E-Rezept und Dispensierrecht: Kassenärzte feiern Lauterbach APOTHEKE ADHOC, 04.03.2022 12:23 Uhr
Zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) herrscht mittlerweile ungewohnte Harmonie: Auf der digitalen KBV-Vertreterversammlung am Freitag lobte Vorstandsmitglied Dr. Thomas Kriedel den neuen Digitalisierungskurs – und rechnete erneut deutlich mit Lauterbachs Vorgänger Jens Spahn (CDU) ab.
Er begrüße den angekündigten Kurswechsel der Ampelkoalition hin zu einer versorgungszentrierten Digitalisierung sowie zum Abbau von Bürokratie in den Praxen. Es gehe um kleine Dinge, die die Versorgung konkret verbesserten, und nicht um „große Digitalisierungsvisionen“, so Kriedel am Freitag. „Der TI-Tanker hat noch nicht Schiffbruch erlitten, aber ist in gefährliche Untiefen geraten. Wir können ihn nur gemeinsam wieder heraus manövrieren. Wir stehen bereit, um konstruktiv daran mitzuwirken und Impulse aus der Praxis zu liefern. Vor allem, um zu erörtern, wie versorgungsrelevant und praxistauglich die jeweiligen Pläne der Politik sind“, sagte Kriedel.
Versorgungsrelevanz und Praxistauglichkeit: Genau diese beiden Punkte seien in der vergangenen Legislaturperiode vernachlässigt worden. „Da gab es puren Aktionismus ohne Versorgungsziel und Richtung“, so Kriedel. Von Lauterbach erwartet die KBV mehr als von Spahn – schon weil er selbst Arzt ist: Dass er elektronische Krankschreibung und E-Rezept gestoppt habe, bereite den Fachabteilungen im BMG sicher schlaflose Nächte, so der Vorsitzende Dr. Andreas Gassen. „Für uns ist es dagegen die Chance, bei Dingen, die für uns Ärzte einen Nutzen haben, unsere Punkte machen zu können.“
Besonders wichtig ist der KBV die Ankündigung der aktuellen Regierung in ihrem Koalitionsvertrag, regelmäßig mit den jeweiligen Stakeholdern „Praxis-Checks“ für Gesetzesvorhaben durchzuführen. Nicht nach einem Stichtag sollten Projekte ausgerichtet werden, sondern am tatsächlichen Projektfortschritt: Der Digitalisierungskurs der Vorgängerregierung habe die Versorgung gestört, was nicht zuletzt an der teils übereilten Einführung einzelner Anwendungen oder Komponenten zu festgelegten Datumsfristen gelegen habe.
„Daher plädieren wir bei allen Anwendungen für eine Abkehr von fixen und rein theoretischen Fristen und stattdessen für einen Vorrang des Funktionsnachweises anhand definierter Qualitätskriterien vor einem Datum“, forderte Kriedel. Tatsächlich ist das der Kurs, den BMG und Gematik seit Jahresbeginn nach eigenen Angaben bereits fahren. Ein solcher Nachweis seien die Quality Gates, für die die KBV in der Gesellschafterversammlung vor Einführung des E-Rezeptes eine Mehrheit erzielt hat. „Wir haben erreicht, dass 30.000 E-Rezepte diese festgelegten Qualitätsprüfsteine passieren müssen, ehe diese Anwendung flächendeckend in den Praxen ausgerollt wird“, so Kriedel.
Drei Dinge seien entscheidend: ein deutlicher Nutzen, ein frühzeitiges Einbinden der Anwenderinnen und Anwender in die Entwicklung, Testung und Implementierung der Anwendungen und die Übernahme der Betriebsverantwortung durch die Gematik, gegebenenfalls auch in der geplanten Form einer Agentur. „Wenn es die Gematik schon gibt, dann muss sie vollumfänglich die Verantwortung übernehmen und dieser gerecht werden“, so Kriedel. Die Digitalisierung brauche eine übergeordnete Instanz, die koordiniert, prüft und gewährleistet. „Sinnvollerweise ist das die Gematik. Deren Zulassung muss als verlässliches Gütesiegel dienen und bei Mängeln entzogen werden.“
Bis dahin muss aber Boden wiedergutgemacht werden. Denn das Vertrauen der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten in die Gematik sei „nachhaltig erschüttert“. Als jüngstes Beispiel nannte er die Probleme mit NFC-fähigen elektronischen Gesundheitskarten. Hier sei die Finanzierung für die notwendig gewordenen Slots zur elektrischen Entladung noch nicht abgestimmt. „Unsere Forderung, dass diese Slots schnell, unaufgefordert und in benötigter Stückzahl in die Praxen kommen und zwar kostenfrei und ohne Vorleistung durch die Praxen, wurde in der Gematik abgelehnt“, erklärte Kriedel. „Jetzt müssen wir mit dem GKV-Spitzenverband verhandeln. Dabei müsste der kosten- und aufwandsfreie Ersatz selbstverständlich sein – und zwar durch denjenigen, der den Fehler zu verantworten hat. Alle Komponenten waren zugelassen.“ Bei Mängeln hafte üblicherweise der Verursacher. Daher fordert die KBV einstimmig eine Entschädigung der Praxen, außerdem müsse die Gematik dafür gerade stehen, dass nur einwandfrei funktionierende Komponenten ausgliefert würden.
„Wie die Ärzte und Psychotherapeuten habe auch ich es satt, dass die Nachlässigkeiten, Probleme und Fehler anderer ständig bei uns in den Praxen abgeladen werden“, so Kriedel. Um die Digitalisierung sinnvoll voranzutreiben, sei eine ehrliche Fehlerkultur, aber auch eine offene Entscheidungskultur unverzichtbar „Wir müssen weg von Schönfärberei, hin zu einer Kultur des routinierten und aufrichtigen Realitätschecks. Und wenn das Bundesgesundheitsministerium weiterhin mit einer 51-Prozent-Mehrheit alle Entscheidungen in der Gematik im Alleingang treffen kann, dann sollte es mit der Gematik auch dazu stehen und nicht so tun, als ob es sich um von allen getragene Entscheidungen handele.“
In der Vertreterversammlung wurde auch Lob für das geplante Dispensierrecht und Protest gegen Impfungen in Apotheken laut: Dr. Jens Wasserberg, Hausarzt und stellvertretender Vorsitzender Hausärzteverband Nordrhein, kritisierte, dass Apotheken hier „inthronisiert werden als notwendige Heilsbringer – nachdem wir Ärzte die Impfungen längst erbracht haben“.
Man beobachte das zunehmende Eindringen der Apotheken in ärztliche Felder, kritisierte auch Dr. Andreas Borowski, Laborarzt aus Lübeck. Beim Impfen sei die Situation grotesk, doch auch bei Labordiagnostik seien Begehrlichkeiten geweckt worden. Es sei Zeit, die Dinge wieder zurückzuführen.
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