Indien reagiert auf Produktionsausfälle aufgrund der Sars-CoV-2-Epidemie: Das Wirtschaftsministerium hat Einschränkungen beim Export von 13 Wirkstoffen und Zubereitungen, die diese enthalten, verhängt. Die Maßnahme könnte hierzulande dramatische Folgen haben.
Indien, einer der größten Wirkstoffproduzenten der Welt, dreht wegen der Corona-Epidemie den Hahn ein Stückweit zu: Der indische Generaldirektor für den Außenhandel, Amit Yadav, hat am Dienstag bekanntgegeben, dass die Regierung den Export von Arzneimittelwirkstoffen einschränkt. Komplett verboten wird er nicht, wer Ware ausführen will, muss allerdings eine Ausnahmegenehmigung beantragen.
Yadavs Ministerium veröffentlichte dazu eine Liste mit 26 Wirkstoffen und Zubereitungen, die von den Exporteinschränkungen betroffen sind:
Der Vorsitzende der indischen Exportförderungsbehörde für Arzneimittel, Dinesh Dua, begründete die Restriktionen mit der Lage im Nachbarland: Die Grundstoffe für die Produktion der Wirkstoffe stammen demnach aus China, wo es aufgrund der Sars-CoV-2-Epidemie zu Produktionseinschränkungen kommt. Mit den Exportbeschränkungen wolle Indien sicherstellen, dass wichtige Wirkstoffe wie Paracetamol für den eigenen Markt zur Verfügung stehen.
Indien ist zwar der weltgrößte Generikaproduzent, dabei aber selbst in höchstem Maße von China abhängig: Laut der Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg bezieht Indien zwei Drittel der Wirk- und Grundstoffe von dort. Vorvergangene Woche warnte der Herstellerverband India Pharmaceutical Alliance (IPA) vor Importproblemen: Es sehe „düster“ aus, so Generalsekeretär Sudarshan Jain. Komme bis Anfang März kein Nachschub aus China, könne eine unterbrechungsfreie Produktion nicht gewährleistet werden. Die vorhandenen Vorräte würden nur noch zwei bis drei Monate reichen. Die indische Regierung müsse deshalb Schritte einleiten, um die Versorgung des eigenen Landes zu sicherzustellen.
Zum konkreten Ausmaß der Beschränkungen und deren angedachter Dauer hat sich die indische Regierung bisher nicht geäußert. „Der Export der genannten Wirkstoffe und Zubereitungen, die aus diesen Wirkstoffen [...] hergestellt werden wird durch diesen Beschluss ‚eingeschränkt‘, und zwar ab sofort und bis auf Weiteres“, heißt es in dem Erlass, der APOTHEKE ADHOC vorliegt.
Aus Herstellerkreisen heißt es, nach derzeitiger Sachlage sei die Versorgung bis zum dritten Quartal gesichert. Haben diese Exportbeschränkungen Bestand, könne dies jedoch zu einer empfindlichen Verschärfung der Versorgungslage führen.
Am Dienstag hatte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) noch bekannt gegeben, es gebe mit Blick auf die Ausbreitung des Coronavirus Sars-CoV-2 „weder national noch europäisch Hinweise, die kurzfristig auf eine Einschränkung oder ein Erliegen der Arzneimittelversorgung hindeuten“.
Wie und wann genau die Exporteinschränkungen in Indien den deutschen Markt betreffen werden, können selbst Branchenexperten und -insider nicht seriös vorhersagen: Die Produktions- und Lieferketten bei einzelnen Wirkstoffen sind komplex und teils äußerst intransparent. So werden Grundstoffe oft in China produziert, später in einem zweiten Schritt chemisch modifiziert und in einem dritten Schritt zu einer finalen Formulierung verarbeitet. Jeder einzelne dieser Schritte kann in einer jeweils anderen Anlage in einem anderen Land erfolgen – entsprechend kann ein Produktionsausfall an unterschiedlichen Punkten der Herstellungskette Konsequenzen haben.
