Corona-Krise

RKI-Präsident: Schutzkleidung für Ärzte und Pflegekräfte

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Berlin -

Seit Freitag hat sich die Zahl der Covid-19-Fälle in der WHO-Region von 6500 auf 12.300 nahezu verdoppelt. Professor Dr. Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), geht davon aus, dass die Fallzahlen noch deutlich steigen werden. Er spricht sich dafür aus, dass Ärzte und Pflegekräfte, die mit potentiellen Infizierten zu tun haben, künftig Mund- und Nasenschutz und Schutzbrille tragen. Denn fallen sie als besonders gefährdete Gruppe in größerer Zahl aus, könnte das deutsche Gesundheitswesen schnell überfordert werden.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn rief alle Bürger dazu auf, daran mitzuwirken, die Ausbreitung des Coronavirus zu bremsen. „Je langsamer sich das Virus ausbreitet, desto besser kann unser Gesundheitswesen damit umgehen.“ Zwar entscheiden sich aus seiner Sicht die Symptome nicht von denjenigen, die Ärzte, Pflegekräfte und Apotheker jeden Tag im Zusammenhang mit der Grippe oder Erkältungen behandelten. Es gehe aber darum, Risikopatienten zu schützen und dafür zu sorgen, dass ausreichend Intensivbetten, Beatmungsgeräte und Fachpersonal zur Verfügung stünden. Denn Fakt sei, dass die Corona-Epidemie eine Herausforderung für die Gesundheitssysteme werde.

Deshalb brauche es die Eigenverantwortung jedes Einzelnen, sei die Eindämmung eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. „Wir brauchen jeden einzelnen Bürger und jede einzelne Bürgerin.“ Ziel müsse es sein, „die Dynamik zu verlangsamen“, sagte er. Gleichzeitig gehe es darum, die Unterbrechung des gesellschaftlichen Lebens auf ein Minimum zu reduzieren.

Seine Maßnahmen:

  • Weniger reisen, wenn möglich: zu Hause arbeiten
  • Arbeitnehmer sollten im Zweifelsfall eine Vereinbarung mit ihrem Arbeitgeber treffen, um die Ansteckung von Kollegen zu vermeiden, Arbeitgeber sollten sich darauf einlassen
  • Menschen über 60 Jahre sollten sich gegen Pneumokokken impfen lassen
  • Menschen in Städten sollten auf ÖPNV verzichten und zu Fuß gehen oder mit dem Fahrrad fahren
  • Veranstaltungen mit mehr als 1000 Besuchern sollten abgesagt werden

Die Einschränkungen des privaten und öffentlichen Lebens gehen laut Spahn „deutlich über mehrere Monate als über mehrere Wochen“. Schließungen von Schulen und Kitas hält Spahn nicht grundsätzlich für erforderlich, damit Eltern weiter zur Arbeit gehen können.

Laut Spahn geht es darum, „besonnen und ernsthaft, entschieden und eindeutig zu reagieren“. Gleichzeitig müsse man sich die Flexibilität erhalten, angemessen auf die dynamische Entwicklung zu reagieren. „Und vor allem müssen wir uns auch unter Stress gegenseitig vertrauen und uns gegenseitig helfen.“

Es gehe um die gleichen Verhaltensweisen wie bei einer Erkältung oder Grippe. „Alles genauso machen, als würde man sich im Alltag vor Erkältung oder Grippe schützen wollen“, sagte Spahn. Man müsse sich fragen, auf welche Dinge im Alltag man verzichten könne. Konzerte, Clubbesuche und Sportveranstaltungen sind aus seiner Sicht anders zu bewerten als der Weg zur Arbeit oder die Plenararbeit des Bundestags. Hier ist aus seiner Sicht von Veranstaltern in den vergangenen Tagen „zu zaghaft“ entschieden worden.

Laut Wieler ist nach wie vor unklar, wie viele Menschen sich mit dem Virus infizieren werden und ob das Krankheitsgeschehen milder oder deutlich schlimmer als bei der saisonalen Grippe ausfallen wird. Sicher sei nur, dass die Fallzahlen steigen werden – erst wenn 70 Prozent der Bevölkerung infiziert seien, werde sich ein Gleichstand einstellen und die Ausbreitung zurückgehen. Bis dahin gehe es darum, die Ausbreitung zu verlangsamen, auch um ein Medikament und einen Impfstoff zu entwickeln.

