Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) sagt die für den 1. Januar geplante verpflichtende Einführung des E-Rezepts ab. In einem Schreiben an die Gesellschafter der Gematik, das APOTHEKE ADHOC vorliegt, erklärte das Ministerium am Montag, dass es die Voraussetzungen für eine sichere flächendeckende Einführung in zwei Wochen nicht gegeben sieht. Es soll nun vorerst weiter getestet werden.
Die neue BMG-Führung schließt sich der Auffassung der weiteren Gematik-Gesellschafter an: Die bisher durchgeführten Feldtests zur Erprobung des E-Rezepts reichen nicht aus, um einen sicheren Betrieb zu garantieren. In einem Schreiben an die Gesellschafter vom Montag, das APOTHEKE ADHOC vorliegt, findet es klare Worte: Es werde deutlich, dass, „anders als oftmals von den Akteuren kommuniziert, die erforderlichen technischen Systeme noch nicht flächendeckend zur Verfügung stehen“, so Thomas Renner, Leiter der Unterabteilung „Digitalisierung und Innovation“ im BMG. Allerdings sei jene flächendeckende technische Verfügbarkeit gemäß § 360 Abs.1 Sozialgesetzbuch (SGB V) Grundvoraussetzung für die verpflichtende Einführung.
Das Ganze hat nämlich einen Haken: Die gesetzliche Verpflichtung zur Nutzung elektronischer Verordnungen ist im Patientendatenschutzgesetz (PDSG) verankert. Eine Absage der Einführung wäre demnach nur mit einer Gesetzesänderung – also einer Abstimmung im Bundestag – möglich. Ein Schlupfloch hatte dabei bereits der ebenfalls im PDSG formulierte Ausfalltatbestand gebildet: Er ist eigentlich für Technikausfälle vorgesehen. Kann ein Arzt kein E-Rezept generieren, darf er Muster-16-Formulare verwenden. In den zurückliegenden Wochen wurde jener Passus nun darauf angewandt, dass Praxisverwaltungssysteme (PVS) noch nicht in der Lage sind, E-Rezepte zu erstellen.
Mit seiner Anerkennung der fehlenden technischen Erprobung weitet das BMG die Interpretation des Ausfalltatbestandes aus: Es gibt zu viele Schwierigkeiten und Ungewissheiten, als dass von einem funktionierenden E-Rezept in der flächendeckenden Versorgung ausgegangen werden könne. Renner lässt dabei keinen Zweifel, dass er sich auf die Seite der Leistungserbringerorganisationen stellt, die kürzlich gegen BMG und Gematik-Leitung auf die Barrikaden gingen: „Ich teile die Auffassung, dass sich aus den bisherigen Ergebnissen der Testung in der Fokusregion Berlin/Brandenburg aufgrund der zu geringen Teilnehmerzuahl die erforderlichen Rückschlüsse auf eine flächendeckende technische Funktionalität noch nichtb ziehen lassen.“ Die Ergebnisse der ausgeweiteten kontrollierten Testphase bis zum 31. Dezember stünden noch aus.
Deshalb soll laut BMG ab Januar „der kontrollierte Test- und Pilotbetrieb schrittweise fortgesetzt und ausgeweitet werden“, um die Rahmenbedingungen für die Einführung des E-Rezepts möglichst schnell zu schaffen und daraufhin nach einem noch festzusetzenden Verfahren den bundesweiten Roll-out folgen zu lassen.
Dabei greift Renner auch explizit Kritikpunkte auf, die in den zurückliegenden Wochen und Monaten seitens der Fachpresse wie der Gematik-Gesellschafter gleichermaßen geäußert, bisher aber von BMG und Gematik zurückgewiesen worden: „Diese kontrollierte Test- und Pilotphase in den kommenden Wochen erfordert jedoch auch deutliche Verbesserungen in der Unterstützung und der Verbindlichkeit der Testprozesse mit klaren Verantwortlichkeiten, einer höheren Transparenz über den Projektfortschritt seitens aller Beteiligten und einen Reporting-Prozess, der geeignet ist, Missverständnisse über den Reifegrad der Einzelkomponenten sowie des Gesamtsystems zukünftig zu vermeiden.“
Auch die Kritik, dass an der E-Rezept-Einführung festgehalten werde, obwohl die selbstgesteckten Erprobungsziele weit verfehlt wurden, greift das BMG nun indirekt auf. So wurde beispielsweise moniert, dass statt der geplanten 1000 lediglich 42 echte Verordnungen die komplette Prozesskette durchlaufen hatten. Von nun an soll gelten: Einführung erst, wenn die Erprobung abgeschlossen wurde. „Sobald die vereinbarten Qualitätskriterien erfüllt sind, soll die Umstelllung auf das E-Rezept nach einem noch festzulegenden Rollout-Verfahren erfolgen“, so das Schreiben.
Die neue BMG-Leitung will demnach in Zukunft einiges besser machen: Die Einzelheiten zum weiteren Vorgehen, „insbesondere die gegenseitigen Pflichten im Rahmen der weiteren Testung, sollen in den kommenden Wochene mit Ihnen verbindlich abgestimmt werden“, schreibt Renner. Die Gematik werde den Test- und Rollout-Prozess aber „weiterhin eng begleiten“.
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