Gegen den E-Mail-Versand von E-Rezept-Token gibt es datenschutzrechtliche Bedenken. Das ist bei genauerer Betrachtung nicht sonderlich überraschend. Überraschend ist die Überreaktion der KV Schleswig-Holstein. Für die Apotheken könnte die chaotische Gemengelage eine Chance bieten, sich beim E-Rezept zu positionieren, kommentiert Alexander Müller.
Die Kassenärzt:innen in Schleswig-Holstein wollten mit einem dort weit verbreiteten Praxissystem ein eigenes Verfahren etablieren. Und das Rezept per E-Mail wirkt tatsächlich einen Schritt digitaler als ein Din A4-Ausdruck, so richtig praxisnah ist es allerdings auch nicht. Die Datenschützerin wurde um eine Stellungnahme gebeten und hat darauf hingewiesen, dass dieser Übertragungsweg kompromittiert werden kann. Sie legt aber Wert auf die Feststellung, dass sie den Vorgang nicht verboten hat, da es sich nicht um eine behördliche Anordnung gehandelt hat.
Es ist gut und richtig, dass potenzielle Sicherheitslücken entdeckt und möglichst schnell geschlossen werden. Dabei gilt es – wie bei allen datenschutzrechtlichen Themen – die Balance zwischen Sicherheit und Praktikabilität zu finden. Mehr dazu in der aktuellen Episode „Aut-idem Kreuz fürs E-Rezept“ unseres Podcasts NUR MAL ZUM WISSEN.
Die Gematik wurde von dem Ausstieg der KV offenbar kalt erwischt und äußerte in einer ersten Stellungnahme empört, dass der E-Mail-Versand nie ein vorgesehenes Verfahren gewesen sei. Es sollte aber doch immerhin bekannt gewesen sein, dass in Schleswig-Holstein so verfahren wird. Gab es hierzu keinen Austausch, keine interne Prüfung? Mit dem eigenmächtigen Ausstieg der KV entgegen dem Gesellschafterbeschluss der Gematik, wird diese politisch weiter geschwächt.
Fakt ist, dass die Gematik-App in der Praxis aktuell noch keine Alternative ist. E-Rezepte werden weit überwiegend auf Papier ausgedruckt. Darüber lässt sich leicht lustig machen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Entwicklung in anderen Branchen ähnlich verlaufen ist. Auch in der Bahn oder am Flughafen war der ausgedruckte QR-Code lange vorherrschend (und ist immer noch zu sehen), bis die Menschen mehr Vertrauen in die Technik hatten und ihr Smartphone abscannen ließen. Das „Papier-E-Rezept“ kann trotzdem Vorteile der Digitalisierung nutzbar machen und es kann die Patient:innen mit dem Verfahren vertraut machen. Das ging auch in Schleswig-Holstein.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ist kein Fan des Ausdrucks, für ihn handelt es sich dann überhaupt nicht um ein E-Rezept. Daher will sein Haus die Gematik-App stärken. Weil den Kassen das VideoIdent-Verfahren verboten wurde, sollen die Apotheken einspringen und den Versicherten eine digitale Identität verschaffen. Die Abda forderte in ihrer Stellungnahme zum Gesetzesentwurf, dass es sich um eine freiwillige Leistung der Apotheken handeln müsste.
Sie wären gut beraten, diese Leistung anzubieten. Natürlich würde das schon wieder Mehraufwand in Zeiten akuten Personalmangels bedeuten. Und vielleicht wird auch die Vergütung nicht befriedigend. Trotzdem sollten die Apotheken diese Chance unbedingt nutzen: den Patient:innen Zugang verschaffen, zeigen, wo sie die Apotheke finden und wie sie E-Rezepte dahin schicken können. Das würde die Gefahr, dass Rezepte später bei einem Versender landen, deutlich minimieren. Die Apotheke hätte einen deutlichen Startvorteil. Diese Position haben sie sich auch mit dem Ausstellen der Impfzertifikate erarbeitet.
Darauf zu setzen, dass sich die eGK-Lösung ab 2023 als einziger Weg durchsetzen wird, ist verlockend, aber riskant. Denn es macht keinen allzu großen Unterschied, ob die Versicherten ein Papierrezept oder ihre Karte von der Praxis in die Apotheke tragen müssen. Vorteile wie eine Vorbestellfunktion werden damit wieder abgeräumt. Zwar wäre es für die Versender dann noch schwerer, einen Fuß in die Tür zu bekommen, doch die Potenziale der Digitalisierung blieben in zu großen Teilen ungenutzt, was den Druck auf das System hochhalten würde.
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