Die Krankenkassen sehen ihre Interessen bei der Einführung des E-Rezepts übergangen: Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) drücke Entscheidungen kraft seiner Mehrheit gegen ihren Willen im Gesellschafterrat durch – und die Kassen müssten dafür bezahlen. „Aus unserer Sicht müssen die Leistungserbringer an diesen Kosten beteiligt werden“, erklärt der GKV-Spitzenverband dazu auf Anfrage.
Seit 2019 hält das BMG die Mehrheit in der Gematik – und kann damit Entscheidungen auch gegen den Willen der Leistungserbringer und Kostenträger durchdrücken. Bei den Kassen herrscht darüber großer Unmut. Sie sind mit zentralen Digitalisierungsprojekten und deren Umsetzung unzufrieden, müssen aber trotzdem dafür zahlen. „Die gesetzliche Krankenversicherung finanziert derzeit beinahe vollständig – zu 93 Prozent - die Arbeit der Gematik“, erklärt der GKV-Spitzenverband. Sollten die anderen Leistungserbringer nicht stärker an den Kosten beteiligt werden, so müsste auch über andere Finanzierungsmodelle nachgedacht werden. „Da die Gematik mit dem Aufbau und der Pflege der Telematikinfrastruktur eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe übernimmt, kann und sollte alternativ auch darüber nachgedacht werden, sie über Steuermittel zu finanzieren.“
Wenn beides nicht der Fall ist, dann müsse die GKV als Finanzier „zumindest eine angemessene Gestaltungskompetenz haben“, so der Spitzenverband. „Derzeit werden wir lediglich pro forma eingebunden, die Entscheidung trifft am Ende aber oftmals das Ministerium mit seiner Mehrheit. Wenn die Solidargemeinschaft die Last der Digitalisierung schultert, muss sie aber auch mitbestimmen, wie die Digitalisierung des Gesundheitswesens ausgestaltet wird.“
Die Gematik hingegen beruft sich in der Frage nach der Gesellschaftermehrheit nicht auf die Solidargemeinschaft, sondern gleich auf das gesamte Volk. „Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass die Gematik heutzutage den Willen der Bevölkerung wiedergibt, der sich letztlich aus dem Parlament über das Ministerium zu uns ergibt“, erklärte Gematik-Geschäftsführer Dr. Markus Leyck Dieken dazu vergangene Woche. „Die 51 Prozent sind doch nichts anderes als die Vermittlung des Bürgerwillens auf die Gematik.“
Dabei betonen die Kassen, dass es ihnen nur finanziell um eine Entlastung geht – bei den Gestaltungsspielräumen sehen sie sich eher unnötig eingeengt. Es müssten Rollen, die der Gematik konkrete fachliche Aufgaben einräumen, an die Selbstverwaltung zurückgegeben werden, forderten sie kürzlich in einem Positionspapier. „Schon lange ist die Tendenz zu beobachten, dass die Gematik Aufgaben übernimmt beziehungsweise vom BMG übertragen bekommt, die neu sind, aber nicht notwendigerweise von der Gematik zu erledigen wären“, erklärt der GKV-Spitzenverband dazu auf Anfrage. „Während die Selbstverwaltung früher die Möglichkeit hatte, an solchen Aufgaben aktiv mitzuarbeiten und dabei mitzuentscheiden, gibt es diese Möglichkeit nun faktisch nicht mehr.“ Ein Beispiel dafür sei das E-Rezept – die dafür vorgesehene Gematik-App sei nämlich nicht nur unnötig, sondern gar kontraproduktiv.
Denn bei den Krankenkassen würden bereits weit ausgereifte Anwendungen für eine E-Rezept-App existieren, die gleichzeitig unmittelbar in viele der elektronischen Patientenakten integriert waren. „Somit werden Doppelstrukturen etabliert und Gelder der Versicherten verschwendet“, so die Kassen. Außerdem führe die Entscheidung des Gesetzgebers, beide Anwendungen voneinander zu lösen „zu einer zunehmenden Verästelung von Gesundheitsdaten“. Eigentlich müsse es das Ziel sein, die Informationen strukturiert an einem Ort und nicht verstreut über diverse Apps zu haben. „Der alternative, bessere Weg führt somit über die Apps der Kassen, der in verschiedenen Pilotprojekten bereits erfolgreich umgesetzt wurde.“
Einen Kontrollverlust befürchten die Kassen offenbar auch bei der Genehmigung von Leistungen. Zwar sei die Ablösung schriftlicher Verordnungen durch digitale Prozesse gut und richtig. „Die gesetzlichen Regelungen lassen jedoch vielfach eine sorgfältige Auseinandersetzung mit den Prozessen beziehungsweise den unterschiedlichen Akteuren vermissen, die im Zusammenhang mit ärztlichen Verordnungen im Sachleistungssystem der GKV in diverser Form ausgelöst werden beziehungsweise beteiligt sind.“ Dabei gehe es um Fälle, bei denen die Verordnung des Arztes gleichzeitig Antrag in einem Genehmigungsverfahren ist, also beispielsweise Rehasport oder Physiotherapie. Es sei erforderlich, dies in digitalen Prozessen von vornherein mitzudenken und die gesetzlichen Grundlagen so auszurichten, dass nicht nur die ärztliche Verordnung, sondern auch die weiteren Folgeprozesse digital abgebildet werden. „Andernfalls besteht die Gefahr, dass für Prozessteilschritte Ersatzlösungen geschaffen werden müssen, die die Ziele der Digitalisierung konterkarieren.“
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