Sars-CoV-2-Übertragung: Was Abstand und Maske wirklich bringen Cynthia Möthrath, 04.07.2022 12:45 Uhr
Mit Blick auf die steigenden Erkrankungszahlen und den bevorstehenden Herbst wird die Diskussion um das Festlegen von Schutzmaßnahmen in Bezug auf Sars-CoV-2 lauter. Verschiedene Untersuchungen liefern Daten zur Übertragung: Die UK Health Security Agency (UKHSA) hat sich 18 Covid-Ausbrüche genauer angeschaut – demnach reicht ausschließliches Abstandhalten nicht aus, um sich vor einer Ansteckung zu schützen.
Maskenpflicht, Zugangsbeschränkungen und Abstandhalten – verschiedene Schutzmaßnahmen gehören seit Beginn der Pandemie zum Alltag. Wie der bevorstehende Herbst aussehen soll, wird aktuell diskutiert. Denn schon jetzt steigen die Erkrankungszahlen von Covid-19 massiv an. Das sorgt bei Expert:innen für große Sorgen.
In Großbritannien hat sich daher ein Team der UKHSA erneut mit der Übertragung von Sars-CoV-2 beschäftigt. Dabei wurde der Fokus auch auf die verschiedenen Schutzmaßnahmen und deren Bedeutung gelegt. Die Forscher:innen kamen zu dem Ergebnis, dass Sars-CoV-2 in geschlossenen Räumen über größere Distanzen übertragen werden kann. Ohne Maske, mit schlechter Belüftung und durch erhöhte Aerosol-Freisetzung durch Sprechen oder Singen steige das Risiko weiter an. Die Ergebnisse wurden im „BMJ“ vorgestellt.
Restaurants, Busse & Co.
Untersucht wurden unter anderem zwei Ausbrüche in Restaurants in China: Es zeigte sich, dass das Virus eine Distanz von bis zu sechs Metern überwunden hatte. Die beiden Kontaktpersonen hatten sich nur fünf beziehungsweise 21 Minuten im gleichen Raum aufgehalten – eine Maske wurde dabei nicht getragen. Die Wissenschaftler:innen gehen davon aus, dass dies ein wesentlicher Faktor für die Ansteckung war.
Denn auch in Bussen ist es ohne Mund-Nasen-Bedeckung deutlich häufiger zu Ansteckungen gekommen, wie verschiedene Untersuchungen zeigen. Ein Vergleich von zwei Reisebussen macht die Schutzwirkung deutlich: Im Reisebus mit Maske hatten sich nur neun Menschen bei einer Index-Person infiziert, in einem anderen Bus kam es ohne Maske zu 23 Infektionen. Die Wissenschaftler:innen ermittelten damals ein 42-fach erhöhtes Risiko für die Mitfahrer:innen, wenn keine Maske getragen wird.
Dass vor allem auch die Distanz eine Rolle spielt, zeigen dem UKHSA zufolge Untersuchungen aus Fabriken, Büros oder Fitnessstudios. So war es in Deutschland beispielsweise beim Schlachtbetrieb Tönnies zu einem massiven Ausbruch gekommen: Innerhalb einer Schicht hatten sich 31 von 140 Mitarbeiter:innen infiziert – die Arbeitsplätze lagen teilweise bis zu zwölf Meter vom Index-Fall entfernt.
Büros nur mit Maske?
Durch die fallenden Homeoffice-Regelungen rücken vor allem auch Büros wieder als Infektionsquelle in den Fokus. Eine Untersuchung aus Italien hat gezeigt, dass ich in einem Büro fünf von sechs Mitarbeiter:innen infiziert hatten – trotz Distanz, Plexiglasscheiben und Handhygiene. Die Forscher:innen sehen auch hier die fehlende Maske als Hauptursache: Denn diese durfte am Schreibtisch abgenommen werden.
