Das Bundesgeusndheitsministerium (BMG) erteilt den Forderungen der Krankenkassen nach der Einbindung von E-Rezepten in ihre Apps eine Absage. Die Gematik-App bleibe der einzige „der sichere Hafen“ für staatliche E-Rezepte, erklärte BMG-Digitalabteilungsleiter Dr. Gottfried Ludewig am Mittwochabend bei einer Abda-Veranstaltung. Ganz so sicher ist der Hafen dann aber doch nicht: Die Möglichkeit, E-Rezept-Token durch einfaches Abfotografieren rechtskonform weiterzuleiten, ist nämlich nach wie vor nicht vom Tisch, kritisierte Abda-Präsidentin Gabriele Overwiening.
Die Krankenkassen halten weiter an ihrer Forderung fest, dass das E-Rezept künftig nicht nur in die App der Gematik, sondern auch in die Apps und Online-Plattformen der Krankenkassen eingebunden werden kann. „Der richtige Ort für die Einbindung und Übermittlung des E-Rezeptes an die Versicherten sind die bereits bestehenden Apps der Krankenkassen. Diese sollten für die Versicherten die zentrale Plattform sein, auf der sie alle Anwendungen für Verordnungen, Rezepte, Notfalldaten, Organspendeausweis oder Medikationsplan zusammengefasst finden“, erklärte AOK-Chef Martin Litsch erst kürzlich wieder.
Im BMG stößt die Forderung allerdings auf taube Ohren. „Ich kann auf jeden Fall die Hoffnung der einen oder anderen Versicherung auflösen, dass es noch 20 andere Apps gibt, in die das E-rezept reinfließt. Das wird nicht passieren. Das würde nämlich auch bedeuten, wir müssten jede dieser Apps auf Herz und Nieren prüfen. Das ist nicht machbar.“ Man schulde den Versicherten, dass es einen rundum sicheren und geprüften Standardweg für die Verordnungen gibt. „Und dann gibt es ab dem Zeitpunkt natürlich auch irgendwann eine Eigenverantwortung“, so Ludewig.
Welche Tools Versicherte dann zur Weiterleitung in andere Apps für Funktionen wie Medikations- und Wechselwirkungschecks nutzen, sei deren Sache. „Da endet irgendwann auch die Gematik-Welt – was ich übrigens gut finde, weil ich finde, dass eine staatliche App nicht zum Wettbewerbsteilnehmer von Zusatzfunktionalitäten. Aber sie ist der sichere Hafen für das elektronische Rezept. Und das soll sie bleiben.“ Grundfunktionalitäten wie Apothekensuche und Weiterleitung würden in der Gematik-App angeboten. Wenn Versicherte Zusatzfunktionalitäten wollen, dann solle das über Drittanbieter-Apps möglich sein. „Aber der Einlöseprozess soll über die Gematik-App laufen und das soll auch so bleiben.“
Dafür erhielt Ludewig Zustimmung von Overwiening: „Ich bin überhaupt nicht davon überzeugt, dass eine Öffnung der Gematik-App für andere irgendwelcher Vorteile bringt. Das ist ein Pseudo-Wettbewerb nach meiner Vorstellung.“ Voll zufrieden mit der regulatorischen Ausgestaltung des E-Rezepts ist die Abda-Chefin dennoch keineswegs – ganz im Gegenteil, sie stoße sich weiterhin an der Möglichkeit, E-Rezept-Token durch einfaches Abfotografieren mit Drittanbieterapps weiterleiten zu können. DocMorris hatte mit dieser Möglichkeit bereits vor Investoren geworben und damit seine Erwartungen begründet, einen wachsenden Teil elektronischer Verordnungen abgreifen zu können.