„Wir sind in einer ernsten Lage, denn die Situation könnte sich weiter zuspitzen.“ Für ihn steht fest: Es wird auch hierzulande Todesfälle geben, besonders gefährdet durch das Virus sind Menschen ab 60 Jahren, Patienten mit Grunderkrankungen und medizinisches Personal. „Wir müssen alles daran setzen, diese Menschen zu schützen und die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen.“ Vor allem müssen man verhindern, dass eine große Anzahl an Erkrankten auf einmal behandelt werden muss. „Wir dürfen unsere Kliniken nicht überfordern.“

Wieler betonte, Arztpraxen, Kliniken oder Altenheime müssten jetzt mit Covid-19-Patienten umgehen können. „Die Vorbereitungen müssen jetzt abgeschlossen sein.“ Alle müssten sich auf eine große Zahl an Patienten einstellen, und auch auf Patienten, die intensivmedizinisch betreut und beatmet werden müssten.

Auch er fordert die Bevölkerung auf, die Anzahl der Kontakte zu reduzieren und beispielsweise auf Dienstreisen zu verzichten. Wie Spahn ist er der Meinung, dass Schulen und Kitas allenfalls lokal geschlossen werden müssten, etwa wenn es Infektionsfälle gebe oder der Altersdurchschnitt der Lehrer dies nahe lege. Gleichzeitig müsse man erkrankten und gefährdeten Menschen helfen, indem man etwa für sie einkaufen gehe oder ihnen auch mal ein gutes Buch in den Briefkasten werden.

Professor Dr. Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie der Charité, wies auf die Ergebnisse der neuesten epidemiologischen Studie aus den USA hin: Aus seiner Sicht müssen die Experten umdenken und weniger die Verlangsamung vor dem Sommer in den Fokus nehmen, sondern sich vielmehr auf ein Wiederaufflammen im Herbst vorbereiten. „Wir laufen direkt in eine Epidemiewelle hinein und haben nicht mehr viel Zeit.“ Aus seiner Sicht ist die Lage „absolut ernst“; keinesfalls gebe es keinen Anlass anzunehmen, alles sei nur halb so wild. „Das wird sich ändern, Deutschland wird keine Ausnahme sein.“

Einziger Unterschied zu anderen Ländern sei, dass man in Deutschland die Lage frühzeitig erkannt habe und dass sich die Labore bundesweit bereits im Januar auf die Entwicklung einstellen konnten. „Wir haben hierzulande glücklicherweise eine dezentrale Struktur und auch die Vergütungsfrage war sehr früh geklärt. Das war eine sehr glückliche Konstellation, die sehr viel verlangsamt hat.“

Wenn man es jetzt komisch finde, dass es solche einschneidenden Maßnahmen gebe, bedeute dies im Umkehrschluss, dass es eben noch nicht zu spät sei. „Wir sind früh dran, das ist die Botschaft für diese Woche!“ Laut Drosten verdoppelt sich die Fallzahl in etwas weniger als sieben Tagen, dass es derzeit schneller gehe, sei neben dem tatsächlichen Infektionsgeschehen auch dem Aufwachen der Diagnostik- und Versorgungsstrukturen geschuldet.

Weltweit haben sich inzwischen weit mehr als 100.000 Menschen nachweislich mit dem neuen Coronavirus infiziert, die Dunkelziffer liegt Experten zufolge noch wesentlich höher. In Deutschland stieg die Zahl der nachgewiesenen Infektionen auf 1112. Das geht aus der Auflistung des RKI vom Montagmorgen hervor.

Es gibt weder eine schützende Impfung noch eine spezielle Therapie zur Behandlung der Erkrankung Covid-19. Die meisten Infizierten haben nur eine leichte Erkältungssymptomatik mit Frösteln und Halsschmerzen, die binnen weniger Tage verschwindet, oder gar keine Symptome. Etwa 15 von 100 Infizierten erkranken schwer, betroffen sind vor allem ältere Menschen oder solche mit Vorerkrankung.

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