E-Rezept-Versicherung: Niemand zuständig? Laura Schulz, 05.03.2024 09:02 Uhr
Das E-Rezept bringt für die Apotheken gefühlt mehr und mehr Unwägbarkeiten mit sich, an die vor dem flächendeckenden Roll-out niemand gedacht zu haben scheint. Ein Thema, das Helge Hagedorn, dessen Frau Claudia Hagedorn in Wolfsburg die Phönix-Apotheke im Heinenkamp betreibt, gerade unter den Nägeln brennt: Was ist eigentlich mit den immer öfter beschriebenen verschwundenen E-Rezepten? Wer fühlt sich dafür zuständig und wie lässt sich das Ganze eigentlich absichern?
Vom eigenen Rechenzentrum hat Hagedorn dazu bisher keine Rückmeldung erhalten: „Wir haben noch nichts von der Narz gehört bezüglich Cyberversicherung“, berichtet er. Mit den Papierrezepten war der Umstand klar geregelt: Sobald die Rezepte an das Rechenzentrum übergeben waren, waren sie dort auch gegen Verlust versichert. „Aber das sparen die sich jetzt. Unsere Kosten haben sich aber natürlich nicht verringert.“ Für ihn ein klarer Versuch, die Geschäftsbedingungen heimlich und einseitig zu verändern.
Wenn es erst einmal läuft, sei das E-Rezept ohnehin in der Abrechnung für die Anbieter deutlich günstiger als das Papierrezept. Hinzu käme, dass mit dem E-Rezept jede Verordnung ein einzelner Kostenfaktor ist bei der Abrechnung pro Rezept, während beim Papierrezept bis zu drei Verordnungen auf ein Rezept kamen. Die Kosten für die Apotheken steigen somit mehr oder weniger unbemerkt, die Leistungen sinken, da die E-Rezepte nicht mehr versichert werden – und Leidtragende sind wieder einmal die Inhaberinnen und Inhaber, befindet Hagedorn.
Spielball zwischen Wawi und Rechenzentrum
„Die Rezeptabrechnung ist aktuell alternativlos.“ Möglichkeiten, sich als Apotheke aus dieser Ungerechtigkeit zu befreien, sieht er nicht. Standeseigene Unternehmen würden sich hierbei genauso negativ und wenig an den Apothekern orientiert verhalten wie die privaten Anbieter am Markt. „Da will man unsere Position schwächen, um eigene Kosten zu sparen.“
Dabei liege die Sache hinsichtlich der Rezeptversicherung doch eigentlich auf der Hand: Befindet sich das E-Rezept in Bearbeitung durch das Warenwirtschaftssystem (Wawi), ist der jeweilige Anbieter hier für die Datensicherung zuständig. Werden die Rezeptdaten an das Rechenzentrum übertragen, sei natürlich auch das Rechenzentrum für eine sichere Verwahrung verantwortlich.
Doch statt dass die jeweiligen Akteure Verantwortung übernehmen, machen sie die Inhaber:innen zum Spielball. „Das Narz sagt, die Wawi ist zuständig – die Wawi sagt, der Abrechner ist zuständig“, beschreibt Hagedorn die Lage. Und wer sich bei den jeweiligen Dienstleistern auch noch über seine eigentlichen Kompetenzen hinweg für die Apotheken engagiere, habe innerhalb seines Unternehmens oft auch noch das Nachsehen.
Auch andere Apotheker:innen stecken mit ihren Dienstleistern im gleichen Dilemma. Niemand wisse, wie genau die Daten im Hintergrund in den verschiedenen Systemen gesichert seien. Während Papierrezepte komplett abgesichert waren, gelte das bei E-Rezepte nur in Teilen und auch nur für die Rezepte, die auch beim Abrechner ankommen. Die Nachweispflicht für E-Rezepte, die irgendwo zwischen Wawi und Abrechnungsfirma verloren gehen, scheine bei der Apotheke zu liegen, die das in oft mühevoller Detektivarbeit nachvollziehen müssen. Dass die E-Rezepte auch noch schlichtweg wortwörtlich weniger greifbar sind, macht die Umstände nicht nachvollziehbarer für die mal mehr und mal weniger technisch versierte Apothekerschaft.