„Wenn ein Patient das Gefühl hat, dass das so easy going ist – ‚Ich fotografiere mal eben diesen Schlüssel ab und schicke den in die Welt hinein‘ – dann wäre das für mich ein Sicherheitsproblem“, so Overwiening. „Da sehe ich noch ein Einfallstor. Das ist für mich noch nicht ganz schlüssig.“ Damit das E-Rezept in den Apotheken akzeptiert wird, sei es „wichtig, dass diese Token nicht einfach abfotografiert und in der Weltgeschichte herumgeschickt werden können.“ Es müsse dafür zwischen den Beteiligten im Gesundheitswesen eine gemeinsame Lösung gefunden werden, „damit wir hier keine Trivialisierung und Bagatellisierung der Verordnung und auch der dahinter gelagerten Versorgung haben“.
Ludewig zeigte sich offen für die Kritik – wich einer klaren Ansage zu einer möglichen Änderung der Regelung aber aus. „Ich verstehe, dass da viele eine Sorge haben. Das Motto ‚Fotografier es ab und schick es mir‘ ist sicher nicht Sinn und Zweck eines digitalen Projekts“, so der BMG-Abteilungsleiter. Tatsächlich sei es auch gar nicht so gedacht, „sondern es soll tatsächlich in einer sicheren Umgebung sein, weil das ja sonst auch Wettbewerbsvorteile auslöst, die in dieser Form für das Gesamtsystem nicht vorhanden sind. Insofern schauen wir uns das sicherlich an.“ Dennoch: Er halte daran fest, dass es zwar um einen fairen Wettbewerb gehe – aber eben auch darum, dass die Versicherten nach dem Erhalt des Zugangscodes selbst entscheiden können, ob und wohin sie ihn versenden möchten. Tatsächlich verhält es sich mit dem heutigen Muster-16-Rezept auch nicht anders.
Die in der Vor-Ort-Apotheken-Branche verbreitete Sorge, dass das E-Rezept zur einem massiven Wachstum des Rx-Anteils der Versender führen wird, teilt er indes nicht. „Das sind doch immer alles statische Betrachtungen. In solchen neuen Spielregeln habe ich auch neue Chancen und wenn meine Apotheke vor Ort einen Botendienst anbietet, der mir das Medikament am selben Abend bringt, warum soll ich denn als Kunde dann zwei Tage warten im ländlichen Bereich oder einen Tag im städtischen Bereich?“, so Ludewig am Mittwochabend. „Das erschließt sich mir nicht zwingend. Ich finde, das ist ein bisschen aus der alten Welt gedacht. Die Apotheken sind doch auch unternehmerisch tätig.“
Bis das E-Rezept überall im Versorgungsalltag ankommen wird, wird es ohnehin noch ein halbes Jahr dauern – mindestens. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) warnt bereits, dass zu Jahresbeginn viele Ärzte aufgrund noch nicht erfolgter Updates der Anbieter von Praxisverwaltungssystem nicht in der Lage sein könnten, überhaupt E-Rezepte zu generieren. Ludewig adressierte das Problem, ohne es explizit zu nennen: „Ich bin sehr optimistisch, dass das zum 1. Januar 2022 in weitesten Teilen auch steht. Und ich sage Ihnen ganz ehrlich, wenn es dann nachher aus irgendwelchen Gründen 5 oder 10 Prozent der Ärztinnen und Ärzte gibt, wo irgendwas noch nicht funktioniert und es kommt zwei, drei Wochen später – dann ist das so. Aber es kommt“, so Ludewig. „Wenn es da zwei, drei vier, fünf, sechs Wochen Verzug gibt, dann überleben wir das – wenn ich überlege, dass wir nur 18 Jahre darüber geredet haben.“
Immerhin: Bisher sei die Testphase in der Fokusregion gut angelaufen – auch wenn noch kein einziges echtes E-Rezept abgerechnet wurde. „Wenn ich es kurz und knapp mache: Es funktioniert. E-Rezepte werden übertragen, sie werden eingelöst, also technisch hat es funktioniert“, so Ludewig. „Aber wir sind ganz am Anfang, wir wollen jetzt tatsächlich die kommenden Wochen und Monate fürs Testen nutzen.“
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