„Wir erleben nichts anderes als einen Blindflug“

ePA: Eltern sollen Opt-Out nutzen Sandra Piontek, 08.01.2025 13:31 Uhr

Die elektronische Patientenakte weist immer noch schwerwiegende Sicherheitslücken auf, warnen die Kinder- und Jugendärzt:innen. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt:innen (BVKJ) rät Eltern, sich aktiv gegen die elektronische Patientenakte (ePA) zu entscheiden. Der Grund: Die Gesundheitsdaten von über 70 Millionen Versicherten könnten laut dem Chaos Computer Club (CCC) gefährdet sein – ein Risiko, das aus Sicht des BVKJ unter keinen Umständen eingegangen werden darf.

Erst kürzlich hatte der CCC schwerwiegende Sicherheitslücken in der ePA aufgedeckt und vor deren Einführung gewarnt. Weil laut den Expert:innen potenziell die Gesundheitsdaten von über 70 Millionen Versicherten gefährdet sein könnten, warnt nun auch der BVKJ, und zwar die Eltern von Kindern und Jugendlichen. „Das Risiko darf unter keinen Umständen eingegangen werden.“ Mehr noch: „Bis die Rechte von Kindern und Jugendlichen in akzeptabler Weise verwirklicht sind, können wir Patienten und deren Eltern nur empfehlen, sich aktiv gegen die ePA zu entscheiden“, erklärte Dr. Michael Hubmann, Präsident des BVKJ.

Hubmann ist besorgt: „Es ist frustrierend, wie die Verantwortlichen versuchen, eine für professionelle Angreifer leicht zu überwindende Datenlücke kleinzureden und den Eindruck zu erwecken, die ePA würde die Datensicherheit in Deutschland sicherstellen.“ Bereits Ende November habe man sich mit den Bedenken bezüglich der Rechte von Kindern und Jugendlichen in der ePA an das Bundesgesundheitsministerium, die Bundesdatenschutzbeauftragte, den Patientenbeauftragten und die Gematik gewandt. „Doch das Ministerium sieht offenbar keinerlei Handlungsdruck und die Probleme bleiben weiterhin ungelöst“, so Hubmann.

Gematik schätzt Risiko gering ein

Die Gematik versucht die Warnungen abzumildern: „Solche Angriffszenarien sind technisch zwar denkbar, aber in der Praxis gelten diese als äußerst unwahrscheinlich.“

In seinem Schreiben hatte der BVKJ auf mehrere kritische Punkte hingewiesen, „die insbesondere in Bezug auf die Datenschutzrechte von Kindern und Jugendlichen erhebliche Bedenken aufwerfen.“ Man habe darauf gedrängt, die Wahrung dieser Rechte bei der geplanten Einführung der ePA sicherzustellen. „So gibt es etwa keine Lösung, wie ehemals Berechtigten der Zugang zu sensiblen Daten entzogen werden kann“, macht der BVKJ deutlich. Das müsse etwa im Kinderschutzfall schnellstmöglich erfolgen. „Positiv fiel uns die Rückmeldung der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit auf.“ Ihr Referat bezeichnete die Bedenken des BVKJ als nachvollziehbar und teilte dessen Einschätzungen. „Konkrete Maßnahmen zur Lösung der Probleme stehen jedoch weiterhin aus.“

Jetzt die Reißleine ziehen

Hubmann ärgert sich: „Wir hören immer nur, das sei alles im Werden. Wir gehen jedoch nicht davon aus, dass bis zur Einführung der ePA im Frühjahr unsere schwerwiegenden Bedenken oder die jüngsten Warnungen des CCC zu den Sicherheitsmängeln ausgeräumt sein werden.“ Richtig wäre jetzt laut des BVKJ-Präsidentens, die Reißleine zu ziehen und dann ein sicheres System an den Start zu bringen.

Der BVKJ sei der Digitalisierung gegenüber äußerst aufgeschlossen: „Wir begrüßen die digitale Patientenakte ausdrücklich – das haben wir auch in unserem Schreiben an die Verantwortlichen der ePA deutlich gemacht“, betont Hubmann. „Aber sie muss funktional und sicher sein. Was wir hier erleben, ist nichts anderes als ein Blindflug. Wenn der Chaos Computer Club ohne große Hürden auf alle ePAs zugreifen kann, ist es nur eine Frage der Zeit, bis andere das auch schaffen. Und angesichts der zunehmenden Bedrohungen durch hybride Kriegsführung müssen wir leider davon ausgehen, dass solche Angriffe künftig Realität werden.“