Seit eine nahegelegene Hausarztpraxis überwiegend E-Rezepte ausstellt, bearbeitet das Team der Grafschaft-Apotheke in Haag tagtäglich eine Vielzahl der digitalen Verordnungen. Völlig anders, als es die Inhaberin, Christina Mayerhofer, erwartet hat, sei die Bearbeitungszeit extrem und eines digitalen Prozesses nicht würdig.
„Es sollte ja so sein, dass uns das E-Rezept Zeit spart. Das tut es momentan einzig und allein vorn an der Kasse, weil ich da nicht mehr so viel eintippen muss, sondern lediglich einen QR-Code abscanne“, so Mayerhofer. Kurz und knackig habe sie sich den Bearbeitungsprozess vorgestellt. „Man hat aber eher das Gefühl, man braucht dreimal so lang, als es bisher der Fall war.“ Gehe es beispielsweise darum, etwas nachvollziehen zu wollen, empfindet die Inhaberin noch relativ viele Punkte als verwirrend, unklar und sehr zeitaufwändig.
Das Einlesen der E-Rezepte funktioniere mittlerweile zwar ganz gut, berichtet auch die angestellte Apothekerin Sarah Scherer, die sich intensiv mit der Thematik rund um die Einführung des E-Rezeptes beschäftigt, „aber es braucht eine ganze Weile, bis es vollständig geladen ist und alle Prüfungen durchlaufen hat.“ Dies wirft die Frage auf, ob die Apotheken-EDV zu langsam ist und mehr Schnelligkeit bräuchte oder ob externe Server nicht ausreichend Leistung haben. „Wie soll es dann erst laufen, wenn plötzlich alle Apotheken E-Rezepte laden wollen?“ Diese Frage habe bisher niemand beantworten können. Die eigentlichen Probleme würden allerdings erst dann beginnen, wenn der Kunde oder die Kundin die Apotheke längst verlassen hat – nämlich dann, wenn es um die Rezeptkontrolle beziehungsweise Abrechnung geht. „In diesem Bereich entsteht uns unglaublich viel Aufwand. Ich bin davon ausgegangen, E-Rezept heißt, es wird alles automatisch gecheckt und der Prozess an sich ist frei von Fehlern.“ Dem sei leider nicht so. „Es passieren sogar sehr viele Fehler.“
Ein Arzt, dessen Heilberufsausweis mit Vor- und Zunamen ausgestellt ist, in seiner Signatur der Nachname aber vorangestellt ist, führte im weiteren Bearbeitungsprozess zu einer Stolperstelle. Hier konnten sich die beiden Apothekerinnen an die Gematik wenden – scheinbar stellt diese Fehlermeldung zumindest keine Retax-Gefahr für die Apotheke dar, dennoch erscheint nach wie vor ein Hinweis in der Rezeptkontrolle. „Wenn es für mich nicht relevant ist, möchte ich es aber nichts verbessern müssen beziehungsweise in mir den Anschein erwecken lassen, da wäre noch etwas zu verbessern“, berichtet die Inhaberin.
