Eine Apotheke, ein Arzt, ein Patient: So schlank verläuft der E-Rezept-Start in Berlin und Brandenburg. Doch wer ist der eine Versicherte, der – zwar doch nicht ab dem 1. Juli, aber irgendwann im dritten Quartal – das E-Rezept zuallererst testen soll? Detlev Scherbring heißt er und kommt nicht aus der Fokusregion Berlin/ Brandenburg, sondern aus Bocholt in Nordrhein-Westfalen. Das ist noch nicht das einzige Bemerkenswerte an der Auswahl.
Detlev Scherbring genießt nach eigenen Angaben das Leben – denn er ist Privatier und muss keiner geregelten Arbeit mehr nachgehen. Zeit genug für die Erprobung der E-Rezept-App aus Patientensicht hat er damit auf jeden Fall. „Durch meine Teilnahme am Beta-Test möchte ich zu einem patientenorientierten System beitragen. Ich erhoffe mir eine einfache und intuitive App, die bei allen Altersgruppen Akzeptanz findet und genutzt wird“, zitiert ihn die Gematik als „Versicherten“ auf ihrer Website. Durch das E-Rezept erhoffe er sich eine Vereinfachung von Abläufen mit einem durchgängigen Prozess, von der Rezeptausstellung bis zum Erhalt des Medikaments: „Gleichgültig wo ich bin, ob im Büro, zu Hause oder sogar im Urlaub.“
Allerdings: Mit einem echten E-Rezept wird Scherbring wohl vorerst gar nicht in Kontakt kommen. „Herr Scherbring ist ein Beta-Tester und nicht der erste Patient mit E-Rezept“, erklärt die Gematik auf Nachfrage. „Er freut sich als Beta-Tester auf den Start des E-Rezepts und die Nutzung der App.“ Die Beta-Version der Gematik-E-Rezept-App testen kann indes jeder, denn sie ist bereits seit mehreren Wochen verfügbar und kann ohne besondere Registrierung heruntergeladen, installiert und im Demo-Modus benutzt werden.
Allerdings handelt es sich bei Scherbring nicht um einen unbedarften Verbraucher mit durchschnittlichen Anwenderkenntnissen – vielmehr kennt er sich sehr gut mit dem aus, was er da beurteilen soll. Denn bis vor einem Jahr hatte er eine lange Managerkarriere in den Digitalabteilungen von Siemens durchlaufen: Nach dem Studium der Elektrotechnik in Münster stieg er 1985 dort ein und durchlief die Karriereleiter im Supply und Quality Management. 2007 wechselte er zur Telekommunikationstochter Gigaset, zuerst als Vice President Supplier Management in Shanghai, später dann als Manager in der Auftragsfertigung.
2012 wechselte er zurück zum Mutterkonzern, ging dann im März 2013 für vier Jahre als Head of Business Excellence nach Moskau. 2017 kehrte er nach Deutschland zurück, um in Karlsruhe den Posten als Director of Quality Management & Business Excellence anzutreten. Gut drei Jahre später folgte der Abschied ins Leben als Privatier. Die Frage, wie die Auswahl getroffen wurde, also warum die Gematik beim ersten Versicherten auf einen Privatier aus Nordrhein-Westfalen statt auf einen Durchschnittsversicherten aus der Fokusregion setzt, beantwortet sie auf Anfrage nicht.
Naheliegend ist jedoch, dass Scherbring als ehemaliger Qualitätsmanager im IT-Business die notwendige fachliche Expertise mitbringt, die App verlässlich zu bewerten. Hinzukommt, dass er sich möglicherweise nicht nur generell mit digitaler Technologie auskennt, sondern womöglich auch mit Blick auf die Digitalisierung im Gesundheitswesen: Denn auch Siemens mischt mit seiner Tochter Healthineers beim Aufbau des E-Rezepts mit, wenn auch eher mittelbar. Im Dezember vergangenen Jahres stellte Siemens seine Plattform „Teamplay Digital Health Platform Connect“ vor. Hinter dem sperrigen Namen verbirgt sich eine offene Plattform, die den Datenaustausch zwischen Leistungserbringern im Gesundheitswesen ermöglichen soll und dabei auch an die Telematikinfrastruktur (TI) angebunden ist.
Doch Siemens betreibt die Plattform nicht allein, sondern in Zusammenarbeit mit einem anderen Digitalkonzern, der sich in der TI bestens auskennt: IBM. Der IT-Riese will nicht nur mit der Plattform den Datenaustausch zwischen Leistungserbringern erleichtern, sondern ist auch direkt am Aufbau der E-Rezept-Infrastruktur beteiligt: Im November 2020, also kurz vor Verkündung der Plattformzusammenarbeit mit Siemens, hatte die Gematik IBM den Zuschlag für den Aufbau des E-Rezept-Fachdienstes erteilt – gemeinsam mit der Zur-Rose-Tochter eHealth Tec und drei weiteren nachgeordneten Partnern.
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