-Rezepte aus. Auch wenn sich diese beiden Zahlen aufgrund des Zeitverzugs nicht in ein direktes Verhältnis setzen lassen, ist die Tendenz eindeutig: Die allermeisten Ärzt:innen haben aktuell mit dem E-Rezept nichts zu tun.

TI-Score der Arztpraxen

Und das ist auch nicht ihre Schuld: Laut dem TI-Score der Gematik erfüllt knapp ein Viertel der Praxisverwaltungssysteme bis heute nicht die Standards für das E-Rezept und ist nicht zertifiziert. Das entspricht dem TI-Score „E“ – der schlechtesten Bewertung im fünfstufigen Notensystem. Die Realität dürfte noch düsterer aussehen. Denn knapp ein Drittel der PVS-Anbieter hat gegenüber der Gematik noch überhaupt keine Angaben gemacht, wie weit die Software ist. Ein „A“ bekommt aktuell nur jede dritte Arztsoftware.

Bei den Apotheken sieht es etwas besser aus – alle Systeme sind im Bereich A und B. Das bedeutet aber trotzdem, dass mit ADG und CGM Lauer zwei große Softwarehäuser ihren Kund:innen die Anwendung noch nicht empfehlen kann. CGM Lauer hat zwar in der vergangenen Woche wieder einige hundert Apotheken aufgeschaltet, den Apothekenteams aber unlängst dennoch empfohlen, lieber ein rosa Rezept anzufordern, wenn ein Kunde mit E-Rezept kommt. In den nächsten dreieinhalb Monaten steht auch bei den Softwarehäusern noch viel Arbeit an.

Offen ist noch die Frage, wie genau die verpflichtende Einführung umgesetzt werden soll. Der flächendeckende Roll-out zum Jahreswechsel ist nach wie vor im Gesetz verankert. Die Entscheidung, die Testphase zu verlängern, war eine rein politische. Und nach aktueller Gesetzeslage ist es Ärzt:innen auch künftig nicht verboten, Rezepte auf Papier auszustellen, wenn es technische Probleme gibt. Schließlich muss die Versorgung gesichert werden. Möglich, dass das BMG hier über eine Bonus-Malus-Regelung die Praxen in Richtung E-Rezept motiviert. Darüber wird in der Branche schon länger spekuliert, konkretes gibt es dazu aber bislang nicht.

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