Zu langsam, zu wenig Impfstoff: Nicht nur in Deutschland wird der Impfstart kritisiert. In nahezu allen europäischen Ländern ruckelte es zu Beginn gewaltig. Ein Land ist im Vergleich besonders spät dran.
Die Impfkampagne ist in Deutschland eher schleppend angelaufen. Auf der einen Seite herrscht Zurückhaltung, gleichzeitig wird sich über zu wenig Impfstoff beklagt. Die Bundesregierung und auch die EU-Kommission mussten sich viel Kritik anhören. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) betonte immer wieder, dass der Impfstoff über Wochen und Monate hinweg knapp sein werde – vor allem anfangs, da die Produktionskapazitäten noch begrenzt seien. Ein Blick über die Grenze zeigt: In anderen Staaten sieht es ähnlich aus. Ein EU-Land hat sogar erst am Mittwoch mit dem Impfen angefangen.
Die Briten haben beim Impfen im Vergleich zur EU bislang die Nase vorn: Der Impfstoff von Biontech und Pfizer war schon Anfang Dezember per Notfallzulassung freigegeben worden. Am 8. Dezember wurde die erste Britin geimpft. Seit Anfang Januar steht mit dem heimischen Vakzin der Universität Oxford und des Pharmakonzerns Astrazeneca ein weiteres Mittel bereit. Bislang sind nach Angaben der Regierung mehr als 1,3 Millionen Menschen gegen Corona geimpft worden. Das Tempo der Impfkampagne soll deutlich beschleunigt werden, Ziel sind zwei Millionen Impfungen pro Woche.
In Frankreich gab es in der ersten Woche nach dem Impfstart am 27. Dezember Medien zufolge nur einige Hundert Impfungen. Offizielle Zahlen suchte man zunächst vergebens. Französische Regionalpolitiker warfen der Regierung in Paris Versagen vor und fühlten sich nicht eingebunden. Frankreichs Impfkampagne sah vor, im Januar und Februar erst einmal ältere Menschen in Pflegeheimen und älteres Personal vor Ort zu impfen. Das sei logistisch schwierig, verteidigten die Behörden das schleppende Tempo. Nach massiver Kritik wurde der Personenkreis schließlich erweitert – zum Beispiel auch auf Menschen über 75 Jahre, die nicht in Heimen leben, sowie weiteres Gesundheitspersonal. Nun sollen außerdem Hunderte Impfzentren öffnen.
Auch Italien verabreichte am 27. Dezember die ersten lang ersehnten Impfdosen von Pfizer-Biontech. Nach dem Start wurde jedoch direkt Kritik laut, dass die Impfungen zu langsam anliefen. Um den Jahreswechsel fehlten in einigen Regionen laut Medienberichten außerdem Ärzte und Krankenhauspersonal, um die Impfungen zu verabreichen. In der Lombardei, die mit am härtesten von der Corona-Pandemie getroffen wurde, hatten die Ärzte bis Anfang dieser Woche nur etwa 14 Prozent der verfügbaren Impfungen gespritzt – im Gegensatz zu einem Großteil der anderen Regionen in dem Land mit rund 60 Millionen Einwohnern, die zu diesem Zeitpunkt schon fast die Hälfte ihrer erhaltenen Impfdosen verabreicht hatten. Die Kampagne nahm im neuen Jahr jedoch Fahrt auf. Insgesamt wurden bis Freitagvormittag rund 412.600 Corona-Impfungen gespritzt – der Großteil ging an Bedienstete im Gesundheitswesen.
Auch in Spanien sorgt der langsame Start der Corona-Impfkampagne für große Empörung. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums waren vom Impfstart am 27. Dezember bis Donnerstag nur knapp 28 Prozent der erhaltenen Dosen verabreicht worden – rund 207.000 von insgesamt 743.925 Einheiten. Besonders schlecht stand die Region um die Hauptstadt Madrid da: Dort waren bis Dienstagabend nur 11,5 Prozent der erhaltenen Dosen geimpft worden. Oppositionsführer Pablo Casado von der konservativen Volkspartei PP forderte den Rücktritt von Gesundheitsminister Salvador Illa. Dieser beteuerte, alles verlaufe nach Plan. Kritisiert wird unter anderem, dass an Wochenenden und Feiertagen überhaupt nicht geimpft werde.
Belgien hat nach einem einwöchigem Testlauf Ende Dezember in dieser Woche angekündigt, großflächig mit Impfungen gegen Covid-19 beginnen zu wollen. Bis zum Spätsommer sollen laut Plan 70 Prozent der Bevölkerung geimpft werden, womit eine flächendeckende Immunität erreicht werden soll. Zunächst hatten nur rund 700 Freiwillige in einigen Pflegeheimen Impfschutz erhalten. Die Opposition kritisierte, Belgien hinke vor allem im Vergleich zu Deutschland bei den Impfungen hinterher.
Nach den ersten Impfungen am 21. Dezember in Österreich wurden bis Anfang der Woche rund 6800 Menschen in Altenheimen geimpft – auch bezogen auf die Einwohnerzahl ein Bruchteil der bisherigen deutschen Bilanz. Nach massiver öffentlicher Kritik an der langsamen Umsetzung wurde der großflächige Impfstart, der ursprünglich für den 12. Januar geplant war, vorgezogen. Noch in dieser Woche sollen über 21.000 Impfungen stattfinden, bis kommenden Dienstag dann weitere 43.000. Mengenmäßig wähnt sich das Land auf der sicheren Seite. Allein vom Biontech/Pfizer-Impfstoff seien für Österreich mit knapp neun Millionen Einwohnern 5,5 Millionen Dosen vorgesehen.
In einzelnen Kantonen der Schweiz begann der Impfstart vor laufenden Kameras schon vor Weihnachten, obwohl da erst 100.000 Impfdosen von Biontech/Pfizer geliefert worden waren. Anfang Januar kamen weitere 126.000 Impfdosen an – bei 8,5 Millionen Einwohnern immer noch ein Tropfen auf den heißen Stein. Impftermine waren innerhalb von Minuten ausgebucht, mangels Stoff blieben Impfzentren zunächst weitgehend leer. Gegen die Regierung wurde wegen Fehlplanung gewettert.
Als allerletztes Land der EU starteten die Niederlande am vergangenen Mittwoch mit der Impfung. Doch erst ab dem 15. Januar sind tatsächlich auch alle 25 Impfzentren im ganzen Land einsatzbereit. Dabei lagert seit Weihnachten der Impfstoff ungenutzt in einer Halle – zuletzt waren es rund 280.000 Dosen. „Impfchaos“ und „totales Versagen“ hatten Parlament und Öffentlichkeit der Regierung vorgeworfen. Mediziner hatten am Ende selbst die Initiative ergriffen, um Ärzte und Pfleger von Corona-Patienten zu impfen. Premier Mark Rutte räumte Fehler ein. Die Behörden hätten sich früher und besser auf Massenimpfungen vorbereiten müssen.
Die EU-Kommission hat sich mehrfach gegen Kritik verteidigt. Die EU-Staaten hätten sich gemeinsam auf eine Impfstrategie geeinigt und beschlossen die Impfstoffe geschlossen zu ordern. „Ich bin der tiefen Überzeugung, dass dieser europäische Weg richtig ist und ich glaube, in der Rückschau wird sich das auch beweisen“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die Massenimpfungen seien eine „logistische Herausforderung“. Es sei von vorneherein klar gewesen, dass man nicht „auf einen Schlag“ alle impfen könne. Die Anzahl der Impfungen müsse jedoch „zügig“ angehoben werden.
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