E-Rezept: Auf ganzer Linie gescheitert Patrick Hollstein, 30.09.2021 11:18 Uhr
Vier Tage nach der Bundestagswahl teilt die Gematik kleinlaut mit, dass das Phase II im Modellprojekt zum E-Rezept verschoben wird. An der verpflichtenden Einführung zum 1. Januar ändert sich nichts, Stand heute. Den Apotheken bleibt also ein Monat, um sich mit den Prozessen vertraut zu machen – mitten im Vorweihnachtsgeschäft.
Man hätte Wetten darauf abschließen können, dass es nichts wird mit dem Rollout des E-Rezepts zum 1. Oktober. Schon der Start der Pilotphase in Berlin/Brandenburg am 1. Juli war ein Start ohne E-Rezepte. Auch wenn die Gematik immer wieder neue Formulierungen fand, warum das Modellprojekt trotzdem seinen Zweck erfülle, blieben die Zweifel. Gerade einmal eine zweistellige Anzahl an elektronischen Verordnungen fand ihren Weg in die Apotheken. Der Berliner Apothekerverein hat sich gleich vollends aus der Kommunikation verabschiedet, was selbst die Teilnehmer frustriert.
Einen Tag vor dem geplanten Rollout räumt die Gematik nun ein, dass Apotheken außerhalb der Modellregion erst im Dezember in der Lage sein werden, das E-Rezept zu testen. Das ist immer noch das vierte Quartal, wird die offizielle Lesart sein. Dass Praxen und Apotheken damit nur ein Monat bleibt, ist die eine Sache. Dass der Testlauf mitten in die Vorweihnachtszeit fällt, in denen weder Ärzt:innen noch Apothekenmitarbeiter:innen ohnehin schon unter Hochdruck arbeiten, zeigt, wie weit weg vom Versorgungsalltag die Gematik ist.
Auch dass man die Bundestagswahl abgewartet hat, bis man die Verzögerungen einräumt, ist ein Beleg dafür, dass das E-Rezept als Prestigeprojekt von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor allem ein politisches Thema ist. Spahn hat das E-Rezept vorangetrieben und Druck gemacht. Dass man nun versucht, wenigstens die letzte Deadline zu halten, ist aus dieser Perspektive verständlich: Nicht noch einmal sollen alle Beteiligten in Tiefschlaf verfallen. Doch nüchtern betrachtet, bleibt Spahn und Gematik-Chef Dr. Markus Leyck-Dieken gar keine Alternative, als eine Übergangsfrist zu schaffen. Sonst droht in der Praxis totales Chaos.