Kurz vor der gesetzlichen Einführung des E-Rezepts legen sich viele Leistungserbringerorganisationen nochmal richtig ins Zeug, um sie zu verhindern: Die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) hat eine eigene Petition gestartet, mit der sie eine Verlängerung der Tests erreichen will. Unter den jetzigen Bedingungen könne beim E-Rezept und der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) kein reibungsloser Ablauf garantiert werden.
Die KVB will beim Bundestag in letzter Minute eine Änderung des Patientendatenschutzgesetzes (PDSG) erwirken, um die verpflichtende Einführung des E-Rezepts und der eAU am Januar zu stoppen. Stattdessen solle beide Anwendung eine zwölfmonatige bundesweite Testphase vorangehen, an der sich die Anwender freiwillig beteiligen können. Eine solche Testphase beginnt gerade – dauert aber nur vier Wochen.
„Eine entscheidende Voraussetzung für Massenanwendungen im Produktivbetrieb ist eine ausreichende Marktreife, die nur durch sorgfältige Flächen- und Lasttests erreicht werden kann“, so die KVB-Petition. „Digitale Verfahren, bei denen eine Vielzahl an komplexen Komponenten ineinandergreifen und zusammenwirken müssen, bei denen auch organisatorische Prozesse überprüft und angepasst werden müssen, sind zum Scheitern verurteilt, wenn sie nicht hinlänglich erprobt und begutachtet werden konnten.“
Bei der momentanen Vorgehensweise hingegen sei mangels ausreichender Tests im Vorfeld der Einführung nicht bekannt, welche Mängel in der Technik vorhanden sind, „geschweige denn wie fehleranfällig und belastbar das Gesamtsystem ist“, so die Ärzte. „Mit der verpflichtenden, stichtagsbezogenen Einführung der genannten Anwendungen werden alle Arztpraxen, Apotheken, gesetzlichen Krankenkassen und letztlich auch alle gesetzlich Versicherten als Betatester im Livebetrieb zu Versuchskaninchen im Gesundheitswesen!“
500 Millionen Rezepte und 77 Millionen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen würden jährlich. Wenn ein Patient eines dieser Formulare benötigt, müsse er sich auf eine zügige, reibungslose und vertrauenswürdige Ausstellung verlassen können. Die designierten End-Empfänger – also Apotheke und Krankenkasse – wiederum müssten das Formular ohne Zwischenfälle erhalten und unbeschwert verarbeiten können. „Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie ist es von größter Bedeutung, dass die Prozesse in den Praxen reibungslos ablaufen“, erklärt der KVB-Vorstand aus Dr. Wolfgang Krombholz, Dr. Pedro Schmelz und Dr. Claudia Ritter-Rupp gemeinsam.
Für jede einzelne IT-Anwendung müsse deshalb vorab ein ausführlicher Testlauf stattgefunden haben, um die Praxistauglichkeit unter Beweis zu stellen. „Sonst droht wieder ein solches Durcheinander wie zuletzt bei der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, bei der es reihenweise Beschwerden von Praxen über technische Probleme gab“, so der KVB-Vorstand. Ärztinnen und Ärzte, genauso aber Patientinnen und Patienten seien deshalb aufgefordert, ein Zeichen zu setzen und die Petition zu unterzeichnen. „Eine möglichst hohe Beteiligung ist ein deutliches Signal an die Politik, dass es so nicht weitergehen kann.“ Die Petition läuft noch bis zum 16. Dezember und konnte bisher knapp 7000 Unterschriften sammeln. Ziel der KVB sind nach eigenen Angaben 50.000 Unterstützer.
Parallel zur Petition haben sich auch die Spitzenverbände der Ärzte, Apotheker, Zahnärzte und Krankenhäuser in dieser Woche mit einer Erklärung zu Wort gemeldet, in der sie dringend an den Gesetzgeber appellieren, die verpflichtende Einführung des E-Rezepts am 1. Januar zugunsten einer längeren Erprobung des Systems zurückzustellen. Dabei erheben sie teils schwere Vorwürfe gegen die Gematik und das Bundesgesundheitsministerium (BMG): Die Gematik rede Probleme bei der E-Rezept-Erprobung schön, während das BMG fachliche Einwände der Leistungserbringer in der Gesellschafterversammlung mit seiner 51-Prozent-Mehrheit übergehe.
APOTHEKE ADHOC Debatte