Spahns letzte Niederlage

E-Rezept-Einführung: Gratis-Sieg für Lauterbach

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Berlin -

Da soll mal einer sagen, Protest wäre vergebens: In ungewohnter Einigkeit haben die Spitzenorganisationen der Leistungserbringer von Apothekern über Ärzte bis zu den Kliniken den Aufstand gegen Gematik und Bundesgesundheitsministerium (BMG) gewagt – und kriegen nun genau das, was sie wollten. Die neue Ressortleitung geht vollumfänglich auf ihre Forderungen ein. Das E-Rezept soll erst dann bundesweit verpflichtend kommen, wenn es ausreichend erprobt ist. Das BMG hat richtig und einsichtig gehandelt, aber zu einem geringen Preis. Es wird jetzt zeigen müssen, ob es sich besser anstellt als bisher, kommentiert Tobias Lau.

Wer hätte das gedacht: Jahre als Apothekerschreck scheinen innerhalb weniger Tage vergessen. Der neue Bundesgesundheitsminister Dr. Karl Lauterbach katapultiert sich mit ehrlicher Einsicht in die tatsächlichen Gegebenheiten in die Herzen all der Apotheker und Ärzte, die seit Monaten davor warnen, eine unausgereifte, weil nicht ausreichend getestete E-Rezept-Infrastruktur mit der Macht einer 51-Prozent-Mehrheit in der Gematik-Gesellschafterversammlung durchzudrücken.

Besonders bemerkenswert daran ist, wie eindeutig das BMG Punkt für Punkt die Kritik der Gesellschafter aufgreift und sie sich zu eigen macht – und damit en passant die Gematik düpiert, die die bisherige Kommunikationslinie des BMG stets als ihre eigene ausgab. Die Tests seien zwar zahlenmäßig hinter den Erwartungen zurückgeblieben, reichten aber aus, um das Funktionieren des Gesamtsystems zu belegen, hieß es bislang. Das BMG reißt das nun ein, indem es im Einklang mit den Leistungserbringern das Gegenteil verkündet. Es müssten klare Kriterien für die Testung festgelegt werden, ohne deren Erfüllung die Einführung nicht kommt, forderten die in der Gematik-Gesellschafterversammlung und wurden vom – noch von Jens Spahn geführten – BMG überstimmt. Das neue BMG schwenkt nun ein und sagt ihnen genau das zu. Der Bogen über alldem ist die Frage der Transparenz. Und auch auf diese Kritik geht das BMG nun ein und verspricht, den Projektfortschritt künftig ehrlicher zu kommunizieren.

Wo bisher beschwichtigt wurde, wird nun eingeräumt. Allzu überschwänglich muss das Lob an das BMG aber nicht ausfallen: Nicht nur war Brancheninsidern schon seit Monaten bekannt, wie die wahre Lage ist. Dass Gematik und BMG beharrlich leugneten, änderte daran nichts – außer, dass es die Entfremdung zwischen Leistungserbringern und öffentlicher Hand noch vergrößerte. Auch ist es keine Läuterung oder gar ein Fehlereingeständnis, dass das BMG nun einlenkt: Es konnte diesen Schritt unter neuer SPD-Führung ohne den Gesichtsverlust gehen, den der Amtsvorgänger erlitten hätte. Die Verantwortung für das Debakel trägt schließlich Spahn, nicht Lauterbach. So wie er den Impfstoffmangel und seine verzweifelten Maßnahmen zur Nachbeschaffung transparent machen konnte, weil ihn keine Schuld an der Ausgangslage trifft, kann er nun die unverantwortliche E-Rezept-Einführung abblasen.

Für den jüngst ausgeschiedenen Minister ist es jedoch eine späte Niederlage, die auch in seiner vermutlich längst nicht beendeten politischen Karriere auf ihn zurückfallen könnte. Denn sie belegt, was seine Kritiker Spahn seit Jahren vorwerfen: dass die Selbstdarstellung als Macher und Erneuerer wichtiger ist als die tatsächliche Substanz seiner Vorhaben. Lange schon war absehbar, dass es mit der E-Rezept-Einführung nicht so läuft, wie es vorab verkündet wurde. Doch er zog durch. Den ganzen Sommer über wurde so getan, als seien die Zusammenkürzungen bei der Einführung schon immer genau so geplant gewesen. Unbefriedigende Ergebnisse wurden schöngeredet, stoisch an der Einführung zum 1. Januar festgehalten, obwohl die Probleme – und damit auch Gefahren für die Versorgung – immer offener zutage traten. Spahn war es ganz offensichtlich wichtig, sich weiter anheften zu können, das Dauerprojekt E-Rezept endlich umzusetzen. Aber etwas anzustoßen, ist nicht so schwierig wie es vernünftig umzusetzen. Und daran ist Spahn gescheitert.

Es ist müßig zu fragen, ob er eventuell davon ausging, dass seine Nachfolger die Kuh noch vom Eis kriegen, bevor der 1. Januar da ist. Fakt ist: Er hat es laufen lassen, bis er die Verantwortung nicht mehr tragen musste. Seine Kritiker können ihm vorwerfen: Er hat sich aus der Verantwortung gestohlen. In die unangenehme Situation, den E-Rezept-Start abblasen zu müssen, ist nun sein Nachfolger gekommen, dem es nicht so unangenehm sein muss. Für wen es jetzt hingegen unangenehm werden könnte, ist Gematik-Chef Dr. Markus Leyck Dieken. Zwar lässt das Schreiben des BMG durchscheinen, dass es mit der Arbeit der Gematik nicht gänzlich unzufrieden ist. Wenn aber das wichtigste Projekt des Hauses derart die Latte reißt, ist die Frage berechtigt, ob der Chef noch zu halten ist. Andererseits ist es fragwürdig, ob es klug wäre, in dieser entscheidenden Phase das Spitzenpersonal auszuwechseln. Vielleicht wird hier eine ähnlich gesichtswahrende Lösung gefunden wie jüngst bei der Apobank.

Und auch das gehört zu einem etwaigen Lob an das BMG: Es sind keine Vorschusslorbeeren. Ein großer Teil der Arbeit beginnt jetzt erst und das SPD-geführte Ministerium wird nicht nur zeigen müssen, ob es seine heute gegebenen hehren Versprechen hält, sondern auch, ob es die E-Rezept-Einführung besser managt als bisher. Dennoch, das Schlimmste scheint – vorerst! – abgewendet und für viele Apotheker dürfte auch das ein relativ neues Gefühl sein: Dass ihnen ausgerechnet die SPD mal den Hals rettet, hätte wohl auch kaum einer gedacht.

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