Nach AstraZeneca-Stopp

Wachsende Forderungen nach mehr Flexibilität beim Impfen

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Berlin -

Wie soll es beim Impfen gegen das Coronavirus weitergehen, nachdem das AstraZeneca-Vakzin vorerst ungenutzt bleiben muss? Die Erwartungen richten sich auf die EU-Arzneimittelbehörde und den verschobenen Impfgipfel. Es gibt aber auch noch andere Ideen.

Nach der Aussetzung der Impfungen mit dem AstraZeneca-Stoff in Deutschland richten sich die Hoffnungen nun auf die Europäische Arzneimittelagentur (EMA). Von ihr wird am Donnerstag eine Empfehlung zur Sicherheit des Impfstoffs erwartet. Danach wollen Bund und Länder auf einem Impfgipfel das weitere Vorgehen beraten. Dieser sollte am Mittwoch stattfinden, wurde aber verschoben. Er könnte nun am Freitag nachgeholt werden. Den Termin nannte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet am Dienstagabend in einem ARD-„Extra”. Ein Regierungssprecher hatte zuvor von „möglicherweise schon am Freitag” gesprochen.

In Deutschland hatte das für die Impfstoff-Sicherheit zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) eine Aussetzung der Impfungen mit AstraZeneca empfohlen. Dem folgte am Montag das Gesundheitsministerium. Nach Angaben aus dem Ressort von Minister Jens Spahn (CDU) wurden in Deutschland bis Dienstagabend insgesamt acht Fälle mit Thrombosen (Blutgerinnseln) in den Hirnvenen in zeitlichem Zusammenhang zur Impfung gemeldet. Die Zahl der Fälle ist demnach statistisch signifikant höher als in der Bevölkerung ohne Impfung. Laut PEI waren die Betroffenen vor allem Frauen. Ob ein kausaler Zusammenhang zwischen Impfung und Thrombose besteht, wird derzeit untersucht.

Der Virologe Christian Drosten bedauerte die Entwicklungen um AstraZeneca vor dem Hintergrund der sich verschlechternden epidemiologischen Lage. Die ansteckendere Virusvariante B.1.1.7 nehme immer mehr überhand, ihr Anteil betrage inzwischen drei Viertel, sagte der Charité-Wissenschaftler am Dienstag im Podcast „Coronavirus-Update” (bei NDR-Info). „Wir werden kurz nach Ostern eine Situation haben wie um Weihnachten herum”, sagte der Virologe. Eine ähnliche Einschätzung hatte das Robert Koch-Institut (RKI) abgegeben.

Die Häufung seltener Thrombosen innerhalb kurzer Zeit müsse man „natürlich ernst nehmen und anschauen”, sagte Drosten. Er habe keine Hintergrundinformationen. Drosten gab aber zu bedenken, dass es sich womöglich auch um ein statistisches Problem handeln könnte: In Deutschland seien Menschen unter 65 Jahre mit AstraZeneca geimpft worden, weil es zunächst keine Empfehlung der Ständigen Impfkommission für Ältere gegeben hatte. In England hingegen seien bevorzugt Ältere damit geimpft worden; trotz einer höheren Zahl an Impfungen sei dort keine solche Thrombosen-Häufung beobachtet worden. Drosten verwies auf einen wohl hohen Frauenanteil beim medizinischen Personal und Pflegepersonal, das das Mittel in Deutschland erhielt. Er fragte: „Könnte es sein, dass das die Statistik färbt?” Bei Frauen seien Probleme mit Thrombosen generell häufiger.

Wie es mit den Impfungen weitergeht, soll ein Impfgipfel klären. CDU-Chef Laschet betonte in der ARD, man müsse von der Impfbürokratie herunterkommen und schneller werden. CSU-Generalsekretär Markus Blume forderte, bei einer Entwarnung für AstraZeneca sollte es mehr Flexibilität beim Impfen geben. Wenn es eine Gruppe von Menschen gebe, die bereit sei, sich diesen Impfstoff impfen zu lassen, sollte man sie nicht ausbremsen, sondern mit den Hausärzten dafür sorgen, diesen Impfstoff so schnell wie möglich an die Bevölkerung zu bringen, sagte Blume in der ZDF-Sendung „Markus Lanz”.

Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, sagte bei „Markus Lanz”, wenn mehr Impfstoff da sei und die Fragen bei AstraZeneca beantwortet seien, müsse man auch in Arztpraxen impfen und dort die Impfpriorisierung lockern. „Wir bleiben bei bestimmten Prinzipien, aber wir sollten sie etwas lockerer, flexibler und mutiger anwenden.”

Bundesfinanzminister Olaf Scholz hofft auf ein positives Signal der EMA, AstraZeneca weiter zu nutzen. Gleichwohl werde der verfügbare Impfstoff bald immer mehr werden, sagte der SPD-Kanzlerkandidat in einem ZDF-«spezial». Im Juni/Juli könnten es in Deutschland „vielleicht” zehn Millionen Impfdosen pro Woche sein. Dann müsse alles vorbereitet und geklärt sein, was Impfzentren, was Hausärzte und was Betriebsärzte schaffen können. Daher sei der Impfgipfel „eine ganz wichtige Beratung”.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach erneuerte im ZDF-„heute journal”, er hätte sich anders als Spahn gegen eine Aussetzung des Impfens mit AstraZeneca entschieden. Zwar seien die Komplikationen schwerwiegend, aber sehr rar. Man hätte ohne die Aussetzung aber etliche schwerere Fälle von Covid-19 in den nächsten Wochen verhindert, argumentierte Lauterbach. Er erwarte, dass die EMA empfehle, AstraZeneca weiter zu verimpfen. „Danach werden wir für den Impfstoff werben müssen”, machte Lauterbach deutlich.

Das taten mehrere Politiker. Er würde sich damit impfen lassen, sagte Kretschmann im ZDF. Er glaube, wenn er Covid bekomme, seien die Nebenwirkungen weit gravierender als er sie bei der Impfung überhaupt bekommen könne. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagte der „Bild” (Mittwoch) ebenfalls: „Ich habe Vertrauen in diesen Impfstoff und würde mich jederzeit damit impfen lassen!”

FDP-Vize Wolfgang Kubicki sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Mittwoch): „Wir hätten ohne Unterbrechung mit AstraZeneca weiterimpfen sollen.” Bei Einbeziehung der Hausärzte in die Impfkampagne sollten diese entscheiden, welcher Impfstoff verabreicht werde. Der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt, drängte auf Impfungen in den Praxen. Impfen sei Vertrauensfrage, entscheidend sei, dass „der Nutzen die Risiken deutlich überwiegt”. Hausärzte könnten dies ihren Patienten besser erklären als „anonyme Impfzentren”. Daher müsse der flächendeckende Impfstart in den Praxen so schnell wie möglich erfolgen, forderte Weigeldt in den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Mittwoch).

Der Bundesvorsitzende des Virchowbundes der niedergelassenen Ärzte, Dirk Heinrich, verlangte Änderungen an der Impfstrategie. „Wir müssen jetzt viel mehr Biontech für die Jüngeren nehmen”, sagte Heinrich dem „Tagesspiegel” (Mittwoch). Zudem sei AstraZeneca „der Impfstoff, der für die ältere Bevölkerung der geeignetste ist”.

Der CDU-Gesundheitspolitiker Peter Liese regte einen sparsameren Einsatz von Impfstoffen an. Es sei möglich, aus den Ampullen von Biontech/Pfizer sieben statt sechs Dosen und jenen von Moderna elf statt zehn Dosen zu entnehmen, sagte der Europaabgeordnete dem „Handelsblatt” (Mittwoch). Liese schlug ferner vor, Impfwilligen Antikörpertests anzubieten. Diese Tests können einen Infektionsschutz anzeigen, der durch eine Corona-Infektion aufgebaut wurde. Wer diesen Infektionsschutz habe, könne freiwillig auf eine frühe Impfung verzichten, sagte Liese. Somit könnten andere früher geimpft werden.

 

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