In Suchtberatungsstellen suchen alkoholkranke Menschen Hilfe. Während der Corona-Pandemie steigt der Bedarf. Die Einsamkeit macht vielen zu schaffen, wie Berater erzählen.
Während der Corona-Pandemie suchen im Herbst nach Angaben der Landesstelle für Suchtfragen mehr Menschen mit Alkoholproblemen Hilfe in Brandenburger Beratungsstellen. Gerade belastete Menschen konsumierten mehr, sagt Geschäftsführerin Andrea Harteling. Der Verein fungiert unter anderem als Koordinierungsstelle für die Beratungsstellen im Land. In der Pandemie sei es für viele schwierig, Einsamkeit auszuhalten. Es gebe häufiger belastende Familiensituationen, die Stress auslösten. „Alkohol wird dann mitunter als Mittel verwendet, um mit der Situation umzugehen“, sagt Hardeling.
Aber nicht jeder, der trinke, müsse süchtig sein, sagt die 50-Jährige, die seit rund zehn Jahren als Geschäftsführerin bei der Landesstelle arbeitet. Doch woran erkennt man eine Sucht? „Wenn man den Umfang des Konsums nicht mehr kontrollieren kann. Wenn man Alkohol einsetzt, um schwierige Situationen besser auszuhalten. Und wenn man sich anderen Menschen nicht mehr offen gegenüber äußern und dadurch soziale oder auch berufliche Kontakte und Verpflichtungen nicht mehr wahrnehmen kann“, sagt Hardeling. Sind mehrere dieser Kriterien erfüllt, bestehe eine Sucht. Im Internet könnten Selbsttests dabei helfen, sich selbst besser einzuschätzen.
In Brandenburg suchten jährlich rund 10.000 Menschen Hilfe in den Beratungsstellen. Nach der jüngsten Suchthilfestatistik Brandenburg 2018 ist Alkohol mit 62,1 Prozent die Substanz, die am häufigsten konsumiert wird, gefolgt von Cannabis (13,8 Prozent), Stimulanzien wie Amphetamine (7,2 Prozent) und pathologisches Glücksspielen (4,2 Prozent). Es gibt nach den Worten von Sozialarbeiterin Hardeling mindestens eine Beratungsstelle in jedem Landkreis.
Eine Erhebung von Forsa vom Oktober hat ergeben: Etwa ein Viertel der Menschen mit ohnehin problematischem Alkoholkonsum trinkt seit Corona noch mehr. Eine weitere Studie förderte steigenden Alkoholkonsum bei einem Drittel von rund 3000 befragten Erwachsenen seit der Krise zutage. „Je weiter es rausgehe in die Peripherie, desto mehr sei Alkohol ein Thema“, weiß Daniel Zeis, Leiter der ambulanten Beratungs- und Behandlungsstelle für Suchtkranke und Suchtgefährdete des AWO Bezirksverbandes Potsdam. Beratungen erfolgten anonym, kostenfrei und hätten keine Hürden. „Anrufen, Termin holen, herkommen“, sagt er. Das gelte für Betroffene genauso wie für Angehörige. Auch sie könnten sich in den Stellen beraten lassen, wie sie mit dem Problem umgehen könnten. „In Notfällen sind wir da“, sagt Zeis. Dann gehe es auch mal ohne Termin.
Im Frühjahr waren die Beratungsstellen zeitweise geschlossen. Erreichbar waren die Berater aber dennoch per Telefon, Brief, Mail und digitalen Angeboten. Man habe sich umgestellt und biete beispielsweise Videotelefonie an. Neue Möglichkeiten würden von den Ratsuchenden gut angenommen.
Aus Sicht des Sozialarbeiters und Suchttherapeuten ist der Beratungsbedarf während der Pandemie nicht gestiegen – zumindest sei dies noch nicht sichtbar. Man müsse die Zahlen für die Jahresstatistik 2020 abwarten, sagt Zeis. Der 43-Jährige vermute aber, dass sich der vermehrte Alkoholkonsum, den Studien aufzeigten, mit Verzögerung in den Beratungsstellen wiederfinden werde. „Wir gehen davon aus, dass diejenigen, die vorher moderat getrunken haben oder mehr, jetzt noch mehr trinken.“ Ängste würden durch die Pandemie potenziert. Die Menschen trauten sich weniger raus. Es bestehe das Problem der Vereinsamung.
Zeis sagt, es habe viele Rückfälle gegeben. Viele Menschen seien durch die Pandemie in Unsicherheit gekommen, beispielsweise ihren Job zu verlieren. In Krisen werde dann auf alte Methoden zurückgegriffen. Vorhandene Lösungsstrategien reichten dann häufig nicht mehr aus. Selbsthilfegruppen vor Ort würden helfen gegen die Einsamkeit. Diese dürften sich während des derzeitigen Teil-Lockdowns auch, im Unterschied zum Frühjahr, weiterhin treffen. Gruppen seien verkleinert worden, neue Räume hätten angemietet werden müssen. Das seien riesige Herausforderungen gewesen, sagt Zeis. Aber es habe funktioniert. „Selbsthilfe gilt als systemrelevant.“
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