Die Apotheke arbeitet mit dem Warenwirtschaftssystem Prokas und dem Abrechnungsdienstleister VSA. Da beide aus demselben Unternehmen stammen, sollte man meinen, die Programme agieren auch gemeinsam. Mayerhofer und ihre Mitarbeiter:innen haben jedoch feststellen müssen, dass die eine oder andere Schnittstelle fehlt. „Jedes E-Rezept wird im Moment der Bearbeitung über FIVERX direkt an die Abrechnungsstelle übertragen – zu einem Vorabcheck. Daraufhin folgt ein Ergebnis der Überprüfung. Diese Ergebnisse sollten doch eigentlich auf beiden Seiten gleich sein. Aber das ist nicht der Fall. Mal ist auf Seiten von Prokas alles wunderbar, plötzlich findet VSA das Rezept verbesserungswürdig. Dies sei laut laut Noventi so ‚gewünscht‘. Es laufen zwei Prüfungsstränge, die zum Teil gleiche, aber zum Teil auch unterschiedliche Dinge kontrollieren. So kommen verschiedene Meldungen zustande. In der Praxis ist das oft verwirrend und der Übersichtlichkeit nicht dienlich.“
Überhaupt könne „FIVERX-Status verbesserbar“ erstmal so ziemlich alles und auch relevant oder aber auch nichts sein. Beispielsweise „bei jeder Aut-idem-Verordnung, erkennt das System das gesetzte Kreuz nicht an. Das ist ein gravierender Fehler, der noch immer nicht wegprogrammiert wurde. Und wir bekommen jedes Mal eine Fehlermeldung, wo kein Fehler ist,“ berichtet Mayerhofer. „Das Ganze ist auch deshalb so seltsam, weil beim VSA Retaxcheck des Papierrezeptes alles wunderbar erscheint. Hier werden echte Fehler als Fehler angezeigt. Gibt es etwas zu verbessern, steht dabei warum (z.B. Preisanker überschritten). Das alles ist bei E-Rezept nicht so. Hier weiß man gar nicht, warum eine Verbesserung notwendig ist und ich muss deshalb den kompletten Vorgang neu an der Kasse zur Prüfung eingeben. Das kann nicht sein.“ Dies sei vor allem auch deshalb so ärgerlich, weil die Mitarbeiter:innen der Grafschaft-Apotheke von Anfang an, also seit über einem Jahr, immer wieder Meldungen über genau die Punkte gegeben haben, die nicht ganz passen und wo Schwierigkeiten liegen. „Da wird einfach keine Klarheit geschaffen. Unsere Tickets laufen teilweise seit über einem Jahr ungelöst. Schwierig. Manchmal rechnen wir auch einfach so ab, ohne zu wissen, was dabei nun rauskommt. In diesem Bereich ist einfach wahnsinnig viel Unsicherheit,“ so die Inhaberin.
Werden auf dem E-Rezept Dokumentationen, beispielsweise zu Preisankerüberschreitungen nach ärztlicher Rücksprache, getätigt, seien diese auf der Seite von VSA nirgends zu sehen. Es werde lediglich ein Fehler oder Verbesserungshinweis angezeigt. Allein anhand dieser Meldung könne aber nicht nachvollzogen werden, ob der Einwand berechtigt ist, beziehungsweise ob und was die bearbeitende Person dokumentiert hat. Um dies herauszufinden, müsse zurück auf die Seite von Prokas geswitcht werden. „Ein E-Rezept muss also jedes Mal an zwei Stellen kontrolliert werden. Es kann doch nicht so schwer sein, zwei Systeme, die aus einem Hause stammen, etwas enger zusammenarbeiten zu lassen.“
Gleiches gelte, wenn die Chargenbezeichnung fehlt. „Beim E-Rezept muss der Securepharm-Code im bearbeitenden Vorgang ausgescannt werden, damit die Chargenbezeichnung automatisch übermittelt werden kann“, erklärt Scherer. „Das ist eine neue rechtliche Regelung – die Krankenkassen möchten das so haben.“ Für bestimmte Abläufe in der Apotheke sei es allerdings nicht immer möglich oder nur mit erheblichem Mehraufwand verbunden, jede Packung im einzelnen aktuellen Prozess auszuscannen. Dies sei beispielsweise in der Heimbelieferung der Fall, wo Vorgänge im sogenannten Block bearbeitet werden und auch bei einer Vielzahl von Botendiensten, die tagtäglich aus der Apotheke von Christina Mayerhofer stattfinden.
Hierzu habe Prokas die Empfehlung eines Sammeltools gegeben: Über SecurePharm-Aktionen können die Codes gescannt werden. „Alles andere würde unsere internen Prozesse unfassbar verlängern.“ In der Heimversorgung arbeite das Team mit einem ähnlichen Endkontrollprogramm, einem Lieferscheinerstellungsprogramm, welches die Securepharm-Codes verifiziert. „In dem Moment erfolgt allerdings keine Zuordnung mehr zu dem einzelnen Rezept.