Reden und Singen wurde im vergangenen Winter eine große Rolle bei der Übertragung zugeschrieben, weil dabei besonders viele Aerosole übertragen werden. Untersuchungen in Chören untermauerten dies: So wurden die Viren beispielsweise in einem Gottesdienst in Sydney über 15 Meter weit verbreitet.
Geschlossene Räume als Risiko
Das UKHSA hebt hervor, dass Sars-CoV-2 bei 16 der 18 untersuchten Ausbrüche auch über größere Entfernungen hinweg übertragen wurde. „In den 16 Studien erhöhten ein oder mehrere Faktoren plausibel die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung über große Entfernungen in der Luft, insbesondere unzureichender Luftaustausch, gerichteter Luftstrom und Aktivitäten, die mit einer erhöhten Emission von Aerosolen verbunden sind, wie z. B. Singen oder laut sprechen.“
Basierend auf diesen Ergebnissen würden Restaurants, öffentliche Verkehrsmittel und Büros, sowie Räumlichkeiten mit unzureichender Belüftung das Risiko für Ansteckungen massiv erhöhen – vor allem in Kombination mit dem Ausstoß größerer Aerosolmengen. „Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung der Bewertung der Belüftung, insbesondere in Innenräumen, in denen Menschen andere Personen außerhalb ihres Haushalts treffen.“
Positionspapier für Aerosol-Aufklärung
Im vergangenen Herbst ist auch die interdisziplinäre Kommission für Pandemieforschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) entstanden. An der Erstellung waren unter anderem Expert:innen aus den Bereichen Aerosolforschung, Strömungsmechanik, Epidemiologie und Infektionsforschung beteiligt. Ein wissenschaftliches Positionspapier hatte darüber informiert, wie sich Infektionen durch Aerosole vermeiden lassen. Das Team verwies vor einem Jahr bereits auf aktuelle Modellierungen, welche voraussagen, dass eine dauerhafte Kontrolle der Pandemie mit realistischen Impfanteilen allein nicht zu erreichen sei und Maßnahmen für einen nachhaltigen Infektionsschutz langfristig notwendig sind.
Direkte und indirekte Infektionen unterscheiden
Grundsätzlich sei wichtig zwischen direkten und indirekten Infektionen zu unterscheiden: Bei einer direkten Infektion werden Aerosolpartikel – die zum Beispiel beim Atmen, Sprechen, Husten oder Niesen entstehen – über kurze Distanz direkt von Mensch zu Mensch übertragen. Da eine hohe Virenlast besteht, kann es hier bereits innerhalb weniger Minuten auf engem Raum – beispielsweise bei Unterhaltungen, in Schulen, Büros oder öffentlichen Verkehrsmitteln – zu Infektionen kommen.
Bei der indirekten Infektion werden infektiöse Aerosolpartikel, die sich über mehrere Stunden in Innenräumen angereichert haben, übertragen. Hier sind jedoch längere Verweilzeiten von mehr als 15 Minuten nötig. Allerdings kann es dabei auch unter Einhaltung der Abstandsregeln zu Infektionen kommen, da die Partikel mit der Luftströmung auch größere Strecken zurücklegen.
Das bedeutet: Innerhalb geschlossener Räume sind sowohl direkte als auch indirekte Übertragungen möglich. Hier sind die notwendigen Schutzmaßnahmen daher besonders wichtig. Im Freien sind praktisch nur indirekte Infektionen möglich, da die Virenlast schnell verdünnt wird und Partikel schneller abtransportiert werden. „Daher sind im Freien oft geringere Schutzvorkehrungen notwendig als in Innenräumen.“ Grundsätzlich rieten die Expert:innen immer eine Kombination aus Maßnahmen zur Verhinderung von direkten Infektionen (Kontaktvermeidung, Abstandsregeln, Masken, Schutzwände) und indirekten Infektionen (Lüften, raumlufttechnische Anlagen, effiziente mobile Raumluftreiniger, geeignete Masken) anzuwenden.