Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will mit zwei neuen Gesetzen die Digitalisierung im Gesundheitswesen vorantreiben. Dazu gehört auch das E-Rezept, das ab 1. Januar verbindlicher Standard sein soll. Und: Apotheken sollen in Zukunft Videoterminals aufbauen und „assistierte Telemedizin“ anbieten dürfen.
Man habe die Hausarbeiten gemacht, sagte Lauterbach auf die Frage, warum denn die verpflichtende Einführung des E-Rezepts Anfang kommenden Jahres gelingen soll, nachdem er selbst das Projekt vor mehr als einem Jahr wegen gravierender architektonischer Probleme gestoppt hatte. Bislang sei das E-Rezept nur sehr schwierig zu nutzen gewesen, insbesondere die Authentifizierung in der Apotheke sei ein Problem gewesen, so Lauterbach. Jetzt werde man weitere Möglichkeiten ausrollen, sodass die Nutzung stark vereinfacht werde. So soll das E-Rezept mit der Versichertenkarte (eGK), perspektivisch aber auch mit der App zur elektronischen Patientenakte (ePa) eingelöst werden können.
An der grundlegenden Technologie soll sich aber nichts mehr ändern. Einen neuen Zeitplan mit Pilotregionen wird es nicht geben. „Das E-Rezept wird ja bereits erprobt. Wir hoffen, dass es zum 1. Januar dann auch genutzt wird“, ruderte er selbst zurück.
Herzstück des Digitalgesetzes soll aber die ePa werden. Durch eine Opt-out-Lösung sollen – außer bei Widerspruch des oder der Versicherten – möglichst viele Daten gesammelt und zusammengeführt werden. Man hänge sowohl in der Forschung als auch in der Versorgung Jahre hinterher, so Lauterbach. „Das können wir nicht länger verantworten.“ Deshalb solle „ein Neustart“ kommen.
Ein Vorteil der ePa für die Versorgung ist aus seiner Sicht, dass die unterschiedlichen Ärztinnen und Ärzte und Leistungserbringer dann auf sie zugreifen können. Daher soll es auch einen Schub für Telemedizin geben: Apotheken, aber auch Gesundheitskioske sollen dazu Videoterminals aufstellen können, insbesondere in unterversorgten Gebieten. Sie sollen dann das digitale Arztgespräch betreuen, auch im Zusammenhang mit Disease-Management-Programmen (DMP). Dass ausgerechnet die Gesundheitskioske derart aufgewertet werden, dürfte Lauterbach noch allerhand Ärger mit der Ärzteschaft einbringen – immerhin hatte er zuletzt immer wieder versichert, dass hier keine Therapie stattfinden soll.
Allerdings kommt die ePa erst ab Ende 2024 hinzu. Im Zusammenspiel mit dem E-Rezept soll sie zum Beispiel die Erkennung von Wechselwirkungen vereinfachen: In der ePA wird unter anderem eine Medikationsübersicht hinterlegt, zusätzlich zur Krankengeschichte. Sie wird für jeden Patienten und jede Patientin automatisch angelegt, außer es wird ausdrücklich widersprochen. Beim Arztbesuch wird dann der Zugriff mittels eGK freigegeben. Mit der ePa-App sollen außerdem die Daten vom Versicherten selbst eingesehen werden können. Krankenkassen sollen dagegen keinen Zugriff haben, um etwa Kranke zu erkennen oder steuernd in die Versorgung eingreifen zu können.
Lauterbachs Ziel: 80 Prozent der Patientinnen und Patienten bis 2025 mit einer ePa auszustatten und in der Folge auch mit einem Medikationsplan. Bis Ende 2026 sollen mindestens 300 Forschungsvorhaben auf solche pseudonymisierten Daten zugreifen.
Die Gematik soll – wie im Koalitionsvertrag angekündigt – zu einer Digitalagentur ausgebaut und „in ihrer Handlungsfähigkeit gestärkt“ werden. Dazu soll sie zu 100 Prozent in die Trägerschaft des Bundes übergehen, sprich verstaatlicht werden. Bedenken, dass die Selbstverwaltung damit quasi untergraben wird, teilt Lauterbach nicht: Man führe extrem intensive Gespräche, bislang seien es rund 500 an der Zahl. Aber man wolle mehr Tempo, und am Ende stehe man als Bund in der Verantwortung.
Lauterbach beklagte einen gewissen Defätismus, der sich „insbesondere in der Ärzteschaft, aber nicht nur dort“ breit gemacht habe. Es sei so lange darüber geredet worden, dass niemand mehr daran glaube. „Dem wollen wir mit schneller Umsetzung begegnen“, so Lauterbach. Es werde unbürokratisch und komfortabel sein. Dabei wolle er auch ein Versprechen einlösen, das seine Parteifreundin Ulla Schmidt vor 20 Jahren als Gesundheitsministerin abgegeben habe.
Aus seiner Sicht wird die Digitalisierung zu einem „Sprung in der Versorgung“ führen. Die Daten sollen dezentral gespeichert und vor Missbrauch geschützt werden. Ärger mit Datenschützern sieht er betont gelassen entgegen: Vetorechte in der bisherigen Form werde es nicht mehr geben, man wolle die Freigabe „breiter aufstellen“, sodass man Qualität und Zeit gewinne. Ohnehin rechne er nicht damit, dass allzu viele Verbraucherinnen und Verbraucher gegen die Nutzung ihrer Daten sein, so der Minister mit Verweis auf Österreich, wo nur 7 Prozent widersprochen hätten.
Gesetzlich geregelt werden sollen auch mehr Datenauswertungen für die Forschung. Dafür soll unter anderem eine zentrale Stelle eingerichtet werden, die einen Zugang zu pseudonymisierten Daten aus verschiedenen Quellen wie Registern und Krankenkassendaten ermöglichen soll. „Wir wollen weg von Datensilos.“ Zugreifen sollen Wissenschaft und Industrie gleichermaßen, sofern sie einen entsprechenden Zweck darlegen können.
Es sei überraschend und sehr problematisch, dass die Daten im Gesundheitswesen so wenig genutzt werden, so Lauterbach. Vielmehr sei man auf Daten aus den USA oder Israel angewiesen, auch die Forschung habe sich daher zum Teil bereits aus Deutschland verabschiedet. Das wolle man nun mit Druck angehen.
Die Entwürfe für Digitalgesetz und das Gesetz zur Gesundheitsdatennutzung sollen in den nächsten Wochen vorgestellt werden. Dass es sich erneut nur um Ankündigungen und Absichtserklärungen handele, weist Lauterbach zurück: Im Grunde seien beide Gesetze so gut wie fertig, man sei bereits in der Abstimmung. Nur Detailfragen müssten noch geklärt werden.
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