Mit dem heutigen Roll-out des E-Rezepts in Westfalen-Lippe ändert sich für den Allgemeinmediziner Stefan Spieren: gar nichts. In seiner Praxis wird schon seit rund drei Monaten digital verordnet – und zwar ausschließlich. Die umliegenden Apotheken hat er zum Mitmachen gezwungen, die allermeisten hätten sich über sein Engagement gefreut. Dem Arzt kann die Digitalisierung gar nicht schnell genug gehen, damit er mehr Zeit für Dinge hat, die online eben nicht funktionieren.
Spieren betreibt seine Praxis in Wenden im Sauerland, ganz im Süden von Westfalen-Lippe. Die Gegend ist ländlich, die Wege für die Patient:innen weit. Deshalb sieht er im E-Rezept gerade in der Chronikerversorgung eine große Chance. Wenn kein Behandlungsbedarf besteht, müssen die Patient:innen nicht extra in die Praxis kommen, nur um sich ihr Rezept abzuholen. Das entlaste beide Seiten. Und wenn die Daten Ende-zu-Ende-verschlüsselt an den Versicherten oder die ausgewählte Apotheke übertragen werden, sei das Verfahren auch sicher.
„Das Einzige, womit wir die Patienten locken können, ist ihnen Wege zu ersparen“, sagt Spieren. Angesichts massiv gestiegener Energiekosten hätten immer öfter Patient:innen frankierte Umschläge in die Praxis geschickt, um so an ihre Rezepte zu kommen – weil das günstiger sei, als selbst zu kommen. Aber Spieren wollte keine Poststelle sein. Deshalb hat er auf digitale Verordnungen umgestellt, sobald es möglich war. Einziger Haken: Die Verifizierung seiner Signatur beim Ausstellen dauere derzeit noch etwa 5 Sekunden länger als der Druck eines rosa Rezepts.
„Ich habe das E-Rezept eingeführt, ohne einen Apotheker zu fragen“, sagt er. Die Apotheken im Kreis Olpe hätten fast ausnahmslos super mitgespielt, seien gut vorbereitet und froh gewesen, üben zu können. „Es gab zwei oder drei, die mir erklären wollten, ich müsste noch rosa Rezepte ausstellen. Da kamen die Patienten wieder in die Praxis.“ Aber darauf ließ sich Spieren nicht ein und schließlich hätten die Apotheken sich mit dem Prozess vertraut gemacht und die Rezepte angenommen.
Spieren kann verstehen, dass sich die Vorteile für Apotheken aktuell noch in Grenzen halten. Häufig kommt noch der ausgedruckte QR-Code zu Einsatz, ein Vorbestellen der Medikamente sei dann nicht möglich. Heute habe nur etwa ein Promille seiner Patient:innen eine elektronische Patientenakte (ePA) und eine funktionierende Gematik-App, berichtet der Allgemeinmediziner. Es gebe zwar schon Wege, Rezepte digital zu verschicken, aber die seien noch nicht wirklich etabliert.
In Schleswig-Holstein ist die Kassenärztliche Vereinigung (KVSH) aus dem Roll-out ausgestiegen, nachdem die Datenschutzbeauftragte des Landes Bedenken am Mailversand der E-Rezept-Token geäußert hatte. Grundsätzlich ausgeschlossen hatte sie den Versand allerdings auch nicht, sondern nur dem im konkreten Fall getesteten Verfahren eine Absage erteilt.
Spieren ist deshalb froh, dass „seine“ KV Westfalen-Lippe, in der er selbst berufspolitisch engagiert ist, keinen Rückzieher gemacht hat. Der Allgemeinarzt sieht im E-Rezept große Chancen für die Versorgung. „Ich kann ein E-Rezept stornieren, wenn sich die Apotheke meldet und einen Fehler findet. Ich kann auch sehen, ob mein Patient sein Rezept eingelöst hat: Wenn ich es nämlich nach zwei Monaten noch aus dem System löschen kann, weiß ich, dass sich der Patient seine Medikamente nie geholt hat.“ Das sei immens wichtig für die Versorgung und angesichts zahlreicher Doppelverordnungen gerade an der Schnittstelle stationäre/ambulante Versorgung auch ein Kostenfaktor. „Wir brauchen das E-Rezept schneller als je zuvor“, ist Spieren überzeugt.
Patient:innen haben aus seiner Sicht zusätzlich den Vorteil, dass sie nicht alle verordneten Medikamente in derselben Apotheke beziehen müssten. Den geplanten Einsatz der eGK findet er nur als Zwischenlösung gut. Denn die Versicherten könnten dann eben keine Medikamente in der Apotheke vorbestellen, was mitunter wieder zusätzliche Wege bedeute. „Dann können wir auch beim Papierausdruck bleiben“, so der Mediziner. Zudem gebe es bei der Ausgabe der Karten aktuell bekanntermaßen einen Engpass.
Unter dem Strich ist Spieren aber überzeugt, dass es keine gravierenden Probleme bei der Einführung des E-Rezepts geben wird: „In einem Vierteljahr lachen wir darüber.“ Bei der elektronischen Krankschreibung habe die Umstellung auch funktioniert. Unglücklich findet er dabei allerdings, dass er die eAU nur an die Kasse schicken kann, für den Versicherten und den Arbeitgeber aber immer noch ausdrucken muss.
Spieren setzt in seiner Praxis wo immer möglich auf Digitalisierung. Eine Terminbuchung ist bei ihm ausschließlich online möglich, Dokumente können über die Website hochgeladen. Überweisungen online angefordert werden. Seine Praxis war eine der ersten mit Videosprechstunde, was sich vor allem während der Corona-Lockdowns extrem bewährt habe. Auch in der Heimversorgung sei das ein probates Mittel. „Meine Devise ist: Besser auf dem Monitor gesehen als gar nicht.“ Er will sein Team entlasten und sich auf die Versorgung konzentrieren: „Viel können wir online machen und einige Dinge müssen wir offline machen.“
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