„Kennen Sie eine Arztpraxis, die schon E-Rezepte ausstellt?“ „Ja, alle beide.“ Ganz so extrem ist die Lage in Wirklichkeit zwar nicht, doch anscheinend sind es tatsächlich einzelne Arztpraxen, die aktuell die Zahlen nach oben treiben. In der Fläche wird die neue Technik noch nicht getestet. Und der TI-Score der Gematik mag zwar für Transparenz stehen, hat aber so gut wie keine Aussagekraft.
Im September will das Bundesgesundheitsministerium (BMG) ernst machen: Dann sollen alle Praxen und Schleswig-Holstein und Bayern digital verordnen können und jede Apotheke im Land diese Rezepte bedienen können. Die Gesellschafter der Gematik werden Ende des Monats über diesen Fahrplan abstimmen. Aus dem Lager der Ärzteschaft gab es bereits harsche Kritik.
Tatsächlich wecken die aktuellen Zahlen der Testphase Zweifel am Zeitplan des BMG. Die Gematik hatte unlängst mitgeteilt, weniger als 15 Prozent der Praxen hätten schon Erfahrungen mit dem E-Rezept gemacht. Bei einer Umfrage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) waren es 7 Prozent der Teilnehmer:innen. Gegenüber dem Ärzteblatt hatte das BMG am vergangenen Donnerstag sogar mitgeteilt, dass erst 224 Arztpraxen ein E-Rezept ausgestellt haben.
Das Gematik-Dashboard weist heute 16.796 eingelöste E-Rezepte aus. Im Durchschnitt hätte also jede Praxis etwa 75 E-Rezepte. In Wahrheit dürften die allermeisten der 224 Praxen nur ein einziges Mal getestet haben, ob sie ein elektronisches Rezept ausstellen können und dann zum gewohnten Prozedere zurückgekehrt sein.
Denn bisher ist von zwei Praxen bekannt, dass sie ihren Prozess komplett auf das E-Rezept umgestellt haben. Eine davon ist die des Allgemeinmediziners Moritz Eckert, der in Herzberg im Harz eine Gemeinschaftspraxis betreibt. Wann immer möglich erhalten die Patient:innen hier einen QR-Code als Rezept.
Der zweite „Digitalarzt“ ist Dr. Nicolas Kahl aus Nürnberg. Er ist sogar 2. Vorsitzender des neu gegründeten Vereins „E-Rezept-Enthusiasten“ und stellt an einem normalen Praxistag so viele E-Rezepte aus, wie durchschnittlich auf jede Praxis im Verlauf der gesamten Testphase entfallen. Einen ersten Testlauf hat Kahl schon im Februar erfolgreich durchgeführt. Heute werden die Patient:innen in der Praxis gefragt, wo sie ihr E-Rezept einlösen möchten. Die umliegenden Apotheken sind „ready“, im Zweifel fragt die Praxis aktiv in der Apotheke nach, ob ein E-Rezept angenommen werden kann. „Was uns in unserem Ablauf aktuell stört, ist das Muster 16“, sagt Kahl. Am vergangenen Montag (9. Mai) hat er allein 106 E-Rezepte ausgestellt, in der Gematik-Statistik sind für diesen Tag 150 eingelöste E-Rezepte verzeichnet.
Kahl nutzt ein Praxisverwaltungssystem (PVS) vom Anbieter Medatixx, der mit seinen sechs Produkten nach eigenen Angaben mehr als 30 Prozent Marktanteil hält. Medatixx hat das entsprechende Update im Februar ausgeliefert. Eigentlich wollte man schon im Dezember starten, aber ein Cyberangriff führte zu Verzögerungen. Auf eine flächendeckende Einführung wäre Medatixx daher vorbereitet: „Das Modul ist in der Software“, bestätigt Jessica Birkmann vom PVS-Anbieter.
Bei Medatixx geht man davon aus, dass das E-Rezept inzwischen bei den meisten Praxissoftwareanbietern verfügbar ist. Denn seit dem Quartalswechsel sollte das Modul in der Praxissoftware in der Regel zur Verfügung stehen.
Aus dem TI-Score der Gematik geht das nicht hervor. Hier ist Medatixx noch grau hinterlegt, was bedeutet, dass der Hersteller noch keine Angaben gemacht hat. Dasselbe gilt für die Software Duria, die Hausartz Eckert in seiner Praxis verwendet. Das System läuft, gelistet ist es nicht. Die Softwareanbieter haben ihre Kritik an den Maßstäben der Gematik gegenüber der Organisation geäußert. So lasse sich eine Schulung der Nutzer:innen schlecht bestätigen, solange nicht alle Praxen das entsprechende Angebot wahrgenommen haben. Denn kontrolliert werde das natürlich nicht. Unter den PVS-Anbietern ist der TI-Score daher als politisches Marketinginstrument der Gematik verschrien.
Auch mit dem neuen Starttermin erhöht das BMG jetzt den Druck. Vor allem von der KV Bayern wird noch massiver Widerstand gegen die verpflichtende Einführung erwartet. Von der Gematik zu einem geeigneten Zeitpunkt befragt, hatten auch die Softwarehersteller eher den Jahreswechsel angepeilt.
In den allermeisten Praxen scheint das E-Rezept ohnehin noch keine Rolle zu spielen. Viele hätten schlechte Erfahrungen mit der Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) gemacht, berichtet Birkmann von Medatixx. Weil die Übermittlung des Formulars zum Start nicht rund lief, hätten etliche Praxen die Option sofort wieder deaktiviert. „Wenn über einen Zeitraum von zwei bis drei Wochen der Prozess so schlecht ist, dass alle Nutzerinnen und Nutzer die Funktion wieder abschalten, dann benötigt es einige Zeit, bis Anwenderinnen und Anwender erneut eine Umstellung wagen“, so Birkmann.
Gerade bei einer so elementaren Funktion wie dem E-Rezept müsse sichergestellt sein, dass die Patient:innen ihre verordneten Medikamente auch wirklich erhalten, findet Birkmann. Vor Einführung der Anwendung müsse ein reibungsloser Prozess sichergestellt sein. Entgegen der Aussage der Gematik sei die Umstellung für die Praxen durchaus mit Aufwand verbunden – von der eigenen Organisation und technischen Abwicklung, bis hin zur Schulung des Personals und Aufklärung der Patient:innen.
Nach den Erfahrungen bei Medatixx ist eben doch oft der Einsatz eines Servicetechnikers notwendig, etwa bei der Einrichtung von TI-Aufrufen oder der Druckersteuerung. Und wenn viele Praxen zwei Wochen vor der Umstellung gleichzeitig einen Technikereinsatz vor Ort anfordern, geraten die PVS-Anbieter unter Druck. Brinkmanns Fazit: „Wir sind noch lange nicht beim E-Rezept in der Praxis.“
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