Die Kritik an der chaotischen Einführung des E-Rezepts wächst. In ihrer Funktion als Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe warf Gabriele Overwiening dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) vor, den Start ohne Rücksicht auf die Praxistauglichkeit durchboxen zu wollen. Sie sprach in dem Zusammenhang von einem Lobbygeschenk an die Versender.
Bei der Herbstsitzung des westfälisch-lippischen Apothekerparlaments war das E-Rezept ein zentrales Thema. In der fast siebenstündigen Digitalsitzung richtete Overwiening eine klare Botschaft an die Gematik, die auf Bundesebene für die Umsetzung verantwortlich ist: „Das für alle Beteiligten wichtigste Digitalprojekt im Gesundheitswesen aller Zeiten darf nicht verstolpert werden. Wir Apothekerinnen und Apotheker sind startklar für das E-Rezept. Beim Blick auf den ehrgeizigen Zeitplan und den tatsächlichen Umsetzungsfortschritt des Gesamtprojektes wird mir aber angst und bange.“
Seit einer Gesetzesänderung im Mai 2019 hält der Bund 51 Prozent der Stimmanteile an der Gematik, in der seither alle Beschlüsse mit einfacher Mehrheit erfolgen können. Auf die Leistungserbringer wie Ärzte und Apothekerschaft und die Krankenkassen entfallen nur noch 49 Prozent der Stimmen. „Seitdem haben wir mitunter den Eindruck, dass Beschlüsse ohne Bezug zur Praxistauglichkeit und Akzeptanz und mitunter sogar entgegen der Fachlichkeit durchgeboxt werden“, kritisiert Overwiening.
Konkret macht sie das am jüngsten Beschluss der Gematik fest, dass die Apothekerkammern nicht mehr nur eine, sondern bis zu acht Institutionenkarten (SMC-B) je Apotheke mit unterschiedlichen Telematik-IDs vergeben sollen. „Die Ausstattung der Apotheken mit jeweils einer Karte hat fast 18 Monate in Anspruch genommen.“ Damit jetzt fünf Wochen vor dem Start um die Ecke zu kommen, sei verantwortungslos, für den Projekterfolg eigentlich irrelevant und in der Durchführung und Prüfung für die Apothekerkammern faktisch unmöglich. „Wir bewerten dies als ein Lobbygeschenk an die Versandapotheken, die sich durch diesen Schachzug nicht mehr nur einmal, sondern bis zu achtmal im sogenannten ‚Verzeichnis-Dienst‘ der Telematik-Infrastruktur, also dem digitalen Anbieterverzeichnis und damit letztlich auch per E-Rezept-App der Gematik gegenüber dem Versicherten, präsentieren können. “
Die Delegierten der Kammerversammlung wünschten sich stattdessen eine stärkere Befassung der Gematik und des BMG mit der Frage, wie praxistauglich die Ausstellung von E-Rezepten in der Arztpraxis über den digitalen Transport und die Einlösung in der Apotheke bis zur Abrechnung derzeit sei. Overwienings Eindruck: „Viele Kolleginnen und Kollegen fühlen sich derzeit wie Piloten auf einem neuen Flughafen, der offensichtlich nur über eine Startbahn verfügt, aber weder eine Landebahn noch über eine qualifizierte Organisation des Flugverkehrs durch den Tower anbieten kann.“
Die einzig logische Konsequenz des BMG müsse sein, die Testphase des E-Rezepts zu verlängern und Ende-zu-Ende-Tests von der Ausstellung bis zur erfolgreichen Abrechnung zwingend vorzuschreiben. Gerade im Kontext der professionellen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln und der damit in Zusammenhang stehenden Versorgungsqualität sei es daher wichtig und richtig, ausschließlich ausreichend getestete und praktikable technische Lösungen zur Verfügung zu stellen.
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