Aus deutschen Herstellerkreisen hört man deshalb seit Anfang des Jahres hinter vorgehaltener Hand, dass die Sorge steigt. Nach außen kommunizieren die Unternehmen hingegen mit äußerster Vorsicht. „Wir prüfen derzeit bei unseren Mitgliedsunternehmen, ob diese mit Lieferengpässen aufgrund der indischen Maßnahme rechnen“, heißt es beispielsweise auf Anfrage vom Verband Pro Generika, der im gleichen Atemzug Gelassenheit demonstriert: „Im Moment gehen wir nicht davon aus, dass es kurzfristig zu Einschränkungen in der Versorgung in Deutschland kommt.“ Dennoch fordert Pro Generika die Bundesregierung und die EU-Kommission dazu, „jetzt im Dialog mit der Indischen Regierung alles dafür zu tun, dass die Einschränkung des Exports baldmöglichst behoben wird.“
Anfang Februar hatte das BfArM bei Herstellerverbänden wie dem BPI und dem BAH eine Abfrage gestartet, ob den Mitgliedsunternehmen Informationen zu Produktionsausfällen vorliegen. Aus der Anfrage ging hervor, dass dem BfArM nach eigenen Recherchen19 Arzneimittel bekannt sind, bei denen ein Wirkstoffhersteller in der Stadt Wuhan, dem Epizentrum des Corona-Virus, gemeldet ist. 17 dieser Wirkstoffe seien als versorgungsrelevant eingestuft. Für die Provinz Hubei sind demnach insgesamt 136 Arzneimittel angegeben, deren Wirkstoffhersteller dort ihren Sitz haben. 48 der betroffenen Wirkstoffe sind als versorgungsrelevant eingestuft. Kurz nach Bekanntwerden der Anfrage hatte das BfArM versichert, die Kenntnis möglicher Engpässe umgehend öffentlich zu machen.
Ob die jetzige Maßnahme der indischen Regierung Auswirkungen auf die Versorgungssituation in Deutschland haben wird, weiß das BfArM nach eigenen Angaben noch nicht. Man prüfe die Lage derzeit, sei aber noch nicht zu einer Einschätzung gelangt. Die Behörde stehe dazu „in einem kontinuierlichen Austausch“ mit den zuständigen Stakeholdern. „In diesen Austausch fließen alle aktuell vorliegenden Informationen und Daten mit dem Ziel ein, mögliche Auswirkungen und Effekte im Hinblick auf Lieferverzögerungen oder Lieferengpässe von Arzneimitteln engmaschig zu beobachten und zu bewerten“, so das BfArM auf Anfrage. Zumindest mit Blick auf die chinesische Provinz Hubei gebe es aber „aktuell keine Hinweise auf eine kurzfristige Einschränkung der Arzneimittelversorgung aufgrund des Coronavirus“, so das BfArM. „Zwar werden dort auch Wirkstoffe für den deutschen Arzneimittelmarkt hergestellt. Für die Versorgung der Patientinnen und Patienten in Deutschland sind diese jedoch nicht marktrelevant, da dieselben Wirkstoffe auch in anderen Wirkstoffherstellorten produziert werden oder es stehen noch größere Wirkstoffkontingente zur Verfügung.“
Zuletzt hatte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt an die Pharmabranche appelliert, Medikamente verstärkt auch in Europa zu produzieren. Man habe „dabei wieder gelernt, dass es natürlich sinnvoll und notwendig ist, dass in Europa Medikamente hergestellt werden, dass in Europa die entsprechenden Hilfsmittel hergestellt werden, die im Moment jedenfalls zum Teil nicht zur Verfügung stehen“, sagte Göring-Eckardt am Dienstag in Berlin. Das sei zunächst ein Appell an die Wirtschaft. Es stelle sich aber auch die Frage, welche Standortvorteile man schaffen könne. Umzusteuern „macht sehr viel Sinn“, sagte sie.
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