Es muss also eine Lösung für bestimmte Versorgungsbereiche in Apotheken her“, fordert Mayerhofer. „Denn nachträglich ist die Chargenbezeichnung nicht mehr eintragbar.“ Es fehle schlichtweg ein konkretes Feld für den manuellen Weg. „Und das Softwarehaus hat noch immer keine Idee, wie ein zufriedenstellendes Ergebnis aussehen kann. Auch hier fehlt mir die entsprechende Hilfestellung, die Daten automatisiert zu bekommen. Gescannt werden die Codes ja allemal. Für alles Mögliche gibt es Felder, aber nicht für die Chargenbezeichnung, die im laufenden Prozess nicht eingetragen werden konnte – aus verschiedensten Gründen. Wir sind halt Menschen und es passieren eben auch Fehler. Es wird immer mal einen Grund geben, warum nicht jede Chargenbezeichnung auf dem Rezept drauf sein kann.“ Die Teammitglieder nutzen bislang irgendein anderes Feld. „Ob das so passt, kann mir niemand beantworten. Auch hier ist die Unsicherheit groß.“
Hinzu käme, dass gar nicht klar sei, ob das Fehlen der Daten überhaupt retaxationsrelevant ist. „Was passiert, wenn die Chargenbezeichnung fehlt?“ Auch dazu habe Mayerhofer von unterschiedlichsten Institutionen keine Aussagen bekommen. „Ich würde mir einfach gerne die Sucharbeit sparen, wenn es ohnehin keinen Einfluss auf eine Retax hat. Ich frage mich sowieso, was die Krankenkassen damit wollen. Im Falle eines Rückrufs kümmert sich ohnehin die Apotheke. Und ich bin in der Lage, über jedes abgegebene Präparat Auskunft über Charge und Verfall geben zu können. Außerdem an wen es gegangen ist, wer es abgegeben hat, an welcher Kasse, an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit. Wenn ich die Daten zwingend nachtragen muss – ok. Aber dann bitte in ein dafür vorgesehenes Feld. “
Einen weiteren Problemfaktor bildet die telefonische Bestellung: Hierbei besteht im Regelfall mit einem Muster-16-Rezept der Vorteil, dass der einzelne Vorgang schon soweit bearbeitet werden kann, dass der Patient oder die Patientin beim Abholen lediglich das Rezept übergibt, über die Medikation aufgeklärt wird, die Packungen verifiziert werden und der Vorgang letztlich abgeschlossen wird. Nicht so bei der digitalen Variante, denn ein Bearbeitungsfeld wie beispielsweise „E-Rezept folgt“, ist nicht vorgesehen. Folglich muss der komplette Vorgang wieder storniert und neu bearbeitet werden.
„Da möchte jemand vorbestellen, dass es hier schneller geht, er nicht so lang warten braucht und die Technik bremst uns komplett aus. Das ist einfach so verdammt ärgerlich für beide Seiten, zumal das Thema Vorbestellungen seit Corona enorm gestiegen ist“, verrät Mayerhofer. „Generell haben wir trotz kleinerer Verbesserungen das Gefühl, dass sich nichts gravierend ändert oder gar nicht verstanden wird, wo und warum Probleme auftauchen. Unsere Ansprechpartner sind stets freundlich, aber antworten häufig nicht zielführend oder an der Fragestellung vorbei. Die ganze E-Rezeptbearbeitung ist nicht gut durchdacht und praxistauglich. Die Lösungsansätze nicht zufriedenstellend. Das kann keinesfalls so bleiben.“
Das Softwarehaus Noventi teilt über ihren Sprecher mit, die Problematik nicht vollumfänglich nachempfinden zu können. Möglicherweise handele es sich hierbei um einen Einzelfall. Zumindest gäbe es im Unternehmen keine nennenswerte Anzahl an Dokumentationen über die beschriebenen Beispiele.
Zur nicht sichtbaren Dokumentation auf VSA-Seite zitiert der Sprecher den entsprechenden Fachbereich: „Es werden dort alle Prüfergebnisse, aber auch alle Informationen zum E-Rezept angezeigt. Die Aussage, ‚in der VSA-Ansicht kann man keine Dokumentationen sehen‘, können wir damit nicht nachvollziehen.“ Das Unternehmen bietet an, eventuelle Missverständnisse noch einmal persönlich mit der Inhaberin zu klären und Hilfestellungen geben zu wollen.
APOTHEKE ADHOC Debatte