Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) forciert die Digitalisierung im Gesundheitswesen – dabei nimmt er anderen Beteiligten die Mitsprache, lässt die Kosten explodieren und sie dann die Zeche zahlen. So zumindest sieht es der GKV-Spitzenverband. In einem aktuellen veröffentlichten Positionspapier zur Digitalisierung im Gesundheitswesen ziehen die Kassen Bilanz und erklären ihre Ablehnung zentraler Bestandteile von Spahns Digitalisierungskurs.
Das E-Rezept ist eine gute Idee, die schlecht umgesetzt wird – so sehen es die Kassen. Zwar würden derzeit „begrüßenswerte Re-gelungen getroffen“, die schrittweise die Ablösung von Verordnungen ärztlich veranlasster Leistungen auf Papier durch digitale Verfahren vorsehen. „Es fehlt jedoch in vielen Fällen an einer ganzheitlichen Auseinandersetzung mit den zugrundeliegenden Prozessen“, so der GKV-Spitzenverband in einem am Montag veröffentlichten Positionspapier. So zeigten sich bei ärztlichen Verordnungen derzeit gesetzgeberische Lücken in Bezug auf Prozessschritte, die der eigentlichen Verordnung folgen.
Bisherige gesetzliche Regelungen und Entwürfe würden zwar die elektronische Ausstellung der Verordnung adressieren, die nachgelagerten Prozesse – insbesondere bei Leistungen, die die Krankenkassen genehmigen müssen – würden jedoch ausgeblendet. Derzeit sei nicht klar, inwieweit die Krankenkasse Zugriff auf eine Verordnung erhält, um ein Genehmigungsverfahren durchzuführen.
„Es ist erforderlich, den Digitalisierungsprozess ganzheitlich anzulegen und die maßgeblich zugehörigen gesetzlichen Grundlagen so auszurichten, dass in Bezug auf die ärztliche Verordnung sowie hinsichtlich der weiteren Folgeprozesse digitale Gesamtlösungen geschaffen und damit erforderliche Daten bei den jeweiligen Akteuren verfügbar gemacht werden“, fordern die Kassen deshalb. „Ansonsten besteht die Gefahr, dass die gesetzten Ziele der Digitalisierungsstrategie konterkariert werden mit dem Effekt, dass anstelle eines effizienten, einheitlichen digitalen Prozesses komplexe und ineffektive Ersatzlösungen geschaffen werden.“ Ein Vorhaben, an dem er sich stört, nennt der GKV-Spitzenverband auch gleich: „Eine direkte Schnittstelle der Gematik zu den Versicherten, wie sie beispielsweise durch die E-Rezept-App geplant ist, ist unnötig und wird entschieden abgelehnt.“
Überhaupt sehen sich die Kassen in der Gematik nicht mehr ausreichend repräsentiert. Seit der Bund 51 Prozent an der Gesellschaft übernommen hat, sei sie, kontinuierlich gestärkt worden und habe erhebliche Kompetenzzuwächse erfahren, Budget und Personal seien in beträchtlichem Maße aufgestockt worden.
Auf diesem Weg sei die Gematik in den vergangenen Jahren „en passant zu einem der entscheidenden Akteure des Gesundheitssystems geworden“. Sie habe nicht nur Regulierungs- und Steuerungsfunktionen inne, sondern werde außerdem unternehmerisch tätig und solle direkte Schnittstellen zu den Versicherten erhalten. Allerdings: „Gleichzeitig ist die Gesellschafterversammlung, das oberste Gremium der Gematik, faktisch entmachtet, da Entscheidungen jederzeit auch gegen die Stimmen der Akteure der Selbstverwaltung möglich und an der Tagesordnung sind“, so das Positionspapier. Weder der Deutsche Bundestag noch die Selbstverwaltung verfüge derzeit über geeignete Mittel, Fehlentwicklungen der Gematik entgegenzusteuern oder diese zu sanktionieren. „Es ist daher zum einen dringend notwendig, eine ordnungspolitische Diskussion darüberzuführen, was Rolle und Ziel der Gematik sein sollen. (…) Zum anderen müssen Rollen, die der Gematik konkrete fachliche Aufgaben einräumen, an die Selbstverwaltung (zurück-)gegeben werden.“
Die Folgen spüren die Kassen demnach in ihren eigenen Kassen: „Der derzeitige Umgang mit den Mitteln der Solidargemeinschaft hat zu einem Allzeithoch der Ausgaben geführt.“ Die Digitalisierungsmaßnahmen seien dabei relevante Kostentreiber – besonders die Finanzierung des Ausbaus der Telematikinfrastruktur und die Anbindung ihrer Teilnehmer sowie die Kostenübernahme der Gematik und ihrer Projekte. Zwar sei nachvollziehbar, dass eine systemische Umwälzung wie die der Digitalisierung zunächst Kosten verursacht, bevor Einsparpotenziale gehoben und Versorgungsverbesserungen erreicht werden können. „Scharf zu kritisieren ist jedoch die derzeitige Lastenverteilung“, so der GKV-Spitzenverband. „Während alle Akteure des Gesundheitssystems von den Vorzügen der Digitalisierung profitieren und sie für die Gesundheitswirtschaft eines der maßgeblichen Wachstumsfelder mit beträchtlichen Umsatzversprechen darstellt, müssen die Beitragszahlender GKV in weiten Teilen allein dafür aufkommen.“
APOTHEKE ADHOC Debatte