Wie Sars-CoV-2 die Lunge schädigt Cynthia Möthrath, 13.07.2022 07:45 Uhr
Sars-CoV-2 kann der Lunge nachhaltig schaden und auch Einfluss auf den gesamten Organismus nehmen. Wichtig ist, die zugrundeliegenden Pathomechanismen zu verstehen. Forschende der Charité Berlin, des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) und der Freien Universität Berlin haben gemeinsam ergründet, wie Sars-CoV-2 die Lunge schädigen kann.
Nach einer Covid-Erkrankung leiden viele Betroffene noch Wochen oder gar Monate unter den Folgen. Mittlerweile ist klar, dass unabhängig vom Schweregrad der Erkrankung Long Covid auftreten kann. Seit Beginn der Pandemie versuchen Wissenschaftler:innen die Covid-Erkrankung zu verstehen und die zugrundeliegenden Pathomechanismen zu entschlüsseln. Forscher:innen aus Berlin haben versucht Licht ins Dunkel zu bringen. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen wurden im Fachjournal „Nature Communications“ veröffentlicht.
Überschießendes Immunsystem als Problem
Das schwierige an der Erkrankung sei nicht die direkte Zerstörung der Lunge aufgrund einer Virusvermehrung, sondern die daraus resultierenden entzündlichen Prozesse und eine Beteiligung des Lungenendothels. Neben der Lunge können weitere Organsysteme durch Sars-CoV-2 geschädigt werden. Eine Hürde sei die fehlgeleitete, mitunter überschießende Reaktion des körpereigenen Immunsystems. „Um therapeutische Angriffspunkte zu finden, ist es notwendig, im Detail zu verstehen, wie und wo genau welche nachteiligen Prozesse im Körper ausgelöst werden. Die patientenzentrierte Forschung stößt hierbei an Grenzen. Vor allem wenn es darum geht, in der frühen Phase der Infektion Krankheitsmechanismen zu untersuchen“, so das Team.
Für die Untersuchung von Biomaterial stehen vor allem Zellproben von Covid-Verstorbenen zur Verfügung. Denn während der Erkrankung ist es für die Betroffenen meist zu riskant entsprechende Gewebeproben aus der Lunge zu entnehmen. Neben den Patientenproben haben die Berliner Forscher:innen Hamstermodelle als aufschlussreich herausgestellt. Mit ihnen könnten auch Lungenareale untersucht werden, die sich bei Patient:innen nicht ohne Weiteres betrachten lassen.
Hamstermodell liefert neue Erkenntnisse
„Wir wollten wissen, ob die Modelle zur Entwicklung neuer Therapieansätze herangezogen werden können und haben versucht, Erkenntnisse aus Proben von Patientinnen und Patienten darin wiederzufinden. Das hat erstaunlich gut funktioniert“, erklärt Professor Dr. Martin Witzenrath, Stellvertretender Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin. „Unser Interesse galt dabei insbesondere den Endothelzellen der Lunge, also der Barriere, die die Blutgefäße auskleidet. Diese verliert bei schwerem Covid-19 an Funktion, wodurch es schlussendlich zum Lungenversagen kommt.“
Gemeinsam haben die Wissenschaftler:innen eine genaue Charakterisierung der Sars-CoV-2-Infektion im Tiermodell vorgenommen und diese mit Datensätzen aus Proben von Patient:innen untermauert. Die Erkenntnisse sollen nicht nur dem Verständnis der Erkrankung dienen, sondern auch die Entwicklung neuer Therapien vorantreiben. Das Hamster-Modell kann dem Team zufolge gut für die Forschungen genutzt werden: „Hamster infizieren sich mit denselben Virusvarianten wie Menschen. Auch entwickeln sie ähnliche Krankheitssymptome, und ihre Lunge wird bei einer schweren Erkrankung geschädigt.“
Was genau sich in den Lungenzellen abspielt, konnten die Wissenschaftler:innen im Rahmen von Einzelzellanalysen erklären: Dabei werden die einzelnen Zellen einer Probe über einen Chip laufengelassen und zusammen mit einem Barcode in kleine wässrige Tröpfchen verpackt. „Auf diese Weise kann die RNA – der Teil des Erbgutes, den die Zelle gerade abgelesen hatte – sequenziert und später der Zelle wieder zugeordnet werden. Aus den gewonnenen Daten lässt sich mit hoher Präzision auf die Funktion der Zelle schließen“, erklärt das Team.
T-Zell-Anwtwort als zentrales Element
„So konnten wir beobachten, wie bestimmte Zellen des Immunsystems in der Lunge – die Monozyten und daraus entstehende Makrophagen – das Virus aufnehmen und sehr heftig reagieren. Sie senden Botenstoffe aus, die eine starke Entzündungsreaktion hervorrufen. In unserem Modell wird diese recht schnell wieder eingefangen, denn andere Immunzellen – die T-Zellen – schwärmen zu diesem Zweck aus. Bei schweren Covid-19-Verläufen geschieht das nicht“, erklärt Dr. Geraldine Nouailles, Wissenschaftlerin an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité und Co-Erstautorin der Studie. „Für eine erfolgreiche Genesung von Covid-19 ist eine schnelle und effiziente T-Zell-Antwort zentral.“
Während das Immunsystem nun auf Hochtouren läuft, vermehrt sich Sars-CoV-2 zunächst nur schwach weiter. „Die Zerstörung des Lungengewebes bei schweren Covid-19-Verläufen wird nicht direkt durch die Vermehrung des Virus in den Zellen verursacht, sondern durch die starke Entzündungsreaktion“, erklärt Dr. Emanuel Wyler, ebenfalls Co-Erstautor. „Das scheint auf die Zellen der Blutgefäße, insbesondere die Endothelzellen in der Lunge, ebenfalls zuzutreffen. Sie reagieren stark auf das Virus, werden aber nicht von ihm infiziert und gehen nicht zugrunde.“
Mögliche Angriffspunkte für die Behandlung
Die Folge kann ein akutes Lungenversagen sein, welches durch verschlossene Blutgefäße und instabile Gefäßwände zustande kommt. „Man könnte demnach auf zwei Arten therapeutisch an diesen für den Krankheitsverlauf zentralen Zellen angreifen. Zum einen mit Substanzen, die die Endothelbarriere abdichten. Zum anderen mit solchen, die das Endothel beruhigen.“ Außerdem könnten entzündungshemmende Medikamente gegen Covid-19 eingesetzt werden, welche an der Immunreaktion als solches ansetzen. „Sie wirken auch auf Monozyten und Makrophagen und bremsen diese ab.“
Bei verschiedenen Hamsterarten zeigten sich deutliche Unterschiede in Bezug auf die Schwere der Erkrankung: Während bei Goldhamstern in der Regel nur ein moderater Verlauf stattfindet, erkranken Roborovski-Zwerghamster schwer. Das Team will künftig herausfinden, warum die Infektionen so unterschiedlich verlaufen. „Wir hoffen, dass wir damit auch einen Erklärungsansatz dafür finden, warum manche Menschen schwer an Covid-19 erkranken und andere nicht“, sagt Geraldine Nouailles.