Je näher der Termin des E-Rezept-Starts rückt, desto dünner wird er. Einen Tag vor der offiziellen Einführung räumt die Gematik nun ein: Es gibt noch gar kein E-Rezept. Die „ersten Wochen“ werden demnach erst einmal für Techniktests genutzt. Wann genau die erste Apotheke ein echtes E-Rezept bedienen wird, ist noch vollkommen offen.
Der 1. Juli 2021 sollte eigentlich ein historischer Tag im Gesundheitswesen werden: Deutschland sollte endlich den Anschluss an den aktuellen Stand digitaler Gesundheitsversorgung schaffen. Länder wie Großbritannien, Dänemark, Belgien, Kroatien, Schweden, die Türkei oder Spanien arbeiten bereits seit Jahren mit elektronischen Verordnungen, die teils direkt an elektronische Patientenakten und Medikationspläne angedockt sind. Im Schnitt genauso lange wie in diesen Ländern wurde hierzulande das E-Rezept geplant – nur dauerte es halt viel länger bis zur Einführung. Bereits Mitte der 2000er-Jahre waren elektronische Verordnungen ein Thema im Bundesgesundheitsministerium (BMG). Ende 2009 erklärte der damalige Ressortchef Philipp Rösler (FDP), das Projekt E-Rezept vorerst zu stoppen. Es dauerte noch einmal fast ein Jahrzehnt, bis Röslers Nachfolger Jens Spahn (CDU) die Einführung des E-Rezepts 2019 gesetzlich festschrieb.
Die Digitalisierung des Gesundheitswesens nachzuholen, war bis zur Corona-Krise Spahns Steckenpferd, das größte Projekt seiner Amtszeit – und das E-Rezept der vielleicht wichtigste, zumindest aber für die alltäglichen Versorgungsprozesse einflussreichste Teil davon.
Am Donnerstag ist es nun also so weit: der offizielle Startschuss. Aber es passiert: nichts. Keine Pressetermine, kein Gesundheitsminister, der öffentlichkeitswirksam bei Ausstellung und Einlösung des ersten E-Rezepts dabei ist, kein feierliches Symposium, nicht mal eine Ankündigung, was an dem Tag vor sich geht.
Am Mittwochmorgen erklärt die Gematik auf Nachfrage, warum das so ist: Es gibt noch gar kein „erstes“ offizielles E-Rezept. Stattdessen „simulieren ausgewählte Partner verschiedene Testszenarien“, so die Gematik. „Die simulierten Tests in den ersten Wochen haben das Ziel, das Zusammenspiel der verschiedenen Systeme unter realen Bedingungen zu untersuchen beziehungsweise zu erproben.“
Noch im Frühjahr hieß es auch seitens der Abda – selbst Gematik-Gesellschafterin – noch, es handele sich ab dem 1. Juli nicht um ein weiteres Modellprojekt, sondern um eine Analyse und Evaluation der Veränderung der Prozesse durch die Ausstellung und Einlösung von E-Rezepten zwischen Praxen, Apotheken und Patienten. Schritt für Schritt wurde diese Evaluation der E-Rezepte zusammengekürzt und stets erst auf Nachfrage eingeräumt, dass es so ist: von der lange angekündigten bundesweiten Einführung zum 1. Juli über die Einführung in der Fokusregion Berlin/Brandenburg mit 120 Apotheken und 50 Arztpraxen bis zur Erprobung mit jeweils einer Apotheke sowie Praxis und einem Versicherten. Nun, einen Tag vor dem offiziellen Start, räumt die Gematik ein, dass es zur Einführung noch gar kein E-Rezept gibt.
Nach Angaben von Geschäftsführer Dr. Markus Leyck Dieken kam schon die Verwunderung der Apothekenbranche für die Gematik sehr überraschend – denn es sei allen Gesellschaftern, also auch der Abda, von Anfang klar gewesen, dass es so laufen soll. Allerdings wären dann alle außer der Gematik schlecht informiert gewesen: Auch in angrenzenden Branchen wie den Softwarehäusern herrschte nämlich nach Angaben Beteiligter stets Verwunderung, dass das Projekt stetig an Größe verliert.
Immerhin: Das erste echte E-Rezept soll dann wohl in ein paar Wochen kommen – Stand jetzt. „Noch im Juli sollen die begleiteten Testungen abgeschlossen sein und E-Rezepte im echten Versorgungsprozess Einzug erhalten“, so die Gematik. Darauf aufbauend sollen dann im laufenden dritten Quartal mehr Praxen, Apotheken und Hersteller von Praxis- und Apothekenverwaltungssystemen in der Fokusregion Berlin/Brandenburg hinzukommen, „so dass ab dem vierten Quartal die bundesweite Einführung nach und nach erfolgen kann. Als Gematik werden wir laufend über die Testphase berichten.“
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