Vor allem bei verschiedenen Vorerkrankungen können Verläufe von Covid-19 schwerwiegend oder gar tödlich sein. Die Universität Hohenheim in Stuttgart weist diesbezüglich auf einen weiteren gemeinsamen Risikofaktor hin: Denn die Grunderkrankungen gehen oft mit einem zu niedrigen Vitamin-D-Spiegel einher. Die Versorgung mit dem Vitamin könnte daher ein möglicher Indikator für den Schweregrad und das Sterblichkeitsrisiko von Covid-Patienten sein.
Multimorbidität durch Grunderkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, starkes Übergewicht oder Bluthochdruck steigern das Risiko für einen schweren Verlauf der Covid-19-Erkrankung. In vielen Fällen weisen die Patienten allerdings auch eine mangelhafte Versorgung mit Vitamin D auf – ebenso wie ältere Menschen, die ebenfalls zur Risikogruppe zählen.
Professor Dr. Hans-Konrad-Biesalski von der Universität Hohenheim in Stuttgart ist Ernährungsmediziner. Er hat 30 Studien zu dem Thema ausgewertet und ein Vitamin-D-Defizit als möglichen Indikator für den Schweregrad und die Mortalität bei einer Covid-19-Erkrankung identifiziert. Daher empfiehlt Biesalski, bei einer Covid-19-Erkrankung immer auch den Vitamin-D-Spiegel zu überprüfen und regelmäßig zu kontrollieren. Seine Untersuchungsergebnisse wurden kürzlich im „NFS Journal“ vorgestellt.
„Vitamin D ist bei vielen Menschen auf der Welt Mangelware – und das kann im Falle einer Covid-19-Erkrankung als Indikator für ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf gelten“, schreibt er in seiner Veröffentlichung. „Bisher galten vor allem Grunderkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Herzerkrankungen und starkes Übergewicht als Risikofaktoren“, erklärt Biesalski. „Doch gerade diese Erkrankungen sind oft mit einem Vitamin-D-Mangel verbunden. Das hat Konsequenzen für den Verlauf der Covid-19-Erkrankung.“ Gleiches gelte auch für Menschen über 65 Jahre oder Personen, die selten im Freien sind. „Die wichtigste Vitamin-D-Quelle ist die Bildung in der Haut durch das Sonnenlicht“, so der Experte, „und im Alter funktioniert das nur noch eingeschränkt.“
Das Vitamin ist an zahlreichen Prozessen im Körper beteiligt, unter anderem an der Regulierung von Immunsystem und Entzündungsprozessen. Daher könnte auch der Verlauf der Erkrankung durch den Vitamin-D-Spiegel beeinflusst werden. Desweiteren reguliert es das sogenannte Renin-Angiotensin-System (RAS): Dieses ist vor allem für die Steuerung des Blutdrucks wichtig. Kommt es zu einer Infektion, sorgt Vitamin D dafür, dass die Systeme nicht aus dem Ruder laufen. „Da das Coronavirus eine wichtige Schaltstelle dieser Regelkreise befällt, halten sich pro-entzündliche und anti-entzündliche Prozesse nicht mehr die Waage“, erklärt Biesalski. „Das System gerät durcheinander. Und zwar besonders dann, wenn gleichzeitig ein Vitamin-D-Mangel besteht.“ Die Balance zwischen pro- und anti-entzündlichen Prozessen verschiebe sich zugunsten der pro-entzündlichen, die dann richtig Fahrt aufnehmen würden. „Die Folge sind gravierende Veränderungen in den Lungenbläschen, die zu einer schweren Komplikation der Covid-19-Erkrankung führen, dem sogenannten Akuten Atemnotsyndrom.“
Eine Überwachung des Vitamin-D-Spiegels sei bei Verdacht auf eine Infektion mit Sars-CoV-2 daher sehr wichtig. Ein eventuelles Defizit solle dem Experten zufolge zügig behoben werden. „Besonders für Menschen mit einer der Grunderkrankungen oder für ältere Menschen ist dies empfehlenswert. Bei Menschen in Seniorenheimen ist der Vitamin-D-Spiegel oft verheerend niedrig. In Zeiten des Homeoffice halten sich viele Leute längere Zeit in geschlossenen Räumen auf, was auch zu einer schlechten Vitamin D Versorgung beiträgt.“ Biesalski verweist jedoch darauf, dass Vitamin D kein Medikament zur Heilung von Covid-19 darstelle. Man könne jedoch den Verlauf der Erkrankung insgesamt positiv beeinflussen, indem die Balance zwischen den pro- und anti-entzündlichen Prozessen wiederhergestellt werde.