Teilweise Verständnis beim Narz
Dieses Dilemma versteht Marc Beushausen, Geschäftsführer bei Narz/AVN. Er kennt durch das hauseigene Produkt Aposoft nicht nur die Seite der Rezeptabrechnung, sondern auch die der Wawi. Die einzelnen Fälle in den Apotheken ließen sich nur schwer allgemein erklären und seien genauso individuell wie Apotheken und deren technische Voraussetzungen selbst. An gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen den Dienstleistern möchte er sich nicht beteiligen. Generell sei die Gemengelage beim E-Rezept deutlich komplizierter, schon allein da die physische Komponente fehle.
Die Herausforderung, die aus seiner Sicht besteht: „Das Problem ist immer deutlich komplexer als es zunächst wirkt. Zudem ist das Thema auch noch politisch aufgeladen bei diesem sehr belasteten Berufszweig.“ Häufig seien auch Bedienungsfehler Ursache für auftretende Fehler. Bezüglich „verschwundener“ E-Rezepte kann er Entwarnung geben: „Ich habe bisher nicht einen einzigen Fall erlebt, wo das E-Rezept tatsächlich verschwunden ist.“ Solange das E-Rezept nicht abgerechnet sei, sei es auch immer reproduzierbar. Am Ende müsste aber allen Dienstleistern am Markt daran gelegen sein, den Apotheken bei allen Problemen zu helfen.
Absicherung findet im Fachdienst statt
Klaus Henkel vom ARZ Haan versteht die Sorgen der Apotheken. Er engagiert sich über den Verband der Rechenzentren (VDARZ) zusammen mit Lars Polap von Pharmatechnik, der auch beim Bundesverband der Softwarehäuser (Adas) im Vorstand sitzt, für ein besseres Miteinander der Akteure, an deren Schnittstelle inzwischen immer mehr Apotheken verzweifeln. „Die Ängste sind enorm hoch. Kann ein E-Rezept verloren gehen? Muss ich das versichern?“, so Henkel über die Fragen der Inhaber:innen.
Er möchte in den Apotheken wieder für zunehmende Klarheit auf diesem Gebiet mit vielen Ungereimtheiten sorgen. „Wir als Rechenzentrum können gar kein E-Rezept löschen. Gibt es einen Storno, dann ist das wieder in der Wawi“, so Henkel. Er verweist auf die offizielle Regelung, wonach das E-Rezept ohnehin drei Monate über die Gematik abgesichert ist.
Ein E-Rezept behält demnach bis 90 Tage nach Ausstellung seine Gültigkeit und kann vom E-Rezept-Fachdienst abgerufen werden. Löst die Patientin oder der Patient es innerhalb der ersten 28 Tage nach Ausstellung ein, erstattet es wie bekannt die Krankenkasse. Danach können Patient:innen es zudem bis zum 90. Tag als Selbstzahlerrezept einlösen. Und nach dem Einlösen? „E-Rezepte werden 100 Tagen nach der Einlösung automatisch gelöscht“, heißt es hierzu bei der Gematik. Eine zusätzliche Rezeptabrechnung ist demnach laut Henkel gar nicht notwendig.
„Wir müssen in der Branche mehr Transparenz schaffen und Informationen liefern“, stellt Henkel fest. Die größten Fehler beim E-Rezept entstünden ohnehin in der Arztpraxis, aber da erwischen die Apothekenmitarbeiter:innen leider oft niemanden. Daher seien alle Akteure rund um die Apotheken gefordert, so Henkel. „Wir reden nicht über ein Wawi-Problem oder Rechenzetrum-Problem“ – stattdessen gehe es ums große Ganze, auch wenn jeder seine eigenen Themen habe. Aber die TI habe schon genug zentrale Ausfälle, da sollte zumindest inhouse in den Apotheken alles funktionieren. Schließlich müsse es doch auch das Bestreben aller Dienstleister sein, den Apotheken hier zu helfen.