Bei der geplanten Einführung des E-Rezepts hakt es weiter gewaltig. Die Pilotphase startet am 1. Juli mit lediglich einer Praxis, einer Apotheke und einem einzigen Patienten. Mitte des Monats soll es etwas mehr Vielfalt geben, der weitere Zeitplan steht dem Vernehmen nach aber auf sehr tönernen Füßen.
Für die Apotheken überraschend kam schon die Ankündigung Ende April, dass das E-Rezept im Juli nicht bundesweit verordnet werden soll, sondern zunächst nur in einer Testregion Berlin-Brandenburg. Zwar war die Gematik bemüht, den Vorgang als planmäßig zu verkaufen, doch die Apotheker:innen inklusiver ihrer Standesvertretung wirkten doch reichlich düpiert.
In der Fokusregion sollen nun maximal 120 Apotheken und 50 Arztpraxen den Anfang machen. Diese Obergrenze soll allerdings erst gegen Ende des dritten Quartals erreicht werden. Nach Informationen von APOTHEKE ADHOC testet zunächst nur die Feurig-Apotheke von Konstantin Lamboy mit der Hausarztpraxis von Dr. Shahin Abdoinezhad Mirkouhi das E-Rezept. Praxis und Apotheke sind praktischerweise im selben Haus im Berliner Stadtteil Schöneberg. Lamboy war bereits vergangenes Jahr am Modellprojekt des Deutschen Apothekerverbands (DAV) beteiligt.
Daraus folgt, dass auch nur jeweils eine Software getestet werden kann: in der Apotheke Ixos von Pharmatechnik und in der Praxis das System Quincy des Anbieters Frey. Als Krankenkasse ist zum Start nur die AOK Nordost mit von der Partie, mit der für den Testpatienten auch nur mit einem Rechenzentrum abgerechnet wird. In dieser sogenannten „Hyper-Care-Phase“ soll zunächst überprüft werden, ob das Ganze überhaupt läuft. Das ist ein vollkommen normaler Vorgang – nur hätte man ihn normalerweise vor der Pilotphase erwartet.
Nach rund zwei Wochen Test soll der Kreis der Beteiligten dann vorsichtig erweitert werden: Während Pharmatechnik die Ehre zukommt, als Pionier zu testen, soll ab dem 19. Juli jedes Softwarehaus in der „Extended-Care-Phase“ mindestens eine Apotheke betreuen. Allerdings fehlen den Anbietern nach eigenen Angaben noch immer notwendige Spezifikationen, um einzusteigen. Weitere Krankenkassen und Rechenzentren sollen angeschlossen und die Vielfalt der Anbieter aufgebaut werden.
Erst im August läuft dann die „Enhanced-Care-Phase“ an. Und bis zum Ende des dritten Quartals sollen die versprochenen 50 Arztpraxen und 120 Apotheken angeschlossen sei. Die Pilotphase läuft in vollem Umfang also womöglich nie unter Volllast, wenn das System am 1. Oktober auch schon bundesweit geöffnet werden soll. Die Gematik nimmt jedenfalls Anmeldungen zu diesem Stichtag an. Theoretisch können dann überall in der Republik E-Rezepte auftauchen.
Vor allem eine flächendeckende Bereitschaft der Arztsysteme scheint mehr als fraglich: Bislang ist nur das System Quincy des Anbieters Frey überhaupt aufgeschaltet. Dem Vernehmen nach planen die meisten Softwarehäuser der Ärzteschaft, ihre Systeme zum 1. Oktober startklar zu haben.
Die EDV-Anbieter klagen, dass die Vorgaben für die Programmierung viel zu spät geliefert worden seien. „Das ganze Baukastensystem stand nicht zur Verfügung. Jetzt ist das Ziel, dass man am 1. Juli wenigstens den Baukasten hat“, berichtet ein Vertreter. Der Start im Oktober sei ein „Himmelfahrtskommando“. Denn wenn auch nur ein Teil nicht funktioniere, könne das ganze Projekt schnell wieder ins Stocken geraten. Deshalb müsse der Gesetzgeber eigentlich reagieren und längere Fristen gewähren, so die Forderung – die auch von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ausgesprochen wird.
KBV-Vorstand Dr. Thomas Kriedel geht davon aus, dass gegebenenfalls selbst bis zum Start der bundesweiten E-Rezept-Pflicht am 1. Januar nicht alle Anbieter von Praxisverwaltungssystemen (PVS) in der Lage sein werden, die E-Rezept-Dienste zu integrieren. „Deshalb habe ich große Sorge, ob alle Arztpraxen am 1. Januar in der Lage sein werden, E-Rezepte auszustellen. Da habe ich Zweifel, die durch die bisherigen Erfahrungen genährt werden“, so Kriedel im Interview mit APOTHEKE ADHOC. „Wenn sich im dritten oder vierten Quartal zeigt, dass relevante Marktplayer nicht fertig werden, dann ist unsere Forderung, dass die Einführung des E-Rezepts verschoben wird.“
Realistischer ist demnach jedoch, dass für jene Praxen, die aufgrund fehlender Software-Updates keine E-Rezepte generieren können, die Störfallregelung greift: Nach Auffassung der KBV können diese Praxen dann auch über den 1. Januar hinaus weiter klassische Muster-16-Rezepte verwenden.
Und selbst unter der Prämisse, dass alle PVS-Anbieter bis Jahresende die notwendige Integration durchführen, sieht die KBV die Bedingungen für eine bundesweit verpflichtende E-Rezept-Einführung nicht unbedingt gegeben: Denn eine Freischaltung kurz vor der Pflicht reiche nicht aus, damit sich alle Praxen ausreichend auf die standardmäßige Ausstellung von E-Rezepten vorbereiten können. „Bei so zentralen versorgungswichtigen Prozessen muss alles einwandfrei funktionieren und dazu muss man sie erproben können“, so Kriedel.
Allerdings sollen nach aktueller Planung zum Ende des dritten Quartals nur rund 50 Arztpraxen involviert sein. Demnach müssten die „restlichen“ mehr als 100.000 Arztpraxen bereits zeitnah danach befähigt werden, E-Rezepte auszustellen, um den Betrieb einüben zu können. „Es gibt viele Konstellationen, die noch nicht ausgetestet wurden und die Erfahrung zeigt, dass solche Prozesse immer sehr komplex sind.“ Die KBV fordert deshalb ein anderes Vorgehen: Nach der Einführung in der Fokusregion solle eine Auswertung erfolgen und darauf aufbauen entschieden werden, ob der Termin zum 1. Januar überhaupt haltbar ist.
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