Tamiflu & Co.: Sinnvoll oder unbrauchbar? APOTHEKE ADHOC, 27.02.2020 11:42 Uhr
In China wird derzeit mithilfe von Studien nach einem geeigneten Therapeutikum gegen das aktuelle Coronavirus gesucht. Unter anderem wurden probeweise antivirale Wirkstoffe wie Oseltamivir – bekannt aus Tamiflu (Roche) – eingesetzt. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal „The Lancet“ veröffentlicht.
Studie des Wuhan Jin Yin-tan-Krankenhauses
Derzeit gibt es weder ein spezielles Medikament noch eine Impfung gegen das neuartige Coronavirus. Um dennoch ein geeignetes Therapeutikum zu finden, werden aktuell verschiedene Studien mit Erkrankten durchgeführt. Zwei aktuelle retrospektive Studien des Wuhan Jin Yin-tan-Krankenhauses umfassten 41 beziehungsweise 99 Patienten. Bei den 99 Patienten mit einer durch das Virus ausgelösten Lungenentzündung betrug das Durchschnittsalter 55,5 Jahre, rund 50 Prozent der Erkrankten litten bereits unter einer chronischen Vorerkrankung. Die Betroffenen zeigten vor allem Symptome wie Fieber, Husten und Atemnot. In einige Fällen kam es auch zu Muskelschmerzen, Verwirrtheit, Durchfall oder Übelkeit und Erbrechen. Bisher gibt es keine vollständig nachgewiesene und spezifische antivirale Behandlung für das Coronavirus. In den Leitlinien der chinesischen Nationalen Gesundheitskommission wird die Anwendung von einer Kombination von Lopinavir und Ritonavir vorgeschlagen – diese wird eigentlich gegen HIV eingesetzt. Zusätzlich soll vernebeltes Interferon-α inhaliert werden.
Antivirale Wirkstoffe als Chance?
Derzeit werden einige vorhandene antivirale Medikamente als potenzielles Heilmittel erforscht, beispielsweise in der chinesischen Studie mit 99 Personen: 75 Teilnehmer erhielten entweder eine antivirale Behandlung mit 75 mg Oseltamivir alle zwölf Stunden oral, 0,25 g Ganciclovir alle zwölf Stunden intravenös oder Lopinavir- und Ritonavir-Tabletten in der Stärke 500 mg zweimal täglich oral. Die Dauer der antiviralen Behandlung betrug 3 bis 14 Tage. Zusätzlich erhielten die meisten Patienten eine Antibiotikabehandlung. Dabei wurden 25 Prozent mit einem einzelnen Antibiotikum behandelt, 45 Prozent erhielten eine Kombinationstherapie. Die Dauer der Antibiotikabehandlung betrug 3 bis 17 Tage. 19 Prozent der Erkrankten wurden 3 bis 15 Tage lang mit Methylprednisolon-Natriumsuccinat, Methylprednisolon und Dexamethason behandelt.
Ende Januar waren 31 Prozent der Patienten entlassen worden, 11 Prozent waren verstorben. Die anderen befanden sich zum Zeitpunkt des 25. Januars der Studie zufolge noch im Krankenhaus. Die ersten beiden Todesfälle waren zwei Männer über 60 Jahre: Sie hatten zwar keine chronische Grunderkrankung, waren jedoch beide langjährige Raucher. Da keine weiteren Details veröffentlicht wurden, ist der wirksame Einsatz von antiviralen Wirkstoffen wie Oseltamivir bisher nicht belegt.
„Virologisch gesehen ist das Blödsinn“, sagte Friedemann Weber, Leiter des Instituts für Virologie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen gegenüber der „Zeit“. Denn die Oberflächenstrukturen von Influenzaviren, an denen das Medikament andocke, würden sich so sehr von dem Sars-CoV-2 Virus unterscheiden, dass das Medikament nicht wirken dürfte.
Malariamittel Chloroquin gegen Coronavirus?
Ein weiterer Ansatz ist das Malariamittel Chloroquin: Der Wirkstoff wurde über 60 Jahre lang von Bayer unter dem Namen Resochin vertrieben – im November letzten Jahres hat der Konzern den Vertrieb aller Resochin-Produkte eingestellt. In einer chinesischen klinischen Studie erwies sich der Wirkstoff als wirksam gegen SARS-CoV-2. An der klinischen Studie nahmen mehr als 100 Patienten teil. Laut Artikel ist die Behandlung mit Chloroquin „wirksamer“ als die Behandlung mit Placebo. Genaue Zahlen nannten die Forscher der Universität Qingdao im Artikel nicht.
Schleimlöser Ambroxol: Hilfreich bei Coronainfektionen?
Auch der Schleimlöser Ambroxol könnte möglicherweise potenziell unterstützende Effekte haben: Ambroxol wirkt den Forschern zufolge wie eine Art „zelluläre Müllabfuhr“: Da Ambroxol einen schwach basischen pH-Wert besitzt, setze er an den sauren Zellorganellen an und neutralisiere so den pH-Wert. Dadurch werde Calcium freigesetzt. Bei der sogenannten „lysosomalen Sekretion“ verschmelzen die Zellorganellen – die auch als Lysosomen bezeichnet werden – mit der Plasmamembran der Zelle. Dadurch wird die Ausscheidung von Zellabfall angestoßen: Lysosomen bauen dann mithilfe von Säure und Enzymen zelluläre Abfallprodukte wie etwa alte oder fehlgebildete Proteine ab. Durch Exozytose werden diese dann aus der Zelle befördert.
Zwar gibt es diesbezüglich noch keine Ergebnisse, der beschriebene Abtransport von Abfallstoffen könnte möglicherweise jedoch auch beim aktuellen Coronavirus eine Rolle spielen: Denn neben den Symptomen steht bei den Erkrankten vor allem die Verstopfung der Lunge durch abgestorbenes Gewebe im Fokus. Das zusätzliche tote Zellmaterial verstopfe das Lungengewebe und verschlimmere somit die bestehende Lungenentzündung. Wenn Ambroxol für einen Abtransport von Abfallstoffen in den Zellen sorgt, könnte der Wirkstoff helfen. Hinzu käme die Hinweise der Studien, die auf eine verbesserte Penetration von Antibiotika in das Bronchialgewebe hindeuten. Bei einer Lungenentzündung, die in Folge der Coronavirus-Infektion auftreten kann und antibiotisch behandelt wird, wäre somit eine verbesserte Wirkung möglich.