Corona-Stresstest

Risiko und Chance: Spahn und das Virus

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Berlin -

Seit die Corona-Krise in Deutschland angekommen ist, ist Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) noch präsenter als sonst: Tagtäglich steht sein Name in fast allen Medien – und abends blickt Spahn via TV-Nachrichten in die meisten Haushalte. So etwas kann sich ein Politiker mit Ambitionen auf das Kanzleramt eigentlich nur wünschen. Aber Gesundheitskrisen haben für die Amtsinhaber stets auch ihre Tücken. Einige seiner Vorgänger haben vergleichbare Situationen politisch nicht überlebt. Das Coronavirus zwingt Spahn in einen „Stresstest“.

Bis jetzt ist die Kritik am Krisenmanager Spahn überschaubar. Die meisten Verbandsfürsten im Gesundheitswesen stellen sich hinter Spahns Kurs, angemessen und verhältnismäßig mit dem Corona-Thema umzugehen. Etwas Besseres fällt niemandem ein. Sachlichkeit statt Aktionismus, lautet Spahns Herangehensweise. Das Wort Panik hat das BMG aus dem politischen Wortschatz gestrichen. Stattdessen zeigt sich der Bundesgesundheitsminister lieber mit Experten an seiner Seite, die bei der Beschreibung der aktuellen Lage jeden Anschein von Kontrollverlust vermeiden.

Spahn hat jetzt alle Hände voll zu tun: Ob man ihn im Nachhinein beglückwünschen sollte, auf die Kandidatur zum CDU-Vorsitz verzichtet zu haben, wird sich erst später beurteilen lassen. Jedenfalls gehören aktuell und wohl auch in den kommenden Wochen die bundesweiten Schlagzeilen Spahn – und nicht Armin Laschet, Friedrich Merz oder Norbert Röttgen. Das hätte Spahn auch auf dem Weg an die CDU-Spitze helfen können. Falls die Corona-Dinge aber in den nächsten Wochen aus dem Ruder laufen, könnte es sogar noch Spahns Aufgabe werden, den CDU-Sonderparteitag am 25. April als Großveranstaltung abzusagen – auch so kurios kann sich Politik entwickeln.

In einer anderen Angelegenheit wird man Spahn später vielleicht einmal politische Weitsicht und Gespür nachsagen: Schon vor Ausbruch der Corona-Krise in Deutschland holte Spahn Generalarzt Hans-Ulrich Holtherm ins Ministerium. Seit dem 1. März leitet dieser die neu geschaffenen Abteilung 6 (Gesundheitsschutz, Gesundheitssicherheit). Der bisherige Chef des Ulmer Bundeswehrkrankenhauses ist ausgewiesener Pandemie-Experte, war schon ins Ministerium beordert, als 2009 die H1N1-Pandemie in den Griff zu kriegen war, und er gehörte auch 2014 dem Ebola-Krisenstab an. Jetzt muss sich Holtherm an Spahns Seite sofort als Brandlöscher unter Beweis stellen.

Zugute kommt Spahn in der Corona-Krise, dass er das Gesundheitswesen und seine mächtigen Akteure so gut wie keiner seiner Amtsvorgänger kennt: Schon die Gesundheitsreform von 2007 hatte er mitgestaltet, seit 2009 war er gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion und seit 2014 leitet er die Gesundheitspolitik in der Bundes-CDU. Spahn weiß, wo die politischen Fallstricke lauern. Mit der ABDA hat Spahn gesprochen, mit den Ärzten und Krankenhäusern natürlich auch. Bis jetzt herrscht Ruhe und Einigkeit. Spahn führt, die anderen folgen.

Seine bisherige Umtriebigkeit als Bundesgesundheitsminister könnte Spahn allerdings noch zum Verhängnis werden. Jemanden, der sich selbst für alles zuständig fühlt und für kanzlerfähig hält, lastet man nur allzu leicht die Verantwortung und Schuld für die Folgen der Corona-Krise an. Teilweise leergeräumte Supermarktregale belegen jedenfalls, dass das Thema die Bevölkerung umtreibt. Noch sind die Sorgen gering: Was aber geschieht, wenn es tatsächlich ernste Versorgungsprobleme gibt, wenn beispielsweise in einigen Wochen oder Monaten wegen des Stillstands in China hierzulande Arzneimittel knapp werden?

Daran wird Spahn zwar keine Schuld haben, aber politisch den Kopf hinhalten müsste er trotzdem. Erste Ärzte meckern bereits über unzureichende Versorgung mit Schutzkleidung. Wie wird sich das Sicherheitsgefühl der Bürger verändern, wenn die Zahl der Infizierten in die Tausende geht? Dann werden Fragen auftauchen: Warum wurden die deutschen Grenzen nach Italien nicht konsequenter geschützt? Warum wurden die Pandemiepläne nicht früher an das Coronavirus angepasst? Warum wurden Verdachtsfälle nicht konsequenter festgesetzt? Die FDP versucht bereits zu zündeln.

Mit dem Verweis auf die Tücken des Föderalismus wird sich der Bundesgesundheitsminister nicht aus der Affäre ziehen können, auch wenn er auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes so gut wie keine konkreten Anweisungen erteilen kann. Zuständig sind immer Länder, Kommunen und deren Gesundheitsämter. „Das ist manchmal sehr schwierig für einen Bundesminister“, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer zuletzt neben Spahn in der Bundespressekonferenz sitzend.

Seehofer weiß, wovon er redet. Als früherer Gesundheits- und Landwirtschaftsminister hat er zwei handfeste Krisen politisch überlebt: Anfang der 90er-Jahre zählte der Skandal um HIV-verseuchte Blutprodukte hierzulande 600 Tote. Seehofer zerschlug das damalige Bundesgesundheitsamt. Entstanden daraus sind als Nachfolger das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), das Robert Koch-Institut (RKI) und das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV). Den BSE-Skandal um die Rinderseuche überstand Seehofer durch den Regierungswechsel 1998.

Nicht ganz so glücklich endetet das BSE-Thema für Seehofers Amtsnachfolgerin Andrea Fischer und den SPD-Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke. Wegen ihres BSE-Handlings mussten beide nach zwei Jahren zurücktreten. Die „taz“ titelte: „BSE keult Kabinett“. Nachfolgerin als Gesundheitsministerin wurde SPD-Politikerin Ulla Schmidt. Auch die frühere Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) spürte die Tücken der Politik, als 2011 Dioxin in Eiern gefunden wurde. Sie wurde als „ungeaignert“ abqualifiziert. Die öffentlichen Zweifel an ihrem Krisenmanagement führten schließlich zu ihrem Rücktritt.

So weit ist es bei Spahn noch lange nicht. Selbst Fachpolitiker aus der Opposition finden lobende Worte für den Gesundheitsminister. Als die Opposition letzten Freitag Informationen anmahnte, kam kurze Zeit darauf eine ausführliche E-Mail zum aktuellen Corona-Stand aus dem BMG. Spahn hält sich an sein Politik-Muster. Er ist agil, medial präsent, spricht mit allen, klärt auf, warnt, empfiehlt und gründet Krisenstäbe. Viel mehr kann ein Minister in seiner Lage nicht tun. Für Spahn spricht auch der derzeit noch milde Verlauf der Corona-Krise. Das könnte sich ändern. Spahns eigentliche Bewährungsprobe steht noch aus.

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