GKV über DiGA: Zu teuer, zu wenig Nutzen APOTHEKE ADHOC, 01.03.2022 12:34 Uhr
Seit anderthalb Jahren erstatten die gesetzlichen Krankenkassen Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA). Doch ihre Bilanz fällt negativ aus: Der GKV-Spitzenverband (GKV-SpiBu) kritisiert, dass die rechtlichen Bedingungen zu wenig Wert auf einen tatsächlichen Nutzen legen und zu überhöhten Preisen führen würden. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen bräuchten ein Update.
2020 war etwas Seltenes geschehen: Deutschland war bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens mit einer innovativen Idee vorangegangen und hat als weltweit erstes Land Digitale Gesundheitsanwendungen in die Regelversorgung aufgenommen und ihre Erstattung gesetzlich festgeschrieben. Knapp anderthalb Jahre später ziehen die Kassen allerdings eine sehr durchwachsene Bilanz. „Obwohl der Gesetzgeber mit einem großen Vertrauensvorschuss den Herstellern maximalen Freiraum geschaffen hat, um Produkte auf den Markt zu bringen, die die Versorgung der Versicherten maßgeblich verbessern, konnten die Erwartungen bisher kaum erfüllt werden“, sagt GKV-SpiBu-Vorstand Stefanie Stoff-Ahnis.
Jede fünfte App wird gar nicht genutzt
DiGA hätten großes Potenzial, sie könnten „Brücken schlagen zwischen Patientinnen und Patienten, deren Behandelnden, den Versorgungsbereichen und den unterschiedlichen Fach- und Berufsgruppen“, so Stoff-Ahnis. „Unsere Analysen legen aber auch nahe, dass sie derzeit statt als funktionales Scharnier eher als Begleitung oder Coach ausgestaltet werden. Wenn eine DiGA bloß Leitlinieninhalte oder Selbsthilfe-Manuale digital abbildet, ist der Innovationscharakter begrenzt.“ Außerdem sei nach über einem Jahr nur eine begrenzte Nachfrage zu beobachten: Der GKV-SpiBu hatte den Zeitraum von September 2020 bis September 2021 untersucht, in dieser Zeit wurden gerade einmal 50.000 Anwendungen ärztlich verordnet. „Vor dem Hintergrund des geringen Innovationscharakters und der fehlenden Nutzennachweise kann das niemanden überraschen“, so Stoff-Ahnis.
Hinzu komme, dass rund jede fünfte App nach der Verordnung bisher noch nicht aktiviert wurde – die Kasse also umsonst zahlt. Und zwar viel zu viel nach Ansicht des GKV-SpiBu: Der durchschnittliche Preis liege bei 400 Euro im Quartal mit einem Preisspektrum, das von 119 Euro bis 744 Euro reicht. Schuld seien vor allem die rechtlichen Regelungen. „Auch wenn kein innovatives Konzept besteht und keine Evidenz vorliegt, müssen die Preise bei einer DiGA in Erprobung bis zu zwei Jahre von der GKV finanziert werden“, so Stoff-Ahnis. Die Hersteller dürfen dabei die Preise im ersten Jahr in beliebiger Höhe festlegen.
Es liege auf der Hand, dass bei potenziellen Ausgaben dieser Größenordnung ein beträchtlicher positiver Effekt für die Versorgung eingefordert werden muss. „Dies für alle DiGA zu garantieren, ist die gemeinsame Aufgabe für die kommenden Jahre. Auch, weil DiGA als digitale Vorreiter entweder Innovationen den Boden bereiten oder ihn aber verbrennen können“, so Stoff-Ahnis.
Denn DiGA hätten zwar das Potenzial, die Versorgung der 73 Millionen gesetzlich Versicherten dauerhaft und wirtschaftlich zu verbessern. Viele der DiGA, die in die Regelversorgung aufgenommen wurden, beziehen sich demnach auf Krankheitsbilder mit hoher Prävalenz und potenziellen Nutzerzahlen in der GKV. Ein Schwerpunkt zeige sich im Bereich der psychischen Erkrankungen, auf welchen sich die Hälfte der im BfArM-Verzeichnis im Berichtszeitraum gelisteten 20 DiGA bezieht. Ein weiterer Fokus liege auf Erkrankungen des Nervensystems. Mit fast 90 Prozent wurde die überwiegende Mehrheit der DiGA ärztlich oder psychotherapeutisch verordnet, rund 10 Prozent kamen nach Genehmigung durch die Krankenkasse zur Anwendung. Rund ein Drittel der Verordnungen wurden durch Hausärzt:innen und 20 Prozent durch HNO-Ärzt:innen ausgesprochen.
Drei Forderungen der GKV
Um das erklärte Potential heben zu können, bräuchten die gesetzlichen Rahmenbedingungen jedoch ein Update. Drei zentrale Punkte sieht der GKV-SpiBu dabei:
- Der wissenschaftliche Nachweis des medizinischen Nutzens für die Versicherten müsse durch die herstellenden Unternehmen gewährleistet sein.
- Eine DiGA sollte eine echte Innovation mit einem belegten Mehrwert für die Versorgung sein.
- Die Hersteller dürften die Preise im ersten Jahr nicht mehr selbst festlegen.
„Um langfristig die Erwartungen zu erfüllen und die Anschubfinanzierung und den Vertrauensvorschuss zu verdienen, die mit dem neuen Leistungsbereich verbunden sind, muss das Missverhältnis hinsichtlich der vergleichsweise niedrigen Zugangsvoraussetzungen für DiGA, der geringen Innovationskraft und ihrer fehlenden Wirtschaftlichkeit konstruktiv weiterentwickelt werden“, sagt Stoff-Ahnis. „Wir wollen therapeutischen Nutzen für Patientinnen und Patienten bezahlen und keine Downloads.“