Die Coronakrise fordert nicht nur die Erwachsenen – auch Kinder leiden zunehmend unter den Einschränkungen und Auswirkungen. Eine Befragung der Pronova BKK unter Kinderärzten zeigt nun alarmierende Ergebnisse: Den Pädiatern zufolge haben seelische Beschwerden bei Kindern deutlich zugenommen.
Für die Umfrage „Homeschooling und Gesundheit 2020“ wurden im Juni und Juli 150 Kinderärzte im Auftrag der Pronova BKK befragt. Die Ergebnisse sind eindeutig: 37 Prozent der Kinderärzte beobachteten in der Corona-Krise eine Zunahme körperlicher Beschwerden, bei den seelischen Problemen waren es sogar fast 90 Prozent.
Vor allem Schul- und Kitaschließungen, sowie Kontaktbeschränkungen würden die Psyche der Kinder belasten. Besonders betroffen seien demnach Kinder und Jugendliche ab sechs Jahren. Jeder zweite Kinderarzt beobachtete eine Zunahme von Verhaltensänderungen wie Antriebslosigkeit oder Rückzug, aber auch Reizbarkeit und Angststörungen. Knapp die Hälfte berichtet von aggressivem Verhalten und Schlafstörungen. Insgesamt habe jedoch auch die Häufigkeit von Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen und Depressionen unter Kindern zugenommen.
Grund für die Beschwerden sind aus Sicht der Pädiater die Einschränkungen im Alltag, die durch die Corona-Krise zustande kommen: Der Mangel an Freizeitmöglichkeiten wie Vereinssport sei ein wesentlicher Aspekt, gaben 70 Prozent an – dafür sei die Zeit vermehrt vor den Bildschirmen von Handy und Computer genutzt worden. Knapp 70 Prozent machen außerdem eine fehlende Tagesstruktur als Ursache der Beschwerden aus, 67 Prozent geben Konflikte in den Familien an.
Zwei von drei Kinderärzten sprechen sogar von einer Isolation der jungen Patienten: Fehlende Rückzugsmöglichkeiten in der Wohnung und die Übertragung von elterlichen Ängsten auf die Kinder machten den jungen Patienten ebenfalls zu schaffen. Für viele Kinder seien die ersten Monate der Pandemie verstörend oder gar bedrohlich empfunden worden, erläutert Dr. Gerd Herold, Beratungsarzt bei der Pronova BKK. „Es ist nun die Aufgabe der Erwachsenen, die Kinder bei der Bewältigung dieser Erlebnisse zu begleiten und zu unterstützen.“ Auch Elisabeth Raffauf, Psychologin des Expertengremiums der Bepanthen-Kinderförderung, hatte den Einfluss auf die Kinderpsyche und die gemeinsame Bewältigung kürzlich hervorgehoben.
Doch einige Beschwerden könnten möglicherweise weitreichende Spuren hinterlassen: Etwa vier von zehn Pädiatern verzeichneten Anzeichen für Entwicklungsverzögerungen bei ihren Patienten. Im Bereich Motorik seien vor allem Kinder zwischen sechs und neun Jahren betroffen; was die Kognition angeht, seien besonders Patienten zwischen 3 und 13 Jahren auffällig. Ursache für die Probleme könnte ein vermehrter Medienkonsum während der Pandemie sein, ebenso wie der fehlende Kontakt zu Gleichaltrigen.
Die Auswirkungen seien auch für die Praxen direkt spürbar: 54 Prozent der Kinderärzte rechnen damit, dass mehr Kinder Hilfe von Ergo- und Physiotherapeuten benötigen. 43 Prozent erwarten, dass sie häufiger an Psychotherapeuten überweisen werden müssen. „In den kommenden Monaten wird sich erst das gesamte Ausmaß der Corona-Folgen für die Kindergesundheit abschätzen lassen“, meint Herold. Mehr als die Hälfte der Kinderärzte gaben an, dass viele Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen in der Corona-Krise verschoben wurden. „Erst die Wiederaufnahme der Routinetermine, aber auch die Rückkehr in Schulen und Kitas dürfte entstandene Probleme bei Kindern und Jugendlichen ans Licht bringen“, so Herold.
APOTHEKE ADHOC Debatte