Im Mai hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) einen sogenannten Immunitätsausweis zum Nachweis der Immunität gegen das Corona-Virus einführen wollen. Nach Protesten auch vom Koalitionspartner zog Spahn diesen Vorschlag wieder zurück und bat den Deutschen Ethikrat um eine Stellungnahme. Dieser erteilt jetzt Spahn eine Absage: Der Deutsche Ethikrat stimmt einem Immunitätsausweis „zum jetzigen Zeitpunkt“ nicht zu. Der „aktuelle naturwissenschaftlich-medizinische Sachstand“ spreche nach Auffassung aller Ratsmitglieder dagegen, heißt es in der Stellungnahme.
Zum jetzigen Zeitpunkt empfehle der Deutsche Ethikrat schon angesichts der „vielfältigen noch bestehenden Unsicherheiten hinsichtlich einer Immunität gegen das neuartige Coronavirus den Einsatz von Immunitätsbescheinigungen nicht“. Frei verkäufliche Tests zum Nachweis einer Immunität gegen SARS-CoV-2 sollten zudem „aufgrund ihrer zweifelhaften Verlässlichkeit und des daraus folgenden Gefährdungspotenzials strenger reguliert werden“. Der Deutsche Ethikrat lehnt die Einführung solcher Bescheinigungen gegenwärtig einstimmig ab.
Für den Fall, dass Immunität künftig hinreichend verlässlich nachweisbar werden sollte, herrschen im Rat unterschiedliche Auffassungen dazu, ob und – wenn ja – unter welchen Bedingungen die Einführung von Immunitätsbescheinigungen zu empfehlen wäre. Die Hälfte der Ratsmitglieder kommt auf Basis risikoethischer Abwägungen zu dem Ergebnis, dass bei günstiger Entwicklung der naturwissenschaftlich-medizinischen Voraussetzungen mindestens eine stufenweise, anlassbezogen wie bereichsspezifisch ansetzende Einführung einer Immunitätsbescheinigung unter bestimmten Bedingungen sinnvoll wäre. Teilweise wird auch ein weiter reichender Einsatz für verantwortbar erachtet.
Für die andere Hälfte der Ratsmitglieder führen praktische, ethische und rechtliche Gründe zu einer Ablehnung des Einsatzes von staatlich kontrollierten Immunitätsbescheinigungen selbst dann, wenn Unsicherheiten mit Blick auf den Sachstand in Zukunft nicht länger bestünden.
Ungeachtet dieser unterschiedlichen Positionierungen spricht sich der Ethikrat in weiteren gemeinsamen Empfehlungen dafür aus, die Bevölkerung umfassend über einen gemeinwohlorientierten Infektionsschutz aufzuklären und über die Aussagekraft von Antikörpertests zu informieren. Darüber hinaus empfiehlt der Ethikrat eine zielgerichtete und koordinierte Erforschung der infektiologischen und immunologischen Eigenschaften des neuartigen Coronavirus. Das Votum des Ethikrates ist für Spahn zwar nicht bindend. Dennoch dürfte es in der politischen Diskussion eine wichtige Rolle spielen.
Die Idee war einfach – aber hochumstritten. Wer infolge einer bereits durchlebten Corona-Infektion nach aktuellen Erkenntnissen immun gegen eine erneute Ansteckung ist, könnte dies über einen speziellen Ausweis belegen. Mit diesem könnten dann individuelle Lockerungen der Corona-bedingten Beschränkungen verbunden sein. Nach den Protesten zog Spahn zurück und erklärte im Mai, dass es vorerst keine Regelungen geben soll, inwiefern solche Immunitätsnachweise Ausnahmen von Alltags-Beschränkungen ermöglichen könnten. Er bat den Deutschen Ethikrat um eine Stellungnahme. In der Koalition wurde vereinbart, bis dahin keine gesetzliche Regelung zu dieser Frage vorzunehmen.
Der Plan, einen solchen Ausweis zu ermöglichen, standen zuvor im Kabinettsentwurf zum Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (Zweites Bevölkerungsschutzgesetz). Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach warnte, es könne dazu kommen, dass sich Menschen absichtlich infizierten und damit in Gefahr brächten, um immun gegen das Virus zu werden, „auch aus wirtschaftlicher Not“. „Wenn es aber einen Impfstoff gibt, ist ein Immunitätsausweis sinnvoll“, sagte der SPD-Politiker.
Patientenschützer lehnen einen Nachweis für eine Immunität, rundweg ab. „Der Immunitätsausweis wäre ein tiefer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte“, sagte der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der Vorschlag gehe „ethisch weit über die aktuelle Bekämpfung der Pandemie hinaus“, beklagte er. „Denn während die Immunisierten Teilhabe am öffentlichen Leben erhalten, wird sie den Nichtimmunisierten verwehrt. Das ist zutiefst diskriminierend.“ Zudem verleite der Immunitätsausweis zu vorsätzlichen Selbstinfektionen. „Der Hochrisikogruppe bliebe dann nur die Wahl zwischen langanhaltender Isolation oder Lebensgefahr. Eine solche Spaltung der Gesellschaft ist unverantwortlich“, kritisierte Brysch.
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