Nächster Rückschlag für das E-Rezept: Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) setzt die
Einführung des E-Rezepts aus. Hierzu sehe man sich wegen der Haltung des Bundesdatenschutzbeauftragten gezwungen, teilte
die Ärztevereinigung mit. Der Datenschutzbeauftragte Ulrich Kelber (SPD) hatte im September sein Veto gegen den Plan zur Nutzung von Versichertenkarten eingelegt.
Westfalen-Lippe ist aktuell die einzige Pilotregion in Deutschland, in der das E-Rezept im großen Stil eingeführt werden sollte. Anfang September stiegen 250 Praxen ein, diese Zahl sollte schrittweise erhöht werden – dies geschieht nun aber nicht mehr.
Auf freiwilliger Basis können in Deutschland zwar alle Praxen das E-Rezept anbieten, von einer flächendeckenden Anwendung ist das Produkt aber weit entfernt. Mit der Pilotregion Westfalen-Lippe sollte die Digitalverschreibung neuen Schwung bekommen – die dortige Kassenärztliche Vereinigung hatte sich bereiterklärt, die Einführung aktiv zu begleiten und Schritt für Schritt mehr Praxen einzubinden. Schleswig-Holstein sollte ebenfalls voranschreiten, brach dies bei Arztpraxen wegen Datenschutzbedenken zur geplanten Nutzung von SMS und E-Mails aber kurz vor dem Start am 22. August ab.
Der Bundesdatenschutzbeauftragte hatte im Falle von Westfalen-Lippe befürchtet, dass es in der geplanten Form Datenmissbrauch in Apotheken geben könnte. Notwendige technische Nachrüstungen mit Updates für Konnektoren und die Apothekensoftware dauern wohl bis Mitte 2023. So lange wollte die KVWL nicht warten und zog nun die Reißleine.
„Die Entscheidung des Datenschützers ist eine Bankrotterklärung für die Digitalisierung im Gesundheitswesen generell und speziell in der ambulanten Versorgung“, sagte KVWL-Vorstand Thomas Müller. Das angestrebte Ziel, dass 25 Prozent aller Verschreibungen von gesetzlich Versicherten elektronisch erfolgen, könne nicht erreicht werden.
Durch die Entscheidung des Bundesdatenschutzbeauftragten sei der angestrebte Fortschritt für Patienten, Ärzte und alle weiteren
Beteiligten in Frage gestellt. „Wir fordern erneut eine rein digitale Lösung – nur dann kann eine Fortsetzung des Rollouts durch die KVWL erfolgen“, sagte Müller.
Die Gematik äußerte sich ebenfalls enttäuscht. Man bedauere die Entscheidung der KVWL, die Einführung des E-Rezepts vorläufig nicht weiter zu forcieren. Das E-Rezept werde aber bundesweit weiterhin genutzt, stellte sie heraus. Seit Anfang Oktober hätten mehr als 3700 Arztpraxen E-Rezepte ausgestellt, die in mehr als 9200 Apotheken eingelöst worden seien. Die Anzahl der für die App Das E-Rezept ausgegebenen PIN sei zwar noch niedrig, aber Berichte von Patienten bestätigten die Vorteile des komplett papierlosen Wegs.
Die nächsten Schritte für die bundesweite Einführung des E-Rezepts werden die Gesellschafter der Gematik – neben dem Mehrheitseigner Bundesgesundheitsministerium auch Interessenorganisationen aus der Gesundheitsbranche – bei einer ihrer nächsten Versammlungen abstimmen. Das Ziel einer flächendeckenden Einführung des E-Rezepts im Jahr 2023 bleibe bestehen, so die Gematik.
Die Umstellung von Papierrezept auf Digitalverschreibung ist ein Großvorhaben im deutschen Gesundheitswesen, das bereits
Startprobleme hatte. Ein Pilotprojekt in Berlin-Brandenburg verlief im vergangenen Jahr weitgehend im Sande, eine bundesweite Testphase begann später als geplant. Die eigentlich für Januar 2022 vorgesehene Pflichteinführung wurde abgebrochen. Die freiwillige Einführung mit Pilotregionen, wo die Motivation in der Ärzteschaft relativ hoch ist, muss nun ebenfalls als gescheitert gelten.
Bisher kann man das E-Rezept nur über sein Handy beziehungsweise über einen Ausdruck abrufen. Für die Gematik-App benötigt man eine PIN von seiner Krankenkasse – die bekommt man nur nach einer persönlichen Verifizierung vor Ort bei seiner Kasse oder in der Post. Offenbar ist vielen das Prozedere zu mühsam, Anträge für die PIN gab es nur wenige. Das Videoidentverfahren war den Krankenkassen in diesem Zusammenhang ebenfalls aus datenschutzrechtlichen Gründen untersagt worden.
Bei der schleppenden Einführung kommt erschwerend hinzu, dass die Skepsis in der Ärzteschaft groß ist. In diesem Jahr wurden bisher nur rund 525.000 Digitalverschreibungen eingelöst. Zum Vergleich: Pro Jahr werden in Deutschland circa 500 Millionen Verschreibungen als rosa Papierrezepte ausgestellt – der Anteil der Digitalverschreibung ist also verschwindend gering.
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