Mit zwei Jahren Verspätung soll das E-Rezept nun tatsächlich verpflichtend werden. Doch die Hoffnungen der Versender auf ein schnelles Milliardengeschäft lösen sich gerade in Luft auf, die versprochene Scan-Lösung wird nicht der Durchbruch sein. Bei DocMorris & Co. macht sich Panik breit.
Seit Jahren fiebern die Versender auf die Einführung des E-Rezepts hin, denn ein QR-Code lässt sich nun einmal leichter nach Holland schicken als ein Papierrezept. Nicht weniger als 10 Prozent vom Rx-Kuchen wolle man sich sichern, gab der frühere CEO von DocMorris/Zur Rose, Walter Oberhänsli schon vor vier Jahren zu Protokoll.
Doch die Hängepartie seit den ersten Pilotversuchen im Jahr 2021 hat den Aktienkursen der Versender kräftige Rücksetzer verpasst. Da mit dem Apothekenstärkungsgesetz (VOASG) auch noch Rx-Boni verboten wurden, verirrten sich sogar deutlich weniger Rezepte in die Briefkästen von DocMorris und Shop Apotheke als zuvor.
Und dann kam zu allem Überfluss auch noch das Einlösen über die elektronische Gesundheitskarte (eGK) als neues Verfahren hinzu, das zum 1. Juli freigeschaltet wurde und das vor allem in der Apotheke vor Ort zur Anwendung kommen wird. Bundesgesundheitsministerium (BMG) und Gematik hatten einsehen müssen, dass weder die offizielle E-Rezept-App noch der ausgedruckte Token in der Fläche funktionierten und dass die Übermittlung über die Apps von Versendern und Drittanbietern von Datenschützern eher kritisch gesehen wurde.
Weil für die physische Steckung der eGK in der Apotheke die Anwesenheit der Patient:innen vor Ort erforderlich ist, hatten die Versender Einspruch gegen das Einlöseverfahren erhoben, da sie sich dadurch benachteiligt fühlten. Die Kanzlei Dierks + Company hatte für sie sogar ein Rechtsgutachten erstellt, doch das BMG kam zu dem Schluss, dass das Verfahren „nicht zu einer Diskriminierung von Versandapotheken“ führt.
Ohnehin stehen BMG und Gematik unter massivem Druck, die Einführung des E-Rezepts jetzt endlich hinzubekommen. Für den Erfolg dürfte das eGK-Verfahren essentiell sein, da nur darüber schnell und unkompliziert eine große Anzahl an E-Rezepten generiert werden dürfte. Womöglich sind die Verantwortlichen daher bereit, die speziellen Wünsche der Versender vorerst zu vernachlässigen.
Unter dem Namen Mediscan hat der Verein „E-Rezept-Enthusiasten“ einen weiteren Weg skizziert, mit dem eigentlich die Interessen von DocMorris & Co. befriedet werden sollten: Der Token wird dabei direkt auf dem Kartenlesegerät in der Arztpraxis angezeigt; der Patient oder die Patientin kann den QR-Code dann scannen und sofort an eine Versand- oder auch Vor-Ort-Apotheke schicken.
In einer Zahnarztpraxis in Dortmund wurde das Modell getestet, die Praxishelferin konnte die Token auf Wunsch direkt auf die Terminals von Cherry und Worldline freigeben. Das Abfotografieren klappte dabei reibungslos, denn die Auflösung war dafür gut genug.
Doch die Einführung könnte noch dauern. Denn damit nicht jedes Softwarehaus ein eigenes Update fahren muss, würde der Vereinsvorsitzende Ralf König die Scan-Lösung gerne im Konnektor hinterlegen. Hierfür gibt es aber noch keinen Termin.
Die Gematik hat noch nicht einmal entschieden, ob es dazu kommen wird: „Derzeit wird noch analysiert, ob eine Umsetzung der Lösung durch die Gematik für das Abscannen von 2D-Codes auf Kartenterminals sinnvoll ist“, so ein Sprecher.
Laut König hätte die quasi hoheitliche Implementierung über den Konnektor den Vorteil, dass Werbemodelle damit ausgeschlossen seien und dass man das Verfahren perspektivisch auch für andere Daten nutzen kann. Er hofft, dass sich mit der Umstellung der Gematik-App auf die NFC-lose Variante eine Möglichkeit ergibt, das Update doch noch unterzubekommen. Einstweilen, findet er, hätten die Apotheken vor Ort einen Vorsprung, den sie nutzen sollten.
Die Versender wollen keinesfalls länger warten. „Eine solche Lösung flächendeckend aufzubauen, dauert womöglich Jahre und damit zu lange“, sagte DocMorris-CEO Walter Hess dem Handelsblatt. „E-Rezepte müssen für die Versicherten ebenfalls niederschwellig via elektronischer Gesundheitskarte bei Online-Apotheken einlösbar sein.“
Gemeinsam mit dem Konkurrenten Shop Apotheke hat sein Unternehmen in der vergangenen Woche die EU-Kommission aufgefordert, ein neues Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten. Das eGK-Verfahren erschwere den Marktzugang für die ausländischen Online-Apotheken „vorsätzlich und ungerechtfertigt“ und verstoße damit gegen EU-Recht.
Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erhielt laut Handelsblatt ein Schreiben mit den Forderungen der Versender. „Wir wollen konkrete Zusicherungen, dass die Versicherten bei der Einlösung des E-Rezepts einen nutzerfreundlichen und volldigitalen Zugang auch zu den Online-Apotheken erhalten“, wird Hess zitiert.
Womöglich geht es den beiden Versendern aber in Wirklichkeit vor allem darum, endlich wieder Rx-Boni gewähren zu dürfen. Immerhin sei ein früheres Vertragsverletzungsverfahren wegen der Rx-Preisbindung ja nur eingestellt worden, weil mit dem E-Rezept der Wettbewerbsnachteil ausgeglichen werde, erinnerte Hess in der vergangenen Woche.
Die Versender fordern ein „gleichwertiges Äquivalent über die eGK ohne PIN“. Mit der Möglichkeit zur Nutzung der digitalen Identität zur Authentifizierung ab dem 1. Januar 2024 müsse auch das E-Rezept für Versicherte über einen niedrigschwelligen Identitätsnachweis einlösbar sein.
Als großer Wurf für die Versender taugt das Einscannen in der Praxis offenbar nicht. Denn auch die Scan-Lösung setzt voraus, dass Versicherte persönlich in der Arztpraxis vorstellig werden.
Laut Gematik können E-Rezepte zwar auch aus der Ferne – zum Beispiel im Rahmen einer Videosprechstunde – ausgestellt werden, da sie immer im Fachdienst und nicht auf der Gesundheitskarte gespeichert würden. „Es ist nicht notwendig, dass die Gesundheitskarte beim Ausstellen von E-Rezepten in der (Zahn-)Arztpraxis gesteckt wird.“
Doch einen triftigen Grund, die Rezepte nach Holland zu schicken, gibt es immer noch nicht. Und die Kopplung von Versandapotheke und Videosprechstunde haben mittlerweile mehrere Gerichte bis hin zum Bundesgerichtshof (BGH) in der bisherigen Form untersagt. So wie es aussieht, ist das E-Rezept auch für die Versender kein Selbstläufer.
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