„Das kann mir niemand als ‚modern‘ verkaufen!“ Katharina Brand, 01.03.2024 11:36 Uhr
Ob die fehlende Aufklärung der Patientinnen über das E-Rezept, eine Änderung desselben oder unsignierte, dringende Verordnungen: Das E-Rezept ist nun bereits zwei Monate alt. Trotzdem krankt es weiterhin an allen Ecken und Kanten, weiß Apotheker Justus Schollmeier.
„Warum haben die Krankenkassen keine Gelder in Aufklärungskampagnen zum E-Rezept gesteckt? Mit einem einfachen Schreiben ist es nicht getan“, berichtet Schollmeier. „Die Versicherten stehen bei uns in der Apotheke und beharren darauf, der Arzt hätte uns das Rezept zugeschickt. Bis wir dann geklärt hatten, dass es um ein E-Rezept geht und dieses über die eGK via TI vorliegt, ist wertvolle Zeit vergangen.“
In der Zwischenzeit hat Schollmeier seine Kundinnen und Kunden mit einem eigenen Schreiben über die unterschiedlichen Einlösewege des E-Rezepts aufgeklärt.
Und täglich grüßt die Stammkundin
Dass die Freigabe durch Arztpraxen an den Nerven von Stammkundin und Apothekenteam zehren kann, zeigt ein aktueller Fall aus dem Apothekenalltag. „Eine Stammkundin kommt zu uns und möchte ihr E-Rezept einlösen. Zu dem Zeitpunkt war es noch nicht mithilfe ihrer eGK zu finden. Sie hatte kein Problem damit, noch bis abends zu warten und wiederzukommen“, berichtet Schollmeier. Am Abend kam die Kundin wieder, ihr E-Rezept war noch immer nicht abrufbar. Dasselbe am darauffolgenden Tag. „Im Gespräch sagte sie dann: ‚Gut, irgendwann brauche ich meine Tabletten, schauen wir mal, wie es heute Abend aussieht‘. Sie kommt abends wieder – das Rezept ist immer noch nicht da.“
Am nächsten Tag geht die Stammkundin Schollmeiers erneut zur Arztpraxis und erkundigt sich nach ihrem Rezept. Diese betont, sie habe die Verordnung längst in die TI hochgeladen. „Als wir dann nachschauten, war das Rezept immer noch nicht da“, erklärt der Apotheker mit Ernüchterung in der Stimme. Bis zum Wochenende hatte seine Kundin noch ausreichend Medikation zu Hause. Für eine knappe Woche habe sie ihre Präparate bei der ersten Nachfrage noch parat gehabt; so langsam brauche sie ihr Arzneimittel aber auch.
Schließlich ruft Schollmeier selber bei der Praxis an. Auch ihm gegenüber beteuert die Mitarbeiterin, dass sie das E-Rezept längst hochgeladen hätten. „Ich sagte dann: ‚Das mag ja sein. Aber es ist nicht da. Ihre Patientin braucht ihr Medikament. Wir müssen doch jetzt mal lösungsorientiert arbeiten!‘“ Die Praxis erklärte, dass sie jetzt auch nicht wüsste, wie es weitergehen soll. „Ende vom Lied: Es wurde ein Muster-16-Rezept ausgestellt. Bis heute wissen wir nicht, was mit diesem Rezept passiert ist.“
Stapelsignatur vs. Komfortsignatur
„Das Thema ist und bleibt ein Dauerbrenner“, resümiert der Apotheker. „Da frage ich mich: Wenn man ein solches System entwickelt, wie kann es sein, dass ich an einem Freitagnachmittag – oder gar über das Wochenende – einen Versicherten mit einem Antibiotikum aufgrund einer solchen Banalität nicht versorgen kann?“ Schollmeier findet, dass dieses System kein Zugewinn für die Versorgungssicherheit oder -qualität in Deutschland darstellt.
Laut Schollmeier gibt es nach wie vor Ärzte, die nur zu wenigen Tageszeitpunkten ihre Verordnungen signieren. „Zu einem gewissen Teil kann ich die Ärzte durchaus verstehen“, erklärt er. „Wenn es um chronisch Kranke geht zum Beispiel, also um Verordnungen, die nicht adhoc benötigt werden.“ Die Arztpraxen haben, da ist sich Schollmeier sicher, durch die Digitalisierung ebenso viel Arbeit wie die Apotheken. „Ich hatte leider bereits Fälle mit einem Antibiotikum oder einem Salbutamol-Spray, die auf dem Server nicht hinterlegt waren.“
Entbürokratisierung?
Eigentlich sollte mit dem E-Rezept eine Entbürokratisierung einhergehen. „Ändern Sie mal ein E-Rezept wegen pharmazeutischer Bedenken!“, ärgert sich Schollmeier.
„Auch die Zuzahlungsbefreiung kann ein Problem darstellen“, erklärt der Apotheker. „Ich dachte eigentlich, das würde sich durch die Digitalisierung verbessern.“ Häufig kommt es im Apothekenalltag vor, dass PTA oder Apotheker:innen ein Rezept erhalten, auf dem eine Gebührenpflicht angegeben ist – und das, obwohl der Kunde befreit ist. „Der Kunde kommt dann mit sieben oder acht oder neun Rezepten und nein, die Befreiung ist auf dem Rezept nicht angegeben. Das muss dann bei jedem einzelnen E-Rezept im System geändert werden. Das kostet alles Zeit. Das kann mir doch niemand als ‚modern‘ oder ‚revolutionär‘ verkaufen!“
Trivialisierung muss aufhören
„Es ist einfach noch nicht zu jedem durchgedrungen, dass wir hier nicht mit Traubenzucker handeln“, zeigt der Apotheker auf. „Es geht um Arzneimittel. Und wenn Medien und Gesellschaft das weiter trivialisieren – wie bei Elotrans und Ozempic – und seitens der Politik nicht genug Aufklärung da ist, dann wird nicht verstanden, dass ein Lieferengpass wirklich schlimm ist.“ Das ist laut Schollmeier nicht mit einer verzögerten Lieferung eines Möbelstücks oder einer beliebigen Online-Bestellung vergleichbar. „Hier geht es um Arzneimittel, und die sind immer wichtig.“