Mundschutz, Mindestabstand und Kontaktbeschränkungen könnten für viele Thüringer bald der Vergangenheit angehören. Denn nach dem Willen von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) soll der allgemeine Lockdown Anfang Juni enden.
Das Land Thüringen will Anfang Juni die allgemeinen Corona-Beschränkungen beenden. Damit würden landesweite Vorschriften zu Mindestabständen, dem Tragen von Mund-Nasen-Schutz sowie Kontaktbeschränkungen der Vergangenheit angehören. „Ab 6. Juni möchte ich den allgemeinen Lockdown aufheben und durch ein Maßnahmenpaket ersetzen, bei dem die lokalen Ermächtigungen im Vordergrund stehen“, sagte Ramelow. Die Details sollen nach Angaben einer Regierungssprecherin in der Kabinettssitzung am Dienstag beraten werden.
An die Stelle der landesweiten Vorgaben sollen dann nur noch lokale Maßnahmen treten, wenn in einer Region eine bestimmte Infektionsrate überschritten wird. Dafür ist ein Grenzwert von 35 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche im Gespräch. Der Wert wird nach den zuletzt von der Staatskanzlei veröffentlichten Infektionszahlen lediglich in einem Landkreis überschritten: dem Kreis Sonneberg im Süden des Freistaates. Den Plänen zufolge soll der Landeskrisenstab aufgelöst und durch ein Alarmsystem ersetzt werden, bei dem das Gesundheitsministerium die zentrale Steuerung übernimmt.
Ein ähnliches Vorgehen gibt es in Thüringen bereits mit Blick auf Regionen mit einer besonders hohen Infektionsrate. Liegt diese in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt über dem Wert von 50, müssen die örtlichen Behörden Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ergreifen, die über die Vorgaben des Landes hinausgehen. Das hatte bisher die Kreise Greiz und Sonneberg getroffen. Dabei hatten die Landratsämter unter Kontrolle des Gesundheitsministeriums strengere Beschränkungskonzepte ergreifen müssen.
Die aktuelle Corona-Verordnung des Landes gilt bis 5. Juni. Dann sollen den Angaben nach auch für Schulen und Kindergärten weitere Schritte hin zu einem regulären Betrieb gegangen werden, hieß es. Dazu müssten Lehrer und Erzieher die Möglichkeit erhalten, auch ohne Krankheitssymptome auf das Virus Sars-CoV-2 getestet zu werden. Die Kosten dafür sollen den Plänen zufolge das Land tragen. Nach Zahlen der Staatskanzlei lag die Infektionsrate landesweit zuletzt bei 5,8 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche. Insgesamt haben sich in Thüringen bisher nachweislich mehr als 2800 Menschen mit dem Coronavirus infiziert, 151 sind an oder mit einer solchen Infektion verstorben. Die Zahl der inzwischen genesenen Patienten wird auf mehr als 2400 geschätzt.
Aus anderen Bundesländern kamen zurückhaltende Reaktionen. „Ich halte eine komplette schnelle Lockerung für verfrüht“, sagte Mecklenburg-Vorpommerns Landesinnenminister Lorenz Caffier (CDU). Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) sagte der Zeitung: „Ich bin dankbar für jede Lockerung, die wir verantworten können. Aber wir müssen umsichtig und vorsichtig sein.“ Das Virus sei noch unter uns, die Gefahr noch nicht gebannt. „Wir dürfen die erzielten Erfolge im Kampf gegen die Seuche nicht fahrlässig aufs Spiel setzen.“
In Thüringen gibt es auch kritische Stimmen. „Mir scheint das ein Gang aufs Minenfeld“, schrieb Jenas Oberbürgermeister Thomas Nitzsche (FDP) auf Facebook. „Wo's kracht, da gibt's halt lokal einen zweiten Lockdown. Soll das wirklich unsere Strategie sein in Thüringen?“ Im Kampf gegen das Coronavirus war Jena als Thüringens zweitgrößte Stadt bundesweit Vorreiter in Sachen Maskenpflicht.
Die Ankündigung von Ministerpräsident Bodo Ramelow ist auch auf heftige Kritik gestoßen. Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) etwa begrüßte am Sonntag ein mögliches Ende des Lockdowns für alle Unternehmen und Einrichtungen. Er dringt aber auf Vorgaben des Landes zu allgemeinen Hygiene- und Schutzstandards. Ansonsten drohe ein „Überbietungswettbewerb um die lockerste und großzügigste Regelung“.
CDU-Fraktionschef Mario Voigt begrüßte die Ankündigung Ramelows einerseits: „Die Bürger wollen Normalität und verhalten sich verantwortungsvoll.“ Er stellte aber auch klar, dass es weiter Schutzvorkehrungen brauche, um eine zweite Pandemiewelle zu verhindern. „Das Virus ist nicht aus der Welt.“ Zudem mahnte er Klarheit für die Kommunen an.
SPD-Fraktionschef Matthias Hey betonte, es gehe nicht darum, alle Beschränkungen aufzuheben, sondern sie regional so weit zurückzufahren, wie es das Infektionsgeschehen zulasse. Dazu sollen Kommunen mehr Verantwortung erhalten, bräuchten vom Land aber klare Maßgaben und Hilfestellungen.
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