Um eine optimale Versorgung zu erreichen, sei die Aufnahme über die Nahrung nicht ausreichend. „Reich an Vitamin D sind vor allem fetter Fisch und sonnengetrocknete Pilze. Doch das reicht nicht aus, und in Deutschland sind – im Gegensatz zu vielen anderen Ländern – Lebensmittel nicht angereichert.“ Dennoch empfiehlt er nicht, „auf gut Glück Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen“: Im Zweifelsfall sei das zu wenig, um einen wirklich schlechten Vitamin-D-Status kurzfristig zu verbessern. „Prophylaktisch sollte man sich aber viel im Freien aufhalten, auf die Ernährung achten – und spätestens bei Verdacht auf eine Infektion den Hausarzt bitten, den Vitamin-D-Spiegel zu prüfen.“
Bereits im März hatten Forscher Hinweise auf eine mögliche Schutzwirkung von Vitamin D gefunden: US-Wissenschaftler hatten in Zusammenarbeit mit Forschern der medizinischen Universität in Debrecen, Ungarn, Daten zum Thema Vitamin D und Infektionen ausgewertet. Sie vermuteten, dass eine Vitamin-D-Supplementierung als nützliche Maßnahme zur Risikominderung bei der Corona-Pandemie angesehen werden kann. Durch verschiedene Mechanismen könne das Vitamin das Infektionsrisiko verringern.
Diese Möglichkeit beruhe auf der Freisetzung von Cathelicidinen und Defensinen. Cathelicidine sind antimikrobielle Peptide und Teil der angeborenen Immunantwort. Sie werden hauptsächlich in Immunzellen von Wirbeltieren produziert und dienen der Apoptose körpereigener Zellen. Defensine sind ebenfalls Peptide. Sie kommen als antimikrobielle Peptide in allen tierischen Organismen vor und dienen der Abwehr von mikrobiellen Erregern, vor allem Bakterien, sowie Pilzen und Toxinen. Diese Peptide könnten die Virusreplikationsraten senken. Gleichzeitig könnte die Anzahl von entzündungsfördernden Zytokinen gesenkt werden. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass eine geringe Konzentration an Zytokinen im Körper zu weniger Folgeerkrankungen führt – beispielsweise Lungenentzündung.
Mehrere Beobachtungsstudien und klinische Studien zeigten, dass eine Vitamin-D-Supplementierung das Influenza-Risiko senken kann. Darüber hinaus wurde in einigen Studien festgestellt, dass ein vorliegender Vitamin-D-Mangel negative Auswirkungen auf die Atmung haben kann. Auch die Sterblichkeitsraten bei älteren Patienten mit Vitamin-D-Mangel seien bei Infektionen wie Influenza und Covid-19 höher als bei Patienten mit guten Vitamin-D-Werten. Die Wissenschaftler empfehlen daher, dass Menschen die mit Sars-CoV-2 infiziert sind, zusätzliches Vitamin D einnehmen sollten. Auf die genaue Menge haben sie sich nicht festgelegt, da weitere randomisierte und größer angelegte Studien folgen müssten, um eine Empfehlung abschließend zu bewerten.
Die amerikanischen und ungarischen Wissenschaftler sehen in Mikronährstoffen trotz aktuell unzureichender Studienlage großes Potenzial: „Obwohl widersprüchliche Daten vorliegen, deutet die Mehrheit der verfügbaren Daten darauf hin, dass die Ergänzung mit mehreren Mikronährstoffen mit immununterstützenden Funktionen die Immunfunktion unterstützen und das Infektionsrisiko verringern kann. Mikronährstoffe mit den stärksten Anzeichen für eine Immununterstützung sind die Vitamine C und D sowie Zink. Ein besseres Design klinischer Studien am Menschen, die sich mit der Dosierung und Kombination von Mikronährstoffen in verschiedenen Populationen befassen, ist erforderlich, um die Vorteile einer Mikronährstoff-Supplementierung gegen Infektionen zu belegen